Heute vor zwanzig Jahren rief die „Initiative zur demokratischen Erneuerung unserer Gesellschaft“ zu einem Schweigemarsch am 15. Januar, dem Tag der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg auf. Obwohl die SED traditionell am 3. Januar-Sonntag der ermordeten Spartakistenführer mit einer Großdemonstration gedachte, ließ sie elf Mitglieder der Gesellschaft verhaften. Es durfte nur im staatlich vorgegebenen Rahmen an Karl und Rosa gedacht werden.
Im Jahr zuvor hatte die Staatssicherheit am Rande eben dieser Gedenkdemonstration die größte politische Massenverhaftung von Oppositionellen in der geschichte der DDR durchgeführt. Innerhalb weniger Stunden wurden über hundert Bürgerrechtler verhaftet. Die Stasi hatte damals vor, mittels eines von ihr so genannten „Enthauptungsschlages“ die Opposition , die sich in den achtziger Jahren in der DDR entwickelt hatte, führungslos und damit handlungsunfähig zu machen. Nach den Massenverhaftungen gab es allerdings lang anhaltende Massenproteste. In mehr als dreißig Städten fanden, solange die Bürgerrechtler inhaftiert waren, allabendlich Protestgottesdienste statt, bis Parteichef Honecker die Freilassung aller Bürgerrechtler auf einer internationalen Pressekonferenz
versprechen musste. Von diesen Vorgängen wird heute nicht die Rede sein, wenn die Linke und ihre Vorfeldorganisationen eine Woche früher als üblich zum Sozialistenfriedhof in Berlin-Friedrichsfelde pilgern, um am Gedenkstein für Liebknecht und Luxemburg rote Nelken abzuwerfen.
Warum bricht die Linke in diesem Jahr stillschweigend die Tradition und lässt eine Woche früher marschieren? Ganz einfach: am nächsten Sonntag sind Wahlen in Hessen und da würden die Medien über das Ereignis nicht angemessen berichten. Die Medien hätten an Hand dieses Traditionsbruches thematisieren können, wie die Ermordung von Liebknecht und Luxemburg für die Ziele der Linken instrumentalisiert wird. Sie hätten thematisieren können, dass es sich bei den beiden um die Anführer des Spartakistenaufstandes handelte, in dem eine radikale Minderheit in Deutschaland eine Räterepublik installieren wollte, als Gegenmodell zu der von Friedrich Ebert ausgerufenen Demokratischen Republik. Man hätte den 90. Jahrestag dieses Spartakistenaufstandes dafür nutzen können, klar zu machen, dass er, wie alle folgenden von den Kommunisten angezettelten Aufstände, scheiterte, weil er von der überwältigenden Mehrheit der Arbeiterschaft abgelehnt wurde.
Statt dessen wird z. B. im „Tagesspiegel“ ganz im Sinne des einst von der DDR vermittelten Geschichtsbildes der Frage nach der Mitschuld des SPD-Mitglieds Noske und auch des sozialdemokratischen Reichspräsidenten Ebert an der Ermordung von Liebknecht und Luxemburg nachgegangen. Die größte Schuld, die Ebert und Noske auf sich geladen haben, ist, Deutschland damals davor bewahrt zu haben, eine Räterepublik nach bolschewistischem Vorbild zu werden. Damit haben sie zugleich verhindert, dass aus Lenins Revolution wie geplant eine Weltrevolution wird. Deutschland sollte nach den Vorstellungen der Strategen der Bolschewiki eine Schlüsselrolle bei der globalen Verbreitung der Revolution spielen.
Die Ermordung von Liebknecht und Luxemburg war ein Unrecht, aber diese Ermordung macht sie nicht zu Demokraten. Sie taugen nicht als Ikonen der Demokratie, oder als Namensgeber für eine politische Stiftung, die sich dem Verfassungsauftrag verpflichtet fühlt. Diese Widersprüche müssten in der Auseinandersetzung mit der Linken diskutiert werden, statt den Geschichtsmythen einer Partei auf den Leim zu gehen, die nach eigener Aussage den „Systemwechsel“, was in einer Demokratie nur heißen kann, den Wechsel weg von der Demokratie, anstrebt.