Michael Miersch / 09.08.2012 / 08:18 / 0 / Seite ausdrucken

Ein Schwabinger Monolog (4. Teil)

Wann immer ich mit Leuten aus dem Kultur-, Medien- und Erziehungsberufen zusammensitze, breitet irgendjemand sein Weltbild aus. Leider ist es immer das gleiche Weltbild. Es besteht aus vorgekauten Floskeln über „die da oben“, dumme Amerikaner, gesundes Essen, Sonnenenergie und den Verfall der Werte. Die so sprechen sind zumeist beruflich erfolgreiche Mittvierziger in schicken Altbauwohnungen, die ihre Kinder auf Waldorfschulen schicken. Ich habe mal alles zusammengeschrieben, was ich seit Jahren zu hören kriege:

„…Es ist der Stress, der uns krank macht. In der neoliberalen Wirtschaftsordnung geht es doch nur um funktionieren, funktionieren, funktionieren. Dazu kommt die Umweltverschmutzung. Man kann nicht mal mehr einen Pilz am Wegesrand pflücken, weil er durch Tschernobyl und Fukushima belastet ist. Oder einfach mal entspannt in der Sonne liegen, ohne Hautkrebs zu kriegen, weil die Sonne durchs Ozonloch brennt. Wo man hingeht und was man tut, alle sind im Stress. Alle sind chronisch überfordert. Burnout ist zur Volkskrankheit geworden.

Das war früher nicht so. Da wurde das Leben noch nicht vom Takt der Börse vorgegeben. Gesundes, natürliches Essen kam auf den Tisch und mehrere Generationen lebten in einem Haus. Heute sind wir alle nur noch Nummern, wohnen einsam und anonym in immer größeren Städten. Keiner kennt keinen. Wo früher noch gemeinsam gekocht wurde, gibt es nur noch Lieferservice und Fast Food.

Die Menschen waren früher nicht so häufig krank. Mag sein, dass sie nicht so alt wurden, aber es kommt doch nicht darauf an das Leben mit Jahren zu füllen, sondern die Jahre mit Leben. Von wegen Fortschritt! Im Mittelalter gab es die Pest und heute Atomkraftwerke. Wo ist der Unterschied?

Die Pharmaindustrie produziert immer neue Drogen, mit denen das Leben künstlich in die Länge gezogen wird. Doch werden wir dadurch glücklicher? Alles spricht dagegen. Noch nie hatten Psychologen so viel zu tun, noch nie spürten so viele Menschen eine innere Leere. Niemand kann behaupten, dass die Welt, so wie sie heute ist, in Ordnung wäre. Wie auch? Unser ach so wunderbarer Wohlstand basiert doch auf dem Unglück der Armen in der Dritten Welt. Mit diesem Schuldgefühl kommen viele Westmenschen nicht klar und werden krank. Sie behandeln ihre Körper und Seelen mit den Drogen der Pharmaindustrie und erkennen gar nicht, dass dies nur Symptome sind. Die tatsächliche Krankheit heißt entfesselter Kapitalismus. Wir sind umzingelt von den Risiken eines außer Kontrolle geratenen Wirtschaftssystems und einer unbeherrschbaren Technologie. Das muss verändert werden. Nur wenn uns das gelingt, werden unsere Körper und Seelen gesunden.

Immer mehr, immer schneller, immer weiter. Das reden Sie uns Tag und Nacht ein. Aber wozu? Das Streben nach Wachstum ist ein verhängnisvoller Irrweg. Das sagt auch der Philosoph Richard David Precht. Westlicher Wachstumswahn führt in die Katastrophe, nur wenn die Wirtschaft gebändigt wird, ist überhaupt noch etwas zu retten. Der Kapitalismus kann nur überleben, indem er immer mehr Konsumgüter produziert, dadurch zerstört er die Natur. Er muss immer neue Konsumgüter auf den Markt werfen, um die Menschen dazu zu bringen, immer mehr zu kaufen und zu kaufen. So schaukelt sich das Ganze hoch und irgendwann stürzt es mit einem lauten Knall zusammen. Es ist eine Spirale der Gewalt gegen die Erde. Wachstum ist Gift für den Planeten. Was werden wir unseren Kindern hinterlassen?

Vieles deutet darauf hin, dass wir gerade den Anfang vom Ende erleben. Überall in der marktwirtschaftlichen Welt bröckelt es. Seit der Finanzkrise 2008 ist es nicht mehr zu leugnen: Dieses System des Wachstums um jeden Preis ist krank und zwar von Grund auf. Immer aberwitzigere Summen müssen zur Rettung aufgebracht werden.

Wir brauchen Entschleunigung, die Entdeckung der Langsamkeit! Es wird Zeit, einmal weniger zu konsumieren und dafür mehr Respekt vor der Natur zu zeigen. Der Wahnsinn der letzten Jahre, der den Wohlstand einer kleinen Elite in die Taschen spülte, beweist, was für ein Irrweg dieser Wachstumsfanatismus war. Nun heißt es, humanere und nachhaltige Alternativen zu entdecken. Das islamische Bankwesen kommt ganz ohne Zinsen aus. Das wäre doch ein Anfang!…“ 

Wird fortgesetzt

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