Nachdem DDR-Wirtschaftsminister Günter Mittag gestern dem Saarländischen Ministerpräsidenten Lafontaine seine Aufwartung machen durfte, wird er heute von Bundeskanzler Kohl empfangen. Über dieses Gespräch ist nicht viel zu erfahren. Über den wahren Zustand der DDR- Wirtschaft wird Mittag den Kanzler nicht aufgeklärt , seine Forderung nach einem Kredit für die chronisch klamme DDR wird er aber wiederholt haben. Die Begründung, die Mittag für den Finanzbedarf des SED-Regimes gegeben hat, wäre interessant zu wissen. Vermutlich hat er mit den „menschlichen Erleichterungen“, die sich aus dem neuen Reisegesetz ergeben haben, argumentiert. Das Regime verkauft seine Landeskinder stückweise.
Eines haben Kohl und Mittag garantiert nicht besprochen: die revolutionären Neuerungen, die das Polnische Parlament am Vortag verabschiedet hat. In Polen geht es nicht um auf Gutsherrenart gewährte „menschliche Erleichterungen“. Hier werden gesetzliche Weichen für mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gestellt. Das Gewerkschaftsgesetz ist neu gefasst worden und die Einführung eines Zweikammern-Parlamentes wurde beschlossen. Damit ist das Ende der Einparteienherrschaft gesetzlich besiegelt worden.
Während vor zwanzig Jahren die Ostblockstaaten sich mühsam immer mehr Rechtsstaatlichkeit erkämpften, wird unser Rechtsstaat vor aller Augen immer mehr ausgehöhlt. Vor kurzem war es der Thüringische Justizminister, der die Beweislastumkehr für Unternehmen forderte, die nachweisen müssen, dass sie Männer und Frauen für die gleiche Arbeit gleich entlohnen. Heute ist es Finanzminister Steinbrück, der ankündigt, dass er künftig für Großverdiener auch ohne Vorliegen von Verdachtsmomenten unangemeldet die Steuerfahndung ins Haus kommen kann. Damit wäre es vorbei mit der Rechtssicherheit für Großverdiener. Sie wären, wie seinerzeit in den kommunistischen Staaten, der Willkür ausgeliefert. Eine Gruppe von Menschen rechtlos zu machen, ist der Einstieg in die Diktatur. Steinbrück müsste nach solch einer Ankündigung sofort als Minister einer demokratischen Regierung untragbar sein. Unerträglich ist der Vorgang besonders deshalb, weil Steinbrück soeben die Verlängerung der Abwrackprämie mitbeschlossen hat, die nun zum teuersten „Wahlgeschenk“ aller Zeiten wird. Steinbrück unterstützt also Steuermittelverschwendung bis zur Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit. Armes Deutschland!