Vince Ebert / 30.09.2009 / 17:40 / 0 / Seite ausdrucken

Ein Hoch auf den Kapitalismus

Zwei Bekannte von mir haben beide ihr Studium mit Auszeichnung gemacht. Der eine, nette, war ein philosophisch interessierter Visionär mit einem tiefen Gerechtigkeitssinn. Der andere war schon in der Schule ein oberflächlicher Materialist, der unbedingt Karriere machen wollte. Nach dem Studium schließt sich der Idealist Greenpeace an, kettet sich an einen Mammutbaum, zerstört Genmaisfelder und hält Walfangboote mit dem Schlauchboot auf. Der Yuppie hingegen wird Investmentbanker, verkauft faule Derivate und kassiert 500.000 Euro pro Jahr. Versteuern tut er nur 300.000 – den Rest hinterzieht er.
Die Ironie an der Geschichte ist: Während der intellektuelle Weltverbesserer einen Baum gerettet hat, der drei Monate später gerodet wurde, und außerdem ein paar Bauern und Walfängern gehörig auf den Geist gegangen ist, hat das Arschloch im Designeranzug der Gesellschaft 150.000 Euro Steuern für Schulen, Straßen und Kultureinrichtungen eingebracht. Von den unterschlagenen 200.000 Euro kauft er Autos, Schmuck und teueres Essen, bezahlt seine Putzfrau, seinen Golflehrer und seinen Koksdealer. Der engagierte Gerechtigkeitsfanatiker kostet nur, der entfesselte Turbokapitalist gibt – ohne dass er das will – der Gesellschaft etwas zurück.
Das ist das Raffinierte am Kapitalismus. Man muss kein guter Mensch sein, um sich moralisch gut zu verhalten. Denn Kapitalismus dient nicht einem höheren Zweck. Er ist das einzige Wirtschaftssystem, das keine Ideologie darstellt. Wahrscheinlich ist er deswegen so unbeliebt.
Auch die friedensstiftende Funktion des Kapitalismus wird selten erwähnt. Wer miteinander Handel treibt, wird fast zwangsläufig kriegsmüde. Weil bei jedem Blutbad die Umsätze leiden. Keine zwei Staaten, in deren Hauptstadt eine MacDonalds-Filiale steht, haben jemals Krieg gegeneinander geführt. Wahrscheinlich unterscheiden die Amerikaner genau so zwischen Gegner und Verbündeten. Von wegen „Achse des Bösen“. Die einzig relevante Frage für eine feindliche oder friedliche Mission lautet: Gibt es dort Big Macs?
Jedem profitorientierten Unternehmer ist es egal, welcher Nationalität, Religion oder Rasse die Kunden angehören. Hauptsache, man kommt ins Geschäft. Tatsächlich waren Kaufleute schon immer die ersten, die zwischen unterschiedlichen Völkern vermittelt haben. Kapitalismus macht die Menschen friedlicher. Einzige Ausnahme: Die erbitterten Kämpfe an der Wühltheke beim Sommerschlussverkauf.
Auch die Vorstellung, dass Konzerne die Menschen arm halten, um sie besser ausbeuten zu können, ist falsch. Für Prada, Gucci oder Armani ist es eine wirtschaftliche Katastrophe, dass die Menschen in Bangladesh ihre T-Shirts aus Altkleidersammlungen beziehen müssen und nicht aus klimatisierten Designershops. Vor 100 Jahren hob Henry Ford zähneknirschend das Lohnniveau seiner Arbeiter an, weil er erkennen musste, dass sich nur so die Leute seine Autos leisten konnten.
Auch ich dachte lange Zeit, Kapitalisten sind allesamt rücksichtlose, kaltherzige Menschen. Mit 17 lud mich ein Schulkollege zu seinem Geburtstag ein. Sein Vater war Unternehmer und er wohnte mit seiner Familie in einer ziemlich beeindruckenden Villa. Ich betrat leicht angewidert die Eingangshalle, die so aussah, als ob jetzt gleich J.R. die Treppen herunterkam und Dinge sagte wie: „Sue Ellen trinkt wieder…“
Zu meiner Überraschung betrat ein zurückhaltender, älterer Herr den Raum, der sich im Laufe des Abends als weitaus sozialer, nachdenklicher und verantwortungsbewusster entpuppte, als alle meine Bekannten, die solche Menschen als „Kapitalistenschweine“ beschimpften. Nach diesem Abend beschloss auch ich, ein Kapitalist zu werden.

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