Aleksandra Rybinksa, Gastautorin / 14.02.2022 / 13:00 / Foto: AR / 109 / Seite ausdrucken

Gefährliche Realitätsferne

Das deutsche Denken über Russland ist ohnehin schon von einem soliden Pazifismus, einem noch solideren Antiamerikanismus und naiven Verbrüderungsträumen dominiert. Und jetzt kommt noch die Abhängigkeit von russischem Gas hinzu.

Moskau bietet uns gerade im Einklang mit den alteingesessenen Traditionen der Sowjetunion eine groteske Propagandadarbietung. Russland fühle sich bedroht, von den westlichen Ambitionen der Ukraine und von der NATO. Das Imperium, das sich von Wladiwostok bis Königsberg erstreckt, bis an die Zähne bewaffnet ist und über Atomwaffen verfügt, hatte vor noch nicht so langer Zeit Angst vor dem winzigen Georgien. Heute ist es Kiew, das Wladimir Putin schlaflose Nächte bereitet. Die Einigung auf einen neutralen Status der Ukraine würde die Welt für alle sicherer machen, versuchen uns die Russen zu überzeugen. Und leider gibt es Politiker und Experten, vor allem in Deutschland, die das ähnlich sehen.

Allen voran die sogenannten „Realisten”, die für die Ukraine-Krise „liberale Illusionen” verantwortlich sehen. Man hätte den Ukrainern nichts versprechen sollen, schon gar nicht eine NATO-Mitgliedschaft, und sei sie noch so unwahrscheinlich. Putin fühle sich zu recht bedroht. Man solle das „Säbelrasseln” lassen und auf die Argumente Russlands eingehen. Dialog ist das Zauberwort. Man wolle schließlich keinen Krieg vor der eigenen Haustür. Frieden und Wohlstand, und zum Teufel mit über 40 Millionen Menschen in der Ukraine, mit ihren Aspirationen und Hoffnungen. Und ihrem Recht auf Selbstbestimmung. Wer an ein Imperium grenzt, muss halt dessen Interessen in Betracht ziehen. Die internationale Politik als das Recht des Stärkeren. Aber die deutschen Dialogbekundungen heizen Putin erst recht an. In der russischen politischen Kultur, von der Goldenen Horde geerbt, gilt Dialog als Zeichen von Schwäche. Man kann entweder gewinnen oder verlieren, dazwischen gibt es nichts.

Russland ist kein rationaler Akteur, der von handfesten Sicherheitsbedenken getrieben wird. In Wahrheit gibt es keinen Grund für solche Bedenken, und das autoritäre Regime in Moskau ist nicht an diese Logik gebunden. Es konstruiert willkürlich internationale Bedrohungen, weil es ihm hilft, zu überleben. Auch die NATO stellt für Russland keine Gefahr dar. Ein Szenario, in dem die NATO beschließt, einen Angriff auf eine nukleare Supermacht zu starten, ist unvorstellbar. Amerikanische Truppen zur Verstärkung der NATO-Ostflanke trafen in Polen erst „nach” der Annexion der Krim ein. Putin weiß das alles ganz genau. Er versucht vom Westen Zugeständnisse zu erzwingen, die ihn innenpolitisch stärken würden. Der Westen ist schwach, geteilt und ängstlich – so die Überzeugung des Kreml. Die Annexion der Krim hat der Westen hingenommen, den Krieg im Donbass auch. Im Rahmen der Verhandlungen des Normandie-Formats wird die Ukraine wie eine Seite im Konflikt behandelt, den nur Russland zu verantworten hat. Warum also nicht versuchen, noch mehr herauszupressen?

Russland war und ist immer noch eine Diktatur

Die Beziehungen, die Russland zu einzelnen westeuropäischen Staaten unterhält, sind dabei sehr hilfreich. Putin weiß dabei sowohl den überzogenen Ehrgeiz eines Emmanuel Macron zu nutzen als auch die Nord Stream 2 Gas-Pipeline, die gerade fertiggestellt wurde und Deutschland permanent an Moskau bindet. Polen und die baltischen Staaten hatten gegen die Pipeline von Anfang an protestiert. Vergebens. Es sei ein rein wirtschaftliches Projekt, argumentierten deutsche Politiker an der Realität vorbei. Es ist ein geopolitisches Projekt, weil Moskau es als solches betrachtet. Wie man das in Berlin sieht, ist dabei vollkommen egal. Dank Nord Stream 2 sitzt Russland am längeren Hebel, und Gazprom nutzt diesen Hebel bereits, indem es mit der Menge des Gases, die es an Europa liefert, die Preise beeinflusst. Und die steigen. Wie das alles nach einer Inbetriebnahme von Nord Stream 2 aussehen wird, kann man sich leicht ausmalen. Leider haben westliche Politiker keine Fantasie, und sie nutzen ihren Verstand auch nicht. Sie sind bereit, Putin den Strick zu verkaufen, an dem er sie aufhängen wird.

So mancher hat in Polen gehofft, dass es nach den schwierigen Merkel-Jahren zu einer Kurskorrektur in der deutschen Außenpolitik kommt. Die Grünen sollten es richten. Schließlich haben sie sich den Menschenrechten verschrieben und von den Oppositionsbänken im Bundestag Putin scharf kritisiert. Aber ein Blick in den Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung genügte, um eines Besseren belehrt zu werden. Energiewende heißt das Zauberwort. Die ersten Atomkraftwerke sind bereits abgeschaltet, in Zukunft soll es Strom nur noch aus erneuerbaren Energiequellen geben. Und in der Zwischenzeit? Gas, noch mehr Gas. Russisches Gas. Als der russische Oppositionelle Alexej Navalny nach seiner Vergiftung in der Berliner Charité lag, bezeichnete Baerbock Russland als „korruptes Regime". Heute ist sie längst nicht mehr so offensiv.

Stattdessen versucht sie den Kreml davon zu überzeugen, mit der Zivilgesellschaft zusammenzuarbeiten und demokratische Veränderungen in Russland einzuleiten. Als ob das jemals passieren würde. Aus Polen betrachtet, mutet das Ganze absurd an. Die Deutschen manövrieren sich mit Energiewende und Nord Stream 2 in eine Situation, über die sie leicht die Kontrolle verlieren können. Dabei waren wir Polen, bei aller zeitweisen Animosität, immer überzeugt, unsere deutschen Nachbarn wären höchst rational. Der Koalitionsvertrag von SPD, FDP und Grünen ist von Rationalität aber weit entfernt. Es ist ein kurioses Dokument, voll von abstruser linker Ideologie und realitätsfremdem Wunschdenken.

Und die deutsche „Ostpolitik”, die immer wieder, auch von Kanzler Olaf Scholz, beschworen wird, ist ein Relikt des Kalten Krieges. Wandel durch Annäherung oder Wandel durch Handel funktioniert nicht. Russland war und ist immer noch eine Diktatur, ganz egal, wieviele Autos Volkswagen dorthin exportiert. Manchmal haben wir hier in Polen das Gefühl, die Deutschen wollen uns für dumm verkaufen. Wenn man sich Aussagen mancher deutscher Politiker anhört, dann ist Putin einerseits ein strategisches Genie und gleichzeitig das unschuldige Opfer eines perfiden Spiels des Westens. Das deutsche Denken über Russland ist von einem soliden Pazifismus, einem noch solideren Antiamerikanismus und naiven Verbrüderungsträumen dominiert, die noch vom Kalten Krieg herrühren, wo die Verbrüderung (der DDR) mit der Sowjetunion Pflicht war.

Deutschland hat sich in der Ukraine-Krise vollständig blamiert

Die deutsche Rechte dagegen hofft auf einen gemeinsamen Kulturkampf mit Putin, ohne zu begreifen, dass auch das nur ein Instrument zur Erhaltung der Macht ist. Putin hat keine Werte, außer denen, die ihm gerade nützen. Dazu kommt die Überzeugung der deutschen Industrie, auf sie warteten blühende Landschaften in einem Land mit einem BIP unter dem Italiens. Jahrelang hat Deutschland von uns Solidarität eingefordert, zum Beispiel in der Flüchtlingskrise. Unsere Bedenken zum Thema Nord Stream 2 (und wir standen mit ihnen nicht allein) wurden einfach zur Seite gefegt. Das ist einer der Gründe der schwierigen deutsch-polnischen Beziehungen. Deutschland trifft Entscheidungen im eigenen Interesse und verkauft sie als „gut für Europa”.

Und die Gewinne, die aus der deutschen Russlandpolitik hervorgehen sollen, sind für uns schwer erkennbar, außer einigen lukrativen Posten bei Gazprom und Rosneft für ehemalige SPD-Politiker. Für uns Polen stellt Russland aber eine reale Bedrohung dar. Iskander-Raketen sind seit Jahren in Kaliningrad stationiert, Belarus ist fast vollständig militärisch und wirtschaftlich mit Russland integriert. Seit Monaten versucht Lukaschenko, Polen mit Migranten zu überrollen, und es besteht kein Zweifel daran, dass dieser Plan in Moskau entstanden ist. Wir mussten mit diesem Problem selbst fertig werden. Brüssel weigert sich bis heute, den Grenzzaun, den Polen baut, mitzufinanzieren. Und jetzt bedroht Putin die Ukraine.

Alles das geschieht an unseren Grenzen, den Grenzen der EU. Einige tausend Helme und ein Feldkrankenhaus als Reaktion sind einfach nicht gut genug. Deutschland hat sich freiwillig von russischem Gas abhängig gemacht, und nun ist es gezwungen, Putin zu beschwichtigen. Noch vor einigen Jahren waren wir in Polen überzeugt davon, dass die deutsche Energiewende das Muster sein wird für eine analoge Energiewende in ganz Europa, heute sehen wir, dass dem nicht so ist. Frankreich, die Niederlande und viele andere europäische Länder, auch Polen, setzen auf Kernenergie, und Deutschland wird das, angesichts der Kompromisshaltung Brüssels, hinnehmen müssen. Polen versucht, sich auch von russischem Erdgas unabhängig zu machen, u.a. mit Hilfe der Baltic Pipe.

Liberale Politiker in Polen schauen immer noch mit Bewunderung nach Berlin, aber wir Konservative versuchen eher, die Fehler zu vermeiden, die Deutschland begangen hat. In der Energie, Migrations- und Außenpolitik. Die deutsche Regierung hat sich in der Ukraine-Krise vollständig blamiert. Das Vertrauen zu Deutschland als verlässlichem Partner ist deutlich gesunken, nicht nur in Warschau. Pazifismus und Russlandversteherei können wohl kaum als Strategie gelten. Das wäre nicht nur gefährlich, das wäre dumm.

Aleksandra Rybińska ist Politologin, Redakteurin der Internetzeitschrift „Nowa Konfederacja“, Publizistin des Portals „wPolityce.pl“ und des Wochenmagazins „wSieci“ sowie Vorstandsmitglied der Maciej Rybiński Stiftung.

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Dirk Jungnickel / 14.02.2022

@E. Berger Wenn ich einen Zaun um meinen Garten oder Haus errichte, dann tue ich das aus Sicherheitsinteressen. Wenn ich allerdings Bewaffnete patroullieren lasse und Ansprüche auf Nachbars Obstbäume geltend mache, weil ich mich mit Nachbars Tochter verbandelt habe, dann bin ich ein Aggressor, wie der KGB - Scherge P.

Wilfried Düring / 14.02.2022

(2) Und jetzt schaun wir uns ‘den Westen’ - den es so als einheitlichen Block gar nicht gibt; Dunkeldeutsche, Polen und Ungarn gehören, auch wenn sie am politischen ‘Katzentisch’ sitzen, irgendwie ja auch dazu - ein bisschen genauer an. Schaun wir nach Brüssel. Dort gibt es politische Kräfte, die frei gewählte Regierungen Polens und Ungarn stürzen wollen. Dort gibt es eine Frau Barley, die das unbotmäßige Ungarn ‘aushungern’ wollte. Und diese Frau ist noch im Amt! Das Leid der Polen war der deutschen Liniken immer nur dann wichtig, wenn man dieses Leid gegen die Anliegen der deutschen Heimatvertriebenen zynisch ausspielen konnte. Frau Rybinska, sie sprechen vom ‘gemeinsamen Kulturkampf’, von dem die ‘deutsche Rechte’ träume. Genau! Gegen die Barleys, die Klima-Fanatiker, die Wokisten der Cancel-Culture, die Islamisten-Lobby, die Juden- und Polen-Feinde MÜSSEN wir - bei Strafe der eigenen Selbstaufgabe - diesen Kulturkampf führen!!! Wir sollten das klug, überlegt und besonnen, und wann immer wir Kraft dazu haben, ohne Haß tun. Aber wir müssen diesen Kulturkampf führen! Und ob Rußland in diesem Kampf Partner sein oder werden kann, ist meines Erachtens offen. Es liegt im gemeinsamen Interesse ALLER kleinen Staaten Ost- und Mitteleuropas (die doch in Brüssel seit 20 Jahren die Erfahrung machen, daß sie eben NICHT gleich-berechtigt sind), zu einem Ausgleich und zu einer nachhaltigen Verständigung mit Rußland zu kommen. Und natürlich sollte es Teil dieser Verständigung sein, daß Rußland seine Iskander-Raketen, die Polen bedrohen, aus dem Raum Kaliningrad abzieht. Rußland wird heute objektiv zugemutet, Nato-Stützpunkte an seinen Grenzen zu akzeptieren. Aufgrund der leidvollen Geschichte (Polen, Baltikum) der sowjet-russischen Besatzung ist das nachvollziehbar. Aber ich verstehe auch die russische Regierung, wenn diese signalisiert: ‘Es ist genug! Keine NATO-Stützpunkte in der Ukraine! Keine ‘Einkreisungspolitik’. Die Ukraine darf nicht zu einer Art ‘Kuba’ der NATO werden.

Alex Micham / 14.02.2022

Ich betrachte diesen Artikel als eine Pflichtveröffentlichung für die Transatlantiker. Schwamm drüber.

Hans Marner / 14.02.2022

Dankeschön für diese Einschätzung. Ich möchte hier nochmals Peter Scholl-Latours “Russland im Zangengriff” wärmstens empfehlen. Leider sind solche Weltenkenner- und Erkenner-Geister inzwischen ausgestorben und in den einschlägigen Online-Redaktionen leider tabu. Danke.

Kostas Aslanidis / 14.02.2022

Ein Artikel, der eigentlich dem Kriegstreiberblatt Spiegel, zugeordnet werden kann. Ein Hetzartikel nach dem anderen gegen Russland auch bei der Achse. Die Kriegsgeilen die nie an die Front gehen werden, kommt der Schaum vom Mund. Es ist abgesprochene Kriegsrhetorik der Kriegstreiber. Alle Order von der gleichen Quelle. Ich hoffe das Russland nicht Ernst macht, dann wird es Dunkel fuer die dunklen Seelen. Wir in Griechenland haben nicht das geringste gegen Russland, gegen den Weltterroristen USA schon. Immer wenn Krieg ist, Deutschland darf nicht fehlen

Leopold Hrdlischka / 14.02.2022

Die ACHSE auf den Spuren der Spitzenjournaille von Springer, Spiegel, Zeit, Ippen und all den anderen Genies. Da lobe ich mir doch den guten alten Gerhard Polt (einfach auf YT nach “Russe Polt” suchen). Das war noch zu einer Zeit als DER RUSSE als “links” galt und bei den “Linken” daher ein guter Russe war. Wenn ich mich nicht über teilweise wirklich dämlichen Mist ärgern will, dann lese ich keine Artikel auf der ACHSE und auch nicht bei TICHY. Aushalten kann man da wirklich nur die Sachen der Nachdenkseiten. Darüber sollte die ACHSE einmal gründlich nachdenken.

Dr. Jürgen Kunze / 14.02.2022

Vollkommen richtig, Frau Rybińska. Die komplementärfarbige Regierung unter Schröder hat die heutige Energie-Abhängigkeit von Russland verursacht. Dass dieser ehemalige Bundeskanzler die Füße dieses Potentaten Putin leckt, ist das Widerlichste, was ich mir denken konnte. Dieser moralisch und sittlich verwahrloste Salonsozialist besudelt damit nachträglich das hohe Amt, das er in diesem Land inne hatte.

Peter Zinga / 14.02.2022

O.K., Frau Rybinska, nehmen Sie sich das ersehnte Land im Osten und geben Deutschen ihr ehemalige Land zurück…Aber Sie glauben wirklich nicht, adss sie Moskau besetzen, wie im 16. Jahrudert…. Oder doch?

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