Zuerst erschienen im Online-Nachrichtendienst www.neue-nachricht.de
Man muss die eigene Erwartungshaltung schon arg gedrosselt haben, um das neue Eckpunktepapier zur Novelle des deutschen Gentechnikgesetztes (GenTG) als Fortschritt zu bewerten, wie vereinzelt tatsächlich von „nicht-grüner” Seite geschehen. Andersherum betrachtet: Es zeugt wohl vor allem von Betriebsblindheit, wenn dasselbe Papier als Vorstufe zu einem „Gentechnik-Durchmarsch-Gesetz” tituliert wird. Unterm Strich ist das Eckpunktepapier aus dem Hause Seehofer die Fortsetzung des Künastschen Ansatzes, an der Grünen Gentechnik in Deutschland wie an einer heißen Kartoffel herumzufingern.
Unbestreitbar gibt es jetzt endlich einige wichtige Klarstellungen. Doch darauf warten Landwirte, Züchter und Forscher in Deutschland seit Jahren. Zur Erinnerung: Das für die deutsche Novelle maßgebliche EU-Regelwerk (die EU-Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EG) hätte eigentlich schon bis Oktober 2002 in deutsches Recht umgesetzt werden müssen. Aber erst im Februar 2006 wurde dieser EU-Forderung in letzter Minute Rechnung getragen. Ein „Kompromisspapier” wurde nach dem Regierungswechsel durch die Instanzen gejagt, um EU-Zwangsgelder von täglich 792.000 Euro zu umgehen. Die Bundesregierung versprach, bald würde eine richtige Novelle folgen, um die Chancengleichheit bei der Wahl landwirtschaftlicher Systeme herzustellen. Bundesagrarminister Seehofer stellte sogar in Aussicht, schon bis Juni 2006 in die Tasten zu greifen - und damit nicht mehr als dem Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD zu genügen. Darin hatten die Regierungsparteien nämlich vereinbart, den landwirtschaftlichen Anbau von GV-Pflanzen zu erleichtern, vor allem die einseitigen Haftungsregeln zu Lasten von Bauern, die transgene Pflanzen kultivieren wollen, abzuschaffen. Bis heute sollen sie dafür zur Kasse gebeten werden, wenn der Pollen ihrer GV-Pflanzen sich natürlich verhält und mitunter auch einmal auf konventionellen oder ökologisch kultivierten Nachbarfeldern einkreuzt. Haften sollen sie sogar dann, wenn die Einkreuzungsrate unter dem gesetzlichen Schwellenwert von 0,9 Prozent liegt.
Von einem Sicherheitsrisiko kann bei solchen Fällen sowieso keine Rede sein, denn alle zugelassenen Pflanzen sind sicher für Mensch und Natur. Als Gipfel sollen GVO-Landwirte sogar in eine Art Sippenhaft genommen werden, wenn sich nicht klären lässt, woher der fremde Pollen wehte. Seehofer wollte und sollte all dies abstellen, ließ aber lieber ein weiteres Jahr verstreichen. Jetzt ist klar, dass er es vorzieht, den Spuren seiner Vorgängerin Künast folgt. Deren Novelle hieß zu Recht “Gentechnikverhinderungsgesetz”. Die deutschen Pflanzenzüchter erachten es zumindest als kleinen Fortschritt, dass im neuen Eckpunktepapier die Meldepflichten beim Standortregister für GVO-Anbauten eingeschränkt werden sollen. Fortan muss nur noch die Gemarkung öffentlich gemacht werden, die genaue Lage der GVO-Felder nicht. Den Durchbruch wird das nicht bringen, aber so sollen Feldzerstörungen und die Einschüchterungen von Landwirten eingedämmt werden. Positiv vermerkt wird auch, dass endlich die Notwendigkeit erkennt wird, auch einen Schwellenwert für den Fall von Vermischungen bei Saatgut festzulegen.
Aber das war’s dann auch schon. Vom netten Vorwort und dem Seehoferschen Bekenntnis zur Erforschung und Anwendung der Grünen Gentechnik sollte man sich nicht blenden lassen. Mit derlei Stellungnahmen ließe sich der Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor zupflastern. Es gab sie auch schon vor sieben Jahren aus dem Munde von Gerhard Schröder. In den Grundzügen ist das Eckepunktepapier nicht mehr als die Fortsetzung des politischen Eiertanzes, der hierzulande um die Anwendungen moderner Biowissenschaften gemacht wird. Die durch etliche Wissenschaftsstudien im In- und Ausland fundierte Erkenntnis, dass von transgenen Pflanzen keine besonderen Gefahren ausgehen, dass etwaige Risiken kontrollierbar sind, dass GV-Gewächse ökonomische wie auch ökologische Vorteile bieten können (niemand spricht von müssen, vielmehr soll die Angebotspalette im Agrarhandel erweitert werden) - all das ist in der deutschen Politik offenbar auch unter Schwarz/Rot nicht angekommen. Auch nicht, dass es weltweit schon reichlich konkrete Erfahrungen gibt: allein 2006 wurden weltweit auf 102 Millionen Hektar GV-Pflanzen kultiviert. In anderen Ländern florieren längst Pflanzen der so genannten ersten Generation, etwa Bt-Mais mit Abwehrkräften gegen Frassschädlinge, die auch hierzulande ihr Unwesen treiben. In Deutschland werden diese Kulturen von Potestgruppen in Schutzanzügen aus dem Acker gerissen, die Politik schweigt dazu. Von wirklicher “Wahlfreiheit” für Landwirte, die sich in Ihrem Agrar-Supermarkt einfach nur zwischen A (konventionell), B (ökologisch) oder C (biotechnologisch) entscheiden wollen, kann in Deutschland noch lange keine Rede sein.
Wesentliche Aspekte aus dem einst von der Opposition verteufelten Künast-Gesetz sollen jetzt erhalten bleiben. Darunter leidet auch der deutsche Forschungsstandort. Über Wissenschaftsinstitutionen schwebt nach wie vor ein Damoklesschwert, wenn bei Freilandversuchen (natürlich zuvor als unbedenklich bewertete) GVO unbeabsichtigt auf Nachbaräckern landen. Momentan wird dies als „ungenehmigtes Inverkehrbringen” betrachtet, was immense Haftungskosten für die Institute nach sich ziehen kann. Die Forschung hat dies wiederholt massiv kritisiert und die Rüge auch jetzt wiederholt. Nun deutet sich immerhin eine Lösung an: Der Bund will für die reinen Ernteverluste betroffener Nachbarn ev. die Haftung übernehmen. Doch versprochen wird nichts, was so viel heißt wie: Es bleibt erst einmal alles beim Alten. Auch die oben genannte „gesamtschuldernische Haftung” mit oder ohne nachweisbarem Verschulden soll im Falle von GVO-Austragungen bestehen bleiben. Der Schwellerwert von 0,9 Prozent, der für die Kennzeichnungspflicht vorgeschrieben ist, wird dabei wohl auch weiterhin keine Rolle spielen - wohl aber die „Nulltoleranz”, die sich der Ökolandbau als subjektiv messbares Qualitätskriterium auf die Fahnen geschrieben hat. Der Künastsche Geist schlägt sich auch bei den vorgeschlagenen Abstandsregeln nieder: 150 Meter Isolationsabstand soll zukünftig zwischen einem GV-Maisfeld zu anderen Kulturen liegen. In kleinparzelligen Anbaugebieten wird der Gentechnik damit ein Riegel vorgeschoben, hier werden nur noch “Insellösungen” möglich sein. Die Wissenschaft hat indes festgestellt, dass in der Regel 20-25 Meter genügen, um die gesetzlichen Schwellenwerte einzuhalten. Die 150 Meter sind also ein rein „politischer Wert”. Aber im europäischen Ausland ist es ebenfalls üblich, dicke politische Zuschläge auf die Empfehlungen der Forschung draufzusatteln. Hier ist Deutschland sogar ausnahmsweise mal nicht das Schlusslicht.
Das „heiße Eisen” Gentechnik wird uns also erhalten bleiben. Seehofer, der es sich scheinbar zur eigenen Maxime erklärt hat, es allen Recht machen zu wollen und keine gefühlten Mehrheiten (70-80 Prozent der Verbraucher sind skeptisch gegenüber der Gentechnik - wen wundert’s bei der Politik) zu verletzen, hat erneut den Spagat geübt: ein verbales Lippenbekenntnis zu Wissenschaft und Technik, ein paar kleine Zugeständnisse an innovationsfreundliche Landwirte und Forscher, auf der anderen Seite anhaltender Schmusekurs mit der nicht besseren aber populäreren Ökoindustrie Deutschlands. Seehofer will sich jetzt sogar in Brüssel dafür stark machen, dass tierische Lebensmittel (also Fleisch, Eier oder Milchprodukte), bei denen GV-Futter zum Einsatz kam, gekennzeichnet werden. Er macht damit das nächste Fass (ohne Boden) auf. Die jetzigen GV-Kennzeichnungsregeln sind schon Novum genug: erstmals dienen nämlich bei der Frage der Deklaration auf Lebensmitteln subjektive Einstellungen als Grundlage. Entgegen einer Kennzeichnung zum Beispiel von Allergenen gibt es nämlich keinen objektiv messbaren Nutzen für den Verbraucher. Seehofer treibt dieses Spiel nun munter weiter. Es ist ein Spiel ohne Grenzen, das vielleicht erst dann zum (makabren) Ende kommt, wenn wir alle Lebensmittel, bei denen irgendwann irgendwelches „Hightech” zum Einsatz kam, vorsorglich mit einem Warnaufkleber „Achtung: hier steckt Fortschritt drin, der ev. mit Risiken behaftet ist” versehen. Das wäre wohl der Gipfel der „Transparenz”, der manchem modernen Verbraucherschützer vorschwebt.