Antje Sievers / 03.09.2013 / 08:10 / 3 / Seite ausdrucken

Frauen sind Schweine

Sommer 1976. In einer Illustrierten, ich weiß nicht mehr, ob Stern oder Spiegel, erscheint ein großer Bericht über den neuen Shootingstar der New Yorker Literaturszene – Erica Jong. Ihr erster Roman, „Angst vorm Fliegen“, war eine Sensation und machte sie mit einem Schlage reich und berühmt. Das, was ihr Buch so einzigartig machte, war, dass sie als Frau wiederholt das Verb „ficken“ gebrauchte und auch sonst in der Schilderung von Körperlichkeiten alles andere als zimperlich war. Man feierte sie als das weibliche Gegenstück zu Henry Miller und überschlug sich förmlich vor Begeisterung. Den Umschlag der deutschen Erstausgabe zierte ein pinkfarbener, verheißungsvoll geöffneter Frauenmund. Damals kam ich als Dreizehnjährige an diese Lektüre nicht heran; nicht mal unter der Reizwäsche meiner Mutter war sie zu finden.

Ich musste erst zwanzig Jahre alt werden, um festzustellen, dass „Angst vorm Fliegen“ mit Sex nur am Rande, ja eigentlich gar nichts zu tun hatte. Man hatte für den Vorbadruck vornehmlich die Stellen herausgefischt, in denen das F-Wort stand. Sex sells. Trotzdem war es ein herrliches Buch, und Sätze wie „Deutsche Toiletten sind in Wahrheit der Schlüssel zu den Gräueln des dritten Reiches. Menschen, die imstande sind, Toiletten dieser Art zu konstruieren, sind zu allem fähig.“ oder „Die höchst unelegant gewandete Gattin des Bürgermeisters von Wien (mit einer Figur wie ein vollgeschissener Damenstrumpf)“ sind in ihrer Bissigkeit und Pointiertheit unvergesslich. Gut dreißig Jahre später erscheint Charlotte Roches Buch „Feuchtgebiete“ und löst einen ganz ähnlichen Aufruhr aus. Jetzt wurde der Roman verfilmt, mit der Schweizer Schauspielerin Carla Juri in der versifften Hauptrolle. Ich habe den Roman nicht gelesen – nach zwei Seiten im Buchladen musste ich ihn beiseite legen, weil mir schlecht wurde. Über Geschmack oder den Mangel desselben lässt sich bekanntlich streiten. Aber literarisch ist Roche ohnehin nicht mit Jong vergleichbar. Warum sieht man also einen Film, dessen Romanvorlage einen schon abgestoßen hat?

Weil mich vor allem die eigenartige Rezeption solcher Stoffe so interessiert. Jedes Mal, wenn eine Frau gewisse Worte und eventuell noch ganz anderes in den Mund nimmt, liegt die Nation quasi flach vor Staunen, dass Frauen so was wirklich tun. Das mag ja vor dreißig Jahren noch sensationell gewesen sein. Aber heute? Heute wird ein neues, prüdes Spießbürgertum gepflegt, wo man als Erwachsener von wildfremden Kindern in der Öffentlichkeit gemaßregelt wird, wenn man Scheiße sagt, während die debilen Eltern daneben stehen und strahlen vor Stolz. Die Hauptdarstellerin von „Feuchtgebiete“ soll zwar fünf Sprachen beherrschen, aber Deutsch kann nicht dazugehören, denn das nuschelt sie herunter wie eine Sechsjährige. Dennoch kann man ihr einen gewissen androgynen Charme nicht absprechen, und wenn sie demnächst Werbung für Peta macht und sich gegen den Klimawandel engagiert, steht ihr mit Sicherheit eine große Karriere bevor. Der Film ist nicht so eklig wie das Buch und beginnt gleich mit einem herzerwärmenden Zitat. Es handelt sich um den vernichtenden Kommentar eines Bildzeitungslesers zur Romanvorlage; was alle Kinobesucher schlagartig intellektuell über die bildungsfernen Schichten erheben soll. Die Handlung dümpelt so vor sich hin und besteht darin, dass eine junge Frau sich während der Behandlung ihrer Hämorrhoiden in ihren Pfleger verknallt. Obendrein leidet sie in Ermangelung echter Probleme an der Scheidung ihrer Eltern. Ansonsten ergehen sich die Bilder in der bekannten obsessiven Darstellung körperlicher Funktionen. Das ist nach einer dreiviertel Stunde grottenlangweilig, zumal sich immer wieder Traumsequenzen mit toten Hühnern und Mädchen unter Wasser wiederholen.

Werke dieser Art sorgen nur für Skandale, weil immer noch idiotische sexuelle Stereotype herumspuken: Frauen und besonders junge Mädchen sollten irgendwie möglichst keusche, reine Engelchen sein, die von Sex keine Ahnung haben. Natürlich nur, bis der ersehnte Prinz kommt und ihre Sinnlichkeit wach küsst. Und Männer sind von Natur aus Schweine. Die Ärzte können ein Lied davon singen. So was steht tatsächlich auch heute noch in Sexratgebern für junge Mädchen. Und welcher Vater sähe sein kleines Mädchen so nicht am liebsten? Das ändert sich natürlich schlagartig bei Papis nächstem Puffbesuch: Die anwesenden Prostituierten als die geliebten Töchter von anderen Kerlen zu betrachten, dürfte dann wenig hilfreich sein. Aber Frauen und Mädchen sind Wildsäue, so wie Männer und Jungs auch. Einer der wenigen Sexualtherapeuten, die das wussten, war der viel zu früh verstorbene Günter Amendt. Natürlich sind Frauen in den blumigen Phantasien von Männern in der Regel auch schweinisch. In der Wirklichkeit ist Männern das wahnsinnig peinlich. Deshalb hat man es auch als Frau so schwer, in einer Männerunde schweinöse Witze zu erzählen. Und das ist schade, denn die sind nicht nur versaut, sondern auch saukomisch. Ich habe dreißig Jahre lang fast ausschließlich täglich mit Frauen zusammengearbeitet. Daher ist mein einschlägiges Witzrepertoire reichhaltig. Kennen Sie den?

Ein maskierter, bewaffneter Mann überfällt eine Samenbank. Er zwingt die anwesende Laborantin, den Behälter mit den Spermaproben zu öffnen und eine davon runter zu schlucken. Dann noch eine.Nach der Dritten fragt die Laborantin entnervt: „Zufrieden? Können Sie mir jetzt mal bitte verraten, was dieser Blödsinn soll?“ Daraufhin reißt der Mann sich die Skimütze vom Kopf und sagt triumphierend: „Na Bitte! Geht doch, Sandra!“

Zuerst erschienen auf Antje Sievers’ Blog.

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Paula Biedermann / 03.09.2013

Ich verbrachte vor zwei Jahren Silvester in Goa. Wie es sich für ein 5-Sterne Haus geziemt, gab es eine sog. Bibliothek, voll mit Büchern aus aller Welt. Da kommen einem Gedanken über die Gäste ;-), denn auch dieses Buch war vorhanden. Vorher nicht gelesen, weil es mich wie wohl ähnliche Bücher “Shades of grey” (?) nicht interessierte, hatte ich nun Zeit, alle ekligen Stellen zu überlesen, manches gut beobachtet und es rundherum ziemlich traurig zu finden. Auch den Film werde ich mir erst anschauen, wenn er im TV-Programm der LH erscheint ;-). Noch was. Die Zahl der Herren, die ich kannte, könnte repräsentativ ;-) sein. Alle, die ich befragte, verneinten jemals käuflich Liebe erworben geschweige Etablissements besucht zu haben, fand ich immer witzig. Da ist wohl die Wunschvorstellung von Herrn Bonhorst (s. Beitrag Mainz) schon Realität. Umsatz ohne Kunden. Langes Vorspiel, kurzer Hauptteil. Was erregt Sie? Dass Frau Roche mit einem sehr durchschnittlichen Buch viel Geld verdient? Die Stereotypen? Sie schreiben von einem „Prinzen“? Kein Stereotyp? So wie ein Mann nicht von einer dicken, keifenden, ordinären Frau in Kittelschürze träumt, wünschen wir uns auch kein solches Pendant. Die Wirklichkeit kommt schneller als man denkt. Lassen Sie uns unsere Geheimnisse und Träume. Oder doch der Film und das Buch? Ziemlich unlauter, zu sagen, man hätte nur zwei Seiten gelesen, beurteilt aber das gesamte Buch und den Film bloß angeschaut, weil man die Rezeption erkennen will, aber zur Rezeption nichts steht wie bspw gierige Gesichter, mehr Popcorn oder weniger etc. Schluß: Der Witz ist gut!

Hans Gruner / 03.09.2013

Früher erzählte man “ein wenig versaute” Witze separat im Männer-, oder (wie wir Männer inzwischen erfuhren) auch gelegntlich im Damen-Kreis, und man war in der Öffentlichkeit “prüde” wie es genannt wurde. Heute hat Prüderie im Öffentlichen wenig Chancen, wenn es auch dabei selten um Witze geht sondern meist um Aufklärerisches und “die Gesellschaft Befreiendes”. Aber die Kluft, der Abstand zwischen dem öffentlich gesagten und den heimlich praktizierten ist gleich geblieben. Alles ist “befreiter”. So kann es nicht nur passieren dass “bei Papis nächstem Puffbesuch: Die anwesenden Prostituierten als die geliebten Töchter von anderen Kerlen zu betrachten” sind (wie die Autorin schreibt), sondern manchen als die von ihrer Bafög Studienförderung nicht auskömmlich leben könnende EIGENEN Tochter.

Chris Deister / 03.09.2013

Es ist manchmal tröstlich, vormals gehypte Kunstwerke in der Versenkung zu sehen. So ist es mit Erica Jong. Wer kennt die noch? Nachdem dieses Buch jahrelang im Bücherregal verstaubte, hatte ich es vor etwa 2 Jahren endlich gelesen. Was mich überraschte waren nicht die „Stellen“ (war ja zu erwarten), sondern die Deutschenfeindlichkeit. Man kann das lustig finden, aber ähnlich wie beim ewigen Heruntermachen von Männern bin ich da mittlerweile empfindlich.

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