Henryk M. Broder / 02.10.2014 / 11:08 / 17 / Seite ausdrucken

Elmar Broks Märchenstunde

An Elmar Brok kommt keiner vorbei. Das liegt weniger an seiner korpulenten Figur als an der Fülle seiner Ämter. Brok sitzt seit 1980 für die CDU bzw. die EVP im Europäischen Parlament. Er ist, unter anderem, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Europäischen Parlaments, Mitglied der EP-Delegation zur Volksrepublik China, Vertreter des Europäischen Parlaments bei den Verhandlungen des Europäischen Rates zur Schaffung einer echten Wirtschafts- und Währungsunion, Außenpolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament und Ehrenvorsitzender der Europa Union Deutschland.

Der joviale und trinkfeste Westfale gilt als bestens vernetzt, er hat Freunde in allen Fraktionen des Europa-Parlaments. Die Pausen zwischen den Sitzungswochen nutzt er gerne für Reisen in die Ferne, nach Washington, Kiew und Moskau, wo er beim 12. Petersburger Dialog ein Impulsreferat zum Thema „Die Zukunft der Europäischen Union“ hielt.

Brok und ich sind uns einige Male begegnet. Bei „hart aber fair“ im WDR, bei einem Streitgespräch für die „Welt“ und zuletzt bei einer Veranstaltung der „Europa Union Deutschland“ in Berlin, die mir einen „Negativ-Preis“ für meine „vornehmlich unsachliche und polemische Europakritik in dem Buch Die letzten Tage Europas“ verliehen hat. Ja, das gibt es wirklich.

Am Ende der Veranstaltung ergriff Elmar Brok das Wort. An mich gewandt, sagte er:

Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Broder, der Sie ein Berufsjournalist geblieben sind…, habe ich zwischen-durch mehrfach den Beruf geändert und bin schließlich auch Politiker geworden… Das unterscheidet uns ein bisschen. Sie sind strikt bei Ihrer Art geblieben und ich muss sagen, ich weiß manchmal nicht, ob es Geschäftsinteresse ist, dass Sie das machen, oder ob das Überzeugungsarbeit ist…

Es wäre der richtige Moment gewesen, aufzustehen und den Raum zu verlassen. Aber ich ahnte, dass es noch besser kommen würde. Nachdem Brok die EU über den grünen Klee gelobt hatte, dass es ihr gelungen war, die „Schlachterei der Jahrhunderte“ unter den Nationalstaaten zu beenden, kam er unvermittelt auf die Schweiz zu sprechen.

In der Schweiz, die sie ja manchmal, Herr Broder, als großes Beispiel darstellen, hat man Freizügigkeit durch Volksabstimmung beendet. So ein Europa möchte ich nicht. Und zwar hat man grade in den Regionen fremdenfeindlich abgestimmt, wo es keine Ausländer gibt… Und diese Suppe möchten wir nicht mehr.

Dann lobte Brok die Wahlen zum Europäischen Parlament als „viel demokratischer“ als die Wahlen in den USA und als „das britische System“, nannte die Wahl von Jean-Claude Juncker zum Präsidenten der Kommission eine „demokratische Revolution“ und sparte nicht mit Selbstlob ob seiner Verdienste um die europäische Integration.

Am Ende seiner Ausführungen kam Brok noch einmal auf die Schweiz zu sprechen.

Die Schweiz kann Schweiz sein, weil es Europa gibt. Die Schweiz hat ihre Unabhängigkeit auch nicht mehr. Heute war der Vertreter des Schweizer Bundesrates bei mir im Büro. Die versuchen jetzt, ihr fremdenfeind-liches Referendum europakompatibel zu machen. Ich hab gesagt, das geht nicht. Wenn ihr fremdenfeindlich seid, könnt ihr auch nicht den Binnenmarkt haben… Und wir sind jetzt in der Lage…, Überlegungen in Gang zu setzen, die auch fast von der Hälfte der Schweizer Bevölkerung geteilt werden,  von denen wir gebeten werden, bleibt da hart, dass diese Fremdenfeindlichkeit wieder verschwindet.

An dieser Stelle machte ich etwas, das man eigentlich nicht tut – ich intervenierte:

Broder: Der Schweiz Fremdenfeindlichkeit zu unterstellen, ist eine absolute Scham- und Maßlosigkeit… Die Schweiz hat einen höheren Ausländeranteil als die Bundesrepublik und die meisten europäischen Länder. Das ist nicht Polemik, das ist Demagogie. Sie erzählen nur Märchen.

Brok: Herr Broder, ich rede zum Publikum, nicht zu Ihnen…, und wenn Sie das hier als eine Positionierung von mir gegen Ihre Position aufnehmen, ist das Ihr Problem. Ich hab Sie gar nicht gemeint.

Broder: Ich stelle nur fest, dass Sie hier Märchen erzählen…

Brok: Ich schicke Ihnen die Ausgabe der NZZ mit den Ergebnissen, wo und wie abgestimmt worden ist, dann können Sie das einmal studieren…

Broder: Ich kenne die Ergebnisse.

Brok: Und wenn ein Land, ein Land…

Broder: Das ist deutscher Postkolonialismus…

Brok: Das ist nicht deutsch, das ist Europa.

Broder: Genau das!

Drei Tage später bekam ich von Brok eine Mail, in der er seine Position noch einmal darlegte. Er halte „die SVP, Herrn Blocher und die Motive für den Erfinder des Referendums in der Schweiz zur Arbeitnehmerfreizügigkeitsregelung mit der EU für fremdenfeindlich“. Damit stünde er nicht allein. „Kirchen, Unternehmensverbände, Gewerkschaften, Sozialisten, Liberale, Christliche Demokraten in der Schweiz teilen meine Sorgen. Es gibt da eine intensive Zusammenarbeit, um der Schweiz eine Brücke zu bauen. Daran bin ich übrigens von meiner EP-Funktion her intensiv beteiligt. Im Übrigen ist dieses Referendum ein Hinweis dafür, wie problematisch das System eines Referendums sein kann.“

Nicht problematisch dagegen ist, wenn sich der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Europäischen Parlaments in die inneren Angelegenheiten eines Landes einmischt, das nicht einmal Mitglied der EU ist. Seine Legitimation bezieht er aus dem Umstand, dass er aus der Schweiz gebeten wurde, darauf hinzuwirken, „dass diese Fremdenfeindlichkeit wieder verschwindet“.

So einer Bitte kann sich der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament nicht verweigern. Vor dem nächsten Referendum sollten die Schweizer unbedingt Elmar Brok konsultieren. Sonst gibt’s wieder was auf die Finger. 

Zuerst erschienen in der Weltwoche vom 2.10.14

 

 

 

 

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Ralf Tetzner / 02.10.2014

“...Legitimation bezieht er aus dem Umstand, dass er aus der Schweiz gebeten wurde, darauf hinzuwirken, „dass…” Altbekanntes Muster. ‘Heim ins (Euro-)Reich!’, sozusagen.

Michael Geier / 02.10.2014

Herr Brok ist einer jener EU-Protagonisten, die vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sehen. Ich meine, checkt es dieses Brüsseler-Gruselkabinett wirklich nicht, dass sie die Probleme nicht lösen, sondern Teil selbigen sind. Die Leute haben die Nase längst voll, von all’ diesen farb-und in der Tat scham-und maßlosen Betonköpfen, die sich noch dazu einbilden, Akzeptanz und Begeisterung für ihr noch maßloseres Machwerk schaffen zu müssen. Sorry,  aber in den Rollen der großen EU-Lenker -und Visionäre, in denen sich diese Figuren ja so gut gefallen, muss man - um Menschen wirklich zu gewinnen - schon mal was ganz andres ausstrahlen, als es Brok, Schulz, Rompoy u. Co. nun mal tun.  “Der Alte”, Rolf Schimpf, maßte sich ja auch nicht an, Nachfolger von Sean Connery in James Bond werden zu müssen.  Herrn Broder zolle ich wieder mal hohen Respekt, dass er an einer Stelle genau das tat, was man beim Verzapfen von Ungeheuerlichkeiten und Säen von Zwietracht eigentlich tun sollte: nämlich intervenieren! Nämlich aufstehen und reden!!  Ansonsten gilt wie immer: Don’t worry, liebe EU-Technokraten: Wer die EU hasst, tut das oft nur, weil er Europa so liebt”!

Alexander Garnreiter / 02.10.2014

Wurde Putin nicht aus der Ukraine gebeten, dass diese russenfeindliche Haltung wieder verschwindet? Aber wie so oft gilt: Quod licet jovi(Brok), non licet bovi(Putin). Wie schade Herr Brok, dass es noch keine europäischen Streitkräfte gibt, sonst könnte man die Schweiz endlich ins Reich… ähhh in die EU zwing… ähhh holen! Außerdem geht es gar nicht, dass die Bürger etwas entscheiden! Die sind viel zu dumm, tumb, fremdenfeindlich, unwissend und nationalistisch, so dass man sie eben zu ihrem Glück zwingen muss. Wer braucht denn überhaupt Wahlen? Die Brok-Eliten wissen es sowieso besser und wollen sich nicht ständig tarnen müssen, um nicht durch einen blöden Zufall abgewählt zu werden. Am EU Wesen soll die ganze Welt genesen! Bald kommt wieder eine Zeit, in der man für Kritik an den Machthabern bestraft wird.

Bernd Zeller / 02.10.2014

Da haben sich die DDR-Bonzen mehr geniert, ihren Herrschaftsanspruch deutlich heraushängen zu lassen. Es war nicht alles schlechter.

Fritz Trischberger / 02.10.2014

Herr Broder, ich finde es großartig, wie Sie die Schweiz verteidigt haben gegen diese ehrlosen Beschuldigungen. Mein Vater hat mir erzählt, daß die Schweizer die ersten waren, die nach dem Krieg wieder mit uns Fußball spielten. Das habe ich nie vergessen.

Marc Fässler / 02.10.2014

Die Deformation Professionneller bei Herrn Brok ist bekannt, das haben Sie, Herr Broder, bei einer Gegenüberstellung mit dem feinen Herrn schon mal schön erwähnt. Ich war gegen die Masseneinwanderungsinitiative, aber in der Schweiz lernt man mit Niederlagen bei Volksentscheiden umzugehen, das können bisweilen Deutsche (EU) Politiker nicht. Man getraut sich ja gar nicht das Volk in gewisse Entscheidungen einzubinden. Man bestimmt einfach oder sitzt es aus (siehe Frau Merkel). Meine Entrüstung über die Äußerungen von Elmar Brok halten sich in (Schweizer) Grenzen, vielleicht auch darum, weil es keinen Zweck hat mit ihm darüber zu diskutieren. Der Herr befindet sich in einer EU Traumwelt, fern ab von Problemen der Menschen in diesem Konstrukt. Schlimmer finde ich, wenn das ZDF bei den Nachrichten die Schweiz und Norwegen hervorhebt, der Rest ist quasi (ausser ein Teil des Balkans) EU Einöde. Man darf gespannt auf das Jahr 2017 sein, wenn die Briten über die EU befinden…

Torsten Lange / 02.10.2014

Der Mann hat nicht verinnerlicht, dass es keine Definitionshoheit darüber gibt, was Europa zu sein habe. Er ist tatsächlich ein in Inhalt und Form bräsig auftretender Postkolonialist, wenn er ihm sauer aufstoßende Ergebnisse von urdemokratisch organisierten Volksabestimmungen als “Suppe” diskriminiert. Dem Zitat von Friedrich Heinrich Jacobi in einem seiner Briefe folgend:  “In der Dummheit ist eine Zuversicht , worüber man rasend werden möchte ” kann ich Broders Reaktion nur allzu gut verstehen.

Axel Borchardt / 02.10.2014

Brok wähnt sich offensichtlich in der Rolle eines Hermann Gessler.  Vermutlich fantasiert dieser Irre im Geheimen vom “Anschluss” der Schweiz.

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