Filipp Piatov / 28.04.2015 / 13:28 / 14 / Seite ausdrucken

Das weltfremde Anspruchsdenken deutscher Studenten

Deutsche Studenten haben es wirklich nicht leicht. Die Wohnungspreise steigen, vor allem in den angesagten Studentenvierteln. Dank des Bachelorsystems ist die Universität zu einem Vollzeitjob geworden – nach 40 Stunden Vorlesungen, Vor- und Nachbereitungen ist für Freizeit kaum noch Platz. Hinzu kommt der Semesterbeitrag, der über die Semesterferien gerne mal um zehn oder zwanzig Euro steigt. Außerdem ist das Mensaessen viel zu teuer, nicht immer vegan, und das Semesterticket könnte auch ruhig noch einen etwas größeren Radius abdecken!

Zum Glück gibt es das Bundesausbildungsförderungsgesetz, kurz BAföG. Es soll dafür sorgen, dass Studenten studieren können, ohne nebenbei arbeiten zu müssen. Das soll vor allem Studenten aus einkommensschwächeren Familien zugutekommen, die sonst womöglich nicht studieren könnten. Nebenjobs und Bildungskredite kommen natürlich nicht infrage, denn das wären “amerikanische Zustände” – da sind wir in Deutschland ja schon viel weiter. Das ist Konsens. Gegen BAföG ist man hierzulande einfach nicht.

In vielen Ländern wären die Studenten schon glücklich darüber, keine Studiengebühren zu bezahlen. In Deutschland gilt das als selbstverständlich. Studenten hierzulande gewöhnen sich schneller an die monatliche Überweisung vom BAföG-Amt, als sie “Prüfungsstress” sagen können. In den sozialen Netzwerken machte sich erst kürzlich Unmut breit, als Bundesbildungsministerin Johanna Wanka eine automatische Anhebung des BAföG-Satzes ablehnte. Das Studentenwerk hatte gefordert, die Leistungen alle zwei Jahre anzupassen. Auf Facebook und Twitter begann sofort das große Klagen.

Deutschlands politisch engagierte Studenten leben in einer Blase, die sich immer weiter von Leistung und Arbeit entkoppelt. BAföG ist für sie kein Investment der Gesellschaft in ihre eigene Zukunft, sondern eine bedingungslose Selbstverständlichkeit, die jedem zustehen sollte, der seinen Fuß über die Schwelle einer Universität setzt. Sich um sein monatliches Einkommen sorgen darf jeder – mit Ausnahme der Studenten. Die sollen neben all dem Uni-Stress nicht auch noch von finanziellen Sorgen geplagt werden. Es sei ungerecht, dass Studenten in Hamburg nicht mehr Wohngeld bekämen als solche in günstigeren Städten. Bei den jetzigen BAföG-Sätzen könnten sich Studenten nur billigste Lebensmittel leisten. Neben dem Studium zu arbeiten, sei bei einem derart niedrigen Mindestlohn nicht nur zu anstrengend, sondern auch entwürdigend.

Man kann sich nur wundern, woher solche Ansprüche kommen. Und es ist noch erschreckender, mit welchem Selbstbewusstsein sie postuliert werden. Wer einem empörten Studenten vorschlägt, doch bitte nicht in München oder Hamburg zu studieren, wenn das Geld nicht reicht, stößt auf völliges Unverständnis. Denn ein Mensch – das haben die Jungempörten schnell verinnerlicht – soll da studieren, wo er will. Wer aus finanziellen Gründen in seiner persönlichen Entfaltung gestört wird, ist das Opfer einer ungerechten Gesellschaft – so der Tenor. Aus dem Privileg unserer Gesellschaft, sich Wohlstand erarbeiten zu können, macht man ein automatisches Recht auf Wohlstand.

Armut ist keine Motivation für Erfolg mehr, sondern ein Unglück, das eines leistungslosen Ausgleichs bedarf. Man arbeitet nicht mehr, um sich etwas leisten zu können. Man kann sich etwas leisten, weil eine solidarische Gesellschaft nun mal so funktioniert – aber wozu dann überhaupt noch arbeiten? Ausgerechnet die Studenten, die später den Wohlstand des Landes sichern sollen, sperren sich gegen den Leistungsgedanken.Denn die Generation Y ist am Limit. Sie bildet sich ein, nach 40 Stunden Uni müsse tatsächlich Schluss sein. In der Berufswelt beklagt sie dann die mangelnde praktische Erfahrung. Sie will nicht neben der Uni arbeiten müssen – so richtig kann man ja noch nichts.

Was international die Regel ist, soll es hier nicht geben: Demonstration des Hamburger Bündnisses für Gebührenfreiheit. Mindestlohn muss aber trotzdem sein, darunter macht man sich die Hände nur ungern schmutzig. Doch auch die Wirtschaft, die immer jüngere Absolventen fordert, macht sich an diesem Phänomen mitschuldig, auch wenn sie sich dann gerne über mangelnde Berufserfahrung und Unreife der Berufseinsteiger beschwert.

An sich ist BAföG ein fortschrittliches, zivilisatorisches Konzept. Die Gesellschaft investiert in ihre zukünftigen Leistungsträger – gleichzeitig hält sie sie von niedrig bezahlter Arbeit fern, die so von Menschen ohne Ausbildung ausgeführt werden kann. Doch wie so oft wird Großzügigkeit gerne missverstanden. Anstatt kostenlose Bildung als ein für sie getätigtes Investment wahrzunehmen, begreifen viele Studenten BAföG als finanziellen Ausgleich für die beim Studieren aufgewendete Zeit. Anscheinend haben sie vergessen, dass die Gesellschaft ihnen rein gar nichts schuldet. Auch die Idee kostenloser Bildung hat zu einer Verzerrung der Realität geführt. Für Bildung zu bezahlen, gilt als eine Unsitte kapitalistischer Gesellschaften, die wir in Deutschland glücklicherweise überwunden haben.

Während man für Reisen, Zigaretten – selbst gedrehte, man muss ja sparen – und Hobbys gerne sein Geld ausgibt, will man für Bildung nichts bezahlen. Ausgerechnet in Bildung, das Tor zur Gesellschaft, zur Kultur und zu materiellem Wohlstand, ist man nicht bereit zu investieren. Dabei ist Bildung ja auch in Deutschland nicht kostenlos – sie wird nur nicht von denjenigen bezahlt, die am meisten von ihr profitieren. Den Studenten ermöglicht das auch, sorglos durch das Studium zu kommen und dann fast ohne Schulden im Ausland zu arbeiten.

Deshalb sind Investitionen ins Bildungssystem ein optimistisches Unterfangen. Umso erstaunlicher ist es, dass kaum Kritik aufkommt am kostenlosen Universitätszugang und BAföG-Höchstsätzen von bis zu fast 700 Euro. Im Ausland kann man die deutschen Verhältnisse nicht beschreiben, ohne auf Verwunderung zu stoßen. Ein Mensch, der sich freiwillig an einer Universität einschreibt, die Professoren, Bibliotheken, Vorlesungsräume und Labore bezahlen muss, soll dafür nicht aufkommen müssen? Spätestens im Studentenleben beginnt im zunehmend sozialdemokratischen Deutschland die realitätsferne Entkopplung vom Leistungsgedanken.

Ich konnte von Anfang an finanziell nicht mit Mitschülern und später Kommilitonen mithalten. Dies wurde meine größte Motivation, mich anzustrengen. Wie viel leichter wäre es gewesen, mehr Geld vom BAföG-Amt zu fordern? Auch neben dem Studium zu arbeiten, hat mich nicht benachteiligt. Sicherlich hatte ich weniger Zeit, um auf dem Campus in der Sonne zu sitzen, aber ich machte erste Schritte in der Berufswelt, knüpfte wertvolle Kontakte und füllte meinen Lebenslauf. Wer die politische Einstellung der Studentenschaft kennt, weiß, wie wenig ihr Lebensläufe, der Leistungsgedanke oder Arbeit im Allgemeinen bedeuten. Genau deshalb ist es an der Zeit, eine neue gesellschaftliche Debatte anzustoßen. Auch das BAföG sollte davon nicht verschont bleiben.

Filipp Piatov (24) wurde in Sankt Petersburg geboren und kam mit seinen Eltern als Kind nach Deutschland. Er studiert Wirtschaftswissenschaften in Frankfurt am Main und arbeitet in Berlin. Im Dezember 2015 erscheint sein erstes Russlandbuch bei dtv

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Karl Martell / 29.04.2015

Ziemlich viel Quatsch auf einmal. Schon mal versucht, an Bafög zu kommen, wenn der Vater über 2000 Euro verdient? Ganz im Gegenteil, wie soll man mit dem lächerlichen Satz wenn man nicht gerade aus der Oberschicht kommt, überhaupt überleben können? Arme sollten dann vormittags studieren, nachmittags lernen und abends einen Nebenjob ausführen??? Genauso könnte man anführen, dass sich unsere Abgeordneten eine Diätenerhöhung von 830 Euro (monatlich) gegönnt haben, wo deren Arbeit doch wesentlich schwieriger sein soll… Ironie off..

Christian Gruner / 29.04.2015

Überwiegende Zustimmung. Ein weiteres großes Problem der deutschen Hochschullandschaft kommt hinzu: Es wurden Studienfächer und Professuren geschaffen, deren Absoventen später nur Jobchancen haben durch staatliche oder staatsfinanzierte Stellen. D.h. es entstehen Kosten für ein Studium, das später weitere Kosten erzeugt, will man nicht taxifahrende Akademiker haben. Dies alles vor den Hintergrund des angeblichen oder tatsächlichen Ingenieur-Mangels. Aber Ingenieurs- und Naturwissenschaften sowie Mathematik sind wohl “zu schwierig”.

Helfried Richter / 28.04.2015

Seit Gleichberechtigung durch Gleichstellung, von oberster politischer Ebene angeordnet, ersetzt wurde, muss man sich nicht wundern, dass junge Menschen das “Recht” auf gegenleistungslose Vollversorgung mit großem Hallo begrüßen und natürlich ausnutzen. Das gilt allerdings genauso für Menschen mit gesunden Händen und intaktem Hirn, die keinen Bock darauf haben, die H4-Hängematte zu verlassen - bei über 914 Tausend offenen Stellen in der Jobbörse. Auch Asylbewerber sind begeistert von den großzügigen Willkommens-Geschenken der Politkaste, die das Steuergeld im Gestus der moralischen Überlegenheit verteilen. Menschen sind nicht dümmer als Tiere und nutzen alle Quellen, die das Wohlbefinden verbessern, instinktiv aus. Daran kann ich nichts Verwerfliches finden. Ändern kann das nur die Regierung, die diese Zustände zu verantworten hat. DIESE Regierung wird es wohl nicht tun, dazu wäre eine 180-Grad-Wende erforderlich. Daher müsste wohl das steuerzahlende Wahlvolk initial ein Experiment wagen…

Reiner Schöne / 28.04.2015

Füher hat man im OSten gesagt:” Hier lebt man um zu arbeien” und im Westen “Wir arbeiten um zu leben”. Heute kommt man ohne die beiden Sprüche sehr gut aus. Arbeiten ist etwas was man nicht unbedingt braucht, es geht auch ohne und manchmal sogar viel besser. Eigeniniative ist eingeschlafen und Mut sich selbständig zumachen, gibt nur noch sehr wenig. Der Staat hat uns Grenzen gesetzt, bzw. bevormundet alle die dem Mut und die Iniative noch haben, dann fehlt die Lust weiter zumachen. Sobald der Staat sich zu sehr in die Wirtschaft einmischt, geht es schief. Wirtschaft ist ein filigranes Gebilde, wo selbst kleinste Veränderungen, eine Lawine an Ereignissen auslöst wenn man nicht das richtige tut. In Deutschland wurden solche Eingriffe in den letzten Jahren ohne nachzudenken gemacht, nur die Wählerstimmen zählten und dass hat uns das beschert was wir heute soz. Marktwirtschaft nennen. Müll. Die Studenten waren damals die Elite Deutschlands, heute sehen sie nur ihren Vorteil in irgendein großes Unternehmen zu kommen, wo sie dann irgendwann mal Aktionär werden, nur keinen Bezug mehr auf die Ebenen unter ihnen.

Dr. Nathan Warszawski / 28.04.2015

“Wer einem empörten Studenten vorschlägt, doch bitte nicht in München oder Hamburg zu studieren, wenn das Geld nicht reicht, stößt auf völliges Unverständnis.” Wer einem empörten Asylanten vorschlägt, doch bitte in Griechenland zu bleiben, der stößt auf völliges Unverständnis. Bei den Asylsuchenden und bei den Griechen. Wir können es uns eben leisten. Wie wir unser Geld verschwenden, geht niemanden etwas an. Wem es nicht gefällt, darf in den USA studieren oder um Asyl bitten.

Wolfgang Schmid / 28.04.2015

Wie wollen Sie auch mit einem Bachelor in Theaterwissenschaften oder Vergleichender Religionswissenschaft jemals Ihren Kredit zurückzahlen können? Das sollen lieber die Arbeiter mit ihren Steuern dafür aufkommen, dass ein Akademikerkind ein Orchideenfach belegt…

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