Vera Lengsfeld / 15.01.2010 / 12:55 / 0 / Seite ausdrucken

Doppeltagebuch 1990 /2010 - 13. bis 15 . Januar

13.1. Die Sozialdemokraten der DDR beschließen die Umbennung ihrer Partei in SPD.
14.1. Demonstration in Magdeburg. Wieder gehen Zehntausende gegen die SED-PDS auf die Straße. Sie fordern vor allem eine Abschaffung der Staatsicherheit.
15.1. Die siebte Sitzung des Runden Tisches beginnt. Ministerpräsident Modrow ist dieses mal pünktlich erschienen. Er kann angesichts der Massendemonstrationen dieses Gremium nicht länger ignorieren. Das ist ein Sieg der Opposition, die sich nun mit ihrer Vorstellung des Runden Tisches als Kontrollorgan der Regierung durchgesetzt hat. Modrow muss die Auflösung der Staatsicherheit unter ziviler Kontrolle zugestehen. Der Runde Tisch wird darüber informiert, dass die Staatsicherheit nach wie vor über 85 000 schwer bewaffnete Mitarbeiter verfügt, von denen sich die Hälfte in Berlin befindet. Daneben gäbe es 109 000 inoffizielle Mitarbeiter, eine Zahl, die zu niedrig gegriffen ist, wie sich später heraus stellen sollte. Mitten in die Sitzung platzt die Mitteilung, dass sich zehntausende Menschen vor der Stasihauptzentrale in der Normannenstraße versammelt haben, die das Gebäude zu stürmen drohen. Ministerpräsident Modrow und mehrere Mitglieder des Runden Tisches , unter ihnen Ibrahim Böhme und Wolfgang Schnur, die Chefs von SPD und Demokratischer Aufbruch, die wenige Wochen später als IMs enttarnt werden sollten, begeben sich sofort in die Normannenstraße, um die Erstürmung zu verhindern. Das gelingt nicht. Der Druck der auf 100 000 Menschen angewachsenen Menge ist zu groß. Als das Haupttor unerwartet geöffnet wird, stürmen die Menschen auf das riesige Gelände. Die voraneilenden jungen Männer lenken die Menge geschickt zu Nebengebäuden, wie den Kantinenbereich, wo sie anfangen Möbel zu zerschlagen und Gegenstände aus dem Fenster zu werfen. Auch das bald massenhaft herumflatternde Papier sind keine Stasiakten, sondern größtenteils leere Formulare. Bis heute ist nicht geklärt, wer die Menschen erfolgreich davon abgehalten hat, ins Hauptgebäude einzudringen. Genutzt hat das Manöver am Ende nichts, denn die Staatsicherheit war durch keinen Trick mehr zu retten.  Gut belegt ist allerdings die Tatsache, dass westliche Geheimdienste die Gunst der Stunde besser nutzten, indem sie im Durcheinander jede Menge Material an sich brachten. Für die Öffentlichkeit war nur eines wichtig: mit dem Sturm auf die Zentrale war die Staatssicherheit endgültig am Ende. Die Menschen können aufatmen.

Die „Linke“ opfert ihren Bundesgeschäftsführer, um die Krise, in der sie steckt, zu meistern. Man darf gespannt sein , wie lange die Wirkung vorhält. Nicht lange, darf nach der Erklärung von Dietmar Bartsch vermutet werden, der mit ungewohnter Deutlichkeit die Risse in der Partei aufzeigt.

„In den letzten Wochen“, schreibt Bartsch, „ ist allerdings eine Situation entstanden, die die Politikfähigkeit der Partei gefährdet. Über mich wurden Lügen verbreitet, gegen mich wurden inakzeptable Vorwürfe in zum Teil extrem kulturloser Weise erhoben. Sogar von Illoyalität war die Rede. Noch einmal will ich in aller Klarheit feststellen: Den Vorwurf der Illoyalität weise ich entschieden zurück. Parteitags- und Vorstandsbeschlüsse waren und sind die Grundlage meiner Arbeit. Im Kern geht es nicht um eine personelle Auseinandersetzung. Es handelt sich nicht um einen Konflikt zwischen Lafontaine und Bartsch, es handelt sich erst recht nicht um einen Konflikt zwischen Ost und West. Es geht um die politische und strategische Ausrichtung der Partei.?Wie in jeder Partei, so gibt es auch in der Linken Auseinandersetzungen um den Kurs und um politische Herangehensweisen. Ich setze mich dafür ein, dass wir in der Partei eine offene Programmdebatte führen, die von geistiger Weite geprägt ist und in einem kulturvollen Klima stattfindet.“ Dafür kann er jetzt nur noch als einfaches Mitglied kämpfen. Es ist wahrscheinlicher, dass er scheitert, als dass er Erfolg hat. Dafür wird das wenig kulturvolle Klima in der Partei sorgen

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