11.36 Uhr war es, als am Dienstag die ersten Meldungen über den Flugzeugabsturz in den französischen Alpen über die Ticker der Nachrichtenagenturen liefen. Noch am Nachmittag flogen der deutsche Aussenminister Frank-Walter Steinmeier und sein Kabinettskollege, Verkehrsminister Alexander Dobrindt, nach Marseille. Von dort reisten sie an den Unglücksort weiter, um sich im Lagezentrum über den Stand der Dinge informieren zu lassen.
Gestern taten es die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, der französische Präsident François Hollande und Spaniens Premier Mariano Rajoy den Ministern gleich. «Die Tragödie bestimmt die Agenda», liess Merkel verlauten. Sie wolle «sich selbst ein Bild machen».
Tatsächlich muss die Berechtigung derartiger Reisen jedem vernünftig denkenden Menschen fragwürdig erscheinen: Glaubten Merkel, Hollande und Rajoy allen Ernstes, sie könnten durch ihre Anwesenheit irgendetwas zu den Bergungsarbeiten oder zur Aufklärung der Unglücksursache beitragen? Wohl kaum. Eher dürfte es so sein, dass der Besuch der Politiker vor Ort Kräfte gebunden hat – und damit störte.
Nun mag mancher einwenden, nach einem Unglück solchen Ausmasses Präsenz zu zeigen, sei etwas, das die Öffentlichkeit von den Repräsentanten des Staates erwarte. Doch wer so argumentiert, unterschätzt – hoffentlich – Bürger und Medien. Dass Politiker ihr Beileid ausdrücken, ist nur recht und billig; dass der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck einen Staatsbesuch in Peru abgebrochen hat, war ebenso richtig wie die Entscheidung des spanischen Königs Felipe, eine Visite in Paris vorzeitig zu beenden: Hätte das Königspaar wie geplant eine Velazquez-Ausstellung im Grand Palais besucht und am Abend ein Staatsbankett im Elysée-Palast, die Tage der Monarchie in Spanien wären verdientermassen gezählt gewesen.
Doch angemessene Beileidsbekundungen, an deren Aufrichtigkeit zu zweifeln kein Grund besteht, sind etwas anderes als politischer Katastrophentourismus. Handelt es sich bei Ersteren um eine Selbstverständlichkeit, offenbart sich in Letzterem ein seltsames, geradezu vordemokratisches Staatsverständnis: als müssten Staats- und Regierungschefs bei Bergungsarbeiten eine Führungsrolle demonstrieren wie mittelalterliche Fürsten, die an der Spitze ihrer Heere ins Feld zogen. Derartige PR-Stunts sind nichts als ein peinliches Sich-hinein-Drängen in das Leid fremder Menschen und in die Fernsehbildschirme, ein deplatzierter Akt, der keinen Sinn hat und keinen Zweck erfüllt – ausser dem der Selbstdarstellung.
Erschienen in der Basler Zeitung hier.