In meiner Kindheit spielte ich fast jeden Sonntag Brettspiele mit meinen Eltern. Mein Lieblingsspiel war - nicht überraschend für einen künftigen Wirtschaftswissenschaftler - Monopoly. In gewisser Weise war hier meine spätere Beschäftigung mit Wettbewerbspolitik und Immobilienmärkten schon vorgezeichnet. Ich habe damals aber auch etwas gelernt, was heute für die Eurokrise von Bedeutung ist.
Ich war ein recht guter Spieler (oder zumindest ein besserer als meine Eltern) und so besaß ich bei Spielende oft eine unschlagbare Anhäufung von Straßen, Bahnhöfen, Elektrizitäts- und Wasserwerken und Hotels. Aber nur zu gewinnen, genügte meinem Ehrgeiz nicht. Um mein Spielgeld zu vermehren und meine armen Eltern in eine noch ausweglosere Situation zu bringen, gewährte ich ihnen großzügige Darlehen, die sie für die Mietzahlungen an mich verwenden konnten. Nein, eigentlich anders: Ich habe sie wirklich angefleht, diese Darlehen anzunehmen. Auf diese Weise konnte ich das Spiel noch ein wenig in die Länge ziehen, weitere Reichtümer anhäufen und noch wohlhabender werden – so dachte ich wenigstens.
Aber hier sitzt der Haken: Am Ende des Spiels war ich kein bisschen reicher, als ich gewesen wäre, wenn wir das Spiel früher beendet hätten. Zwar schuldeten meine Eltern mir Tausende von Monopoly-Dollars, die ich ihnen geliehen hatte. Als sie schließlich jedoch unweigerlich bankrott waren, konnten sie keines dieser Darlehen zurückzahlen. So besaß ich letztlich das gleiche Immobilien- und Geldvermögen, das ich ohnehin gehabt hätte. Die Kreditfinanzierung hatte meinen Eltern eigentlich nur ein paar praktisch kostenlose Hotelaufenthalte bei mir ermöglicht.
Es gibt eine bestürzende Parallele zwischen den Brettspielnachmittagen der Familie Hartwich und der heutigen Eurokrise. Man kann eine unhaltbare Situation durch die Gewährung von Krediten vorübergehend aufrechterhalten, aber man sollte sich nicht darauf verlassen, dass man diese Kredite zurückbekommen wird.
Damit meine ich Deutschlands Geschäftsmodell als Europas stärkste Exportnation. Seit vielen Jahren setzt Deutschland mehr Waren und Dienstleistungen in der Welt ab, als es selbst importiert. Der Wert der deutschen Exporte lag im Vorjahr bei 1.097 Mrd. EUR, dagegen importierte das Land nur für 909 Mrd. EUR. Alles in Allem bedeutet dies einen massiven Handelsüberschuss von 188 Mrd. EUR – oder 6,3 Prozent des BIP. Es heißt auch, dass Deutschlands Forderungen gegen den Rest der Welt jedes Jahr mit jedem dieser beträchtlichen Handelsüberschüsse wachsen.
In Deutschland werden solche gesunden Exportzahlen in aller Regel als Zeichen wirtschaftlicher Stärke betrachtet und das sind sie in gewisser Weise auch. Nach deutschen Autos, Maschinen und Chemieprodukten besteht eine hohe Nachfrage. Sie in großem Umfang herzustellen und auszuführen, schafft natürlich Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum und verleiht den Deutschen Selbstvertrauen.
Es gibt nur ein geringfügiges Problem - genau das gleiche, das sich mir beim Monopoly-Spielen mit meinen Eltern vor so vielen Jahren schon stellte. Indem Deutschland weit mehr exportiert als importiert, gewährt es anderen Ländern Kredite. Das hält die deutsche Wirtschaft in Gang, bietet jedoch keine Garantie, dass sich dies langfristig als ein gutes Geschäft erweist.
Letztlich ist Deutschland darauf angewiesen, dass seine Handelspartner diese Kredite zurückzahlen. Können sie dies nicht, hat Deutschland praktisch einen großen Teil seiner Exporte umsonst geliefert. Natürlich erhalten einzelne deutsche Exportfirmen die Bezahlung für ihre Produkte. Ein Teil des von ihnen eingenommenen Geldes wurde jedoch zur Finanzierung dieser Exporte verwendet.
Schaut man sich in der Eurozone um, hat Deutschland eine der größten Net International Investment Positions (NIIPs), definiert als die Differenz zwischen Auslandsforderungen und Auslandsverbindlichkeiten. Deutschlands NIIP steht bei etwas über +40 Prozent des BIP. Demgegenüber haben andere Volkswirtschaften im Euroraum hohe negative NIIPs. Bei Frankreich und Italien beispielsweise betragen sie etwa -20 Prozent. Bei Spanien und Portugal liegen sie bei -100 Prozent des BIP oder sogar darüber.
Man kann diese Zahlen als Ergebnis des Ungleichgewichts der Handelsbilanzen in der Eurozone interpretieren. Die Peripherieländer haben über ihre Verhältnisse gelebt, an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt und eine schlechtere Handelsbilanz erwirtschaftet, für die Euro-Kernländer trifft gerade das Gegenteil zu. Zu dieser Lage hat auch beigetragen, dass die Europäische Währungsunion Deutschland den Vorteil einer unterbewerteten Währung verschaffte, die der tatsächlichen Wirtschaftskraft des Landes nicht entsprach. Mit flexiblen Wechselkursen wäre Deutschlands Währung schon lange aufgewertet worden und dadurch hätte das Ungleichgewicht der Handelsbilanzen korrigiert werden können.
Entscheidend ist jedoch, dass die Aufrechterhaltung des Ungleichgewichts der Handelsbilanzen auch von der Bereitschaft der Euro-Kernländer abhängt, die Importe der Euro-Peripherieländer zu finanzieren – entweder durch normale Kapitalexporte oder durch den erfinderischen Target2-Mechanismus der Europäischen Zentralbank.
Eine berühmte ökonomische Lebensweisheit besagt: Wenn etwas nicht ewig weiterlaufen kann, kommt es zum Stillstand. Da liegt das Problem mit diesen Euro-Ungleichgewichten. Zu irgendeinem Zeitpunkt in der Zukunft wird die Euro-Peripherie entweder ihre Wettbewerbsfähigkeit zurückgewinnen müssen, damit sie ihre Schulden bei den Kernländern begleichen kann - oder sie kann ihre Auslandsverbindlichkeiten nicht mehr bedienen.
Im Laufe der Eurokrise haben wir einen ersten Schuldenschnitt in Griechenland erlebt und voraussichtlich werden wir Ende dieses Jahres einen zweiten erleben. Wir wissen auch, dass es in der Euro-Peripherie Finanzinstitute gibt, die nach sämtlichen Kriterien praktisch insolvent sind und aufgelöst werden müssen. Beides wird zu Verlusten in den Kernländern des Euro führen.
Damit findet sich die Euro-Kernzone in einem Monopoly-Spiel wieder und es wird erkennbar, dass alle diese hübschen Handelsüberschüsse im Laufe der Jahre lediglich Pyrrhus-Siege waren. Sicher hatten sie Exporteinnahmen erzielt und für Beschäftigung gesorgt. Im Gegenzug hatten sie aber auch Forderungspositionen gegen andere Volkswirtschaften der Eurozone aufgebaut, die sich später als teilweise wertlos erwiesen.
Deutschlands Wirtschaftsführer und Politiker müssten schon drastisch umdenken, um einzugestehen, dass ihr exportorientiertes Modell gewaltige langfristige Risiken beinhaltet. Kurzfristig allerdings zahlt es sich für keinen von ihnen aus, die Fixierung auf Exporte aufzugeben – nicht für rentable Exportunternehmen und ganz gewiss nicht für Politiker, die sich Sorgen um exportabhängige Arbeitsplätze machen. Für beide ist die Fiktion, Deutschlands Handelspartner würden ihre Auslandsverbindlichkeiten stets zurückzahlen, lebenswichtig.
Wie ich damals beim Monopoly-Spielen herausfand, hat es jedoch keinen Sinn, ein Spiel künstlich zu verlängern. Davon abgesehen, waren meine Eltern es irgendwann Leid, weiterspielen zu müssen, nur um mein sonderbares Geschäftsmodell ohne reales Ziel in Gang zu halten.
Vielleicht sollten die Griechen und die Spanier den Deutschen auch sagen, dass das Spiel aus ist?
Dr. Oliver Marc Hartwich ist Executive Director der New Zealand Initiative (www.nzinitiative.org.nz).
‘Do not pass go: Germany’s Monopoly moment’ erschien zuerst in Business Spectator (Melbourne), 8. August 2013. Aus dem Englischen von Cornelia Kähler (Fachübersetzungen - Wirtschaft, Recht, Finanzen).