Vera Lengsfeld / 09.06.2009 / 16:08 / 0 / Seite ausdrucken

Doppeltagebuch 1989/2009-9..Juni

Immerhin: der Regierende Bürgermeister von Westberlin Walter Momper kritisiert das harte Vorgehen der Volkspolizei und der Staatsicherheit gegen die Demonstranten in Berlin. Das „Neue Deutschland“ behauptet, die DDR erfülle ihre KSZE-Verpflichtungen. Zu denen gehört allerdings das Recht auf freie Meinungsäußerung, das gerade öffentlich mit Füßen getreten wurde und die Reisefreiheit, von der die DDR immer noch weit entfernt ist. Die Volkskammer tagt . Das passiert nicht oft, höchstens zwei-dreimal im Jahr. Die Abgeordneten müssen ihre Zeit im Plenum verbringen oder in den Vorräumen. Über eigene Büros verfügen sie nicht. Auch nicht über Mitarbeiter. Wozu auch? Sie haben sowieso nichts zu sagen. Sie müssen nur dem Haushalt von 1988 zustimmen, den sie nicht im Einzelnen kennen.
In Ungarn sind die Volksvertreter, aber auch die Genossen längst nicht mehr so brav. Ungarns Kommunisten beschließen Verhandlungen mit der Opposition am „Eckigen Tisch“ Dem waren aufregende Tage in Budapest voraus gegangen. Die Suche nach der historischen Wahrheit war ein wichtiges Handlungsmotiv für die ungarische Opposition.
Endlich sollte geklärt werden, was im Spätherbst 1956 nach der Niederschlagung des Ungarischen Aufstandes geschah. Über 200 Menschen waren damals wegen ihrer Teilnahme am Aufstand hingerichtet worden. Etwa 20 00 wurden zu Haftstrafen verteilt. Fast dreißig Jahre war über das Schicksal der Hingerichteten nichts bekannt.
„Emele’kezünk!“- Erinnern wir uns! Wurde zum Schlachtruf des Budapester Frühlings. Beinahe täglich gab es neue Enthüllungen über die nationale Tragödie von 1956, der die Kommunistische Partei inzwischen zugestand, eine Volkserhebung gewesen zu sein, wenn auch eine mit „konterrevolutionärem Ausgang“. Das war das Ende von politischen Denkverboten und Schweigespiralen. Bald darauf wurden die Leichen der 1956 Hingerichteten auf einem Budapester Friedhof entdeckt, auf dem Schindanger, wo auch verendete Zirkustiere beigesetzt wurden. Die Toten waren zunächst in einer Grube auf dem Gelände des Polizeihauptquartiers mit dem Gesicht nach unten einbetoniert worden, später exhumiert und heimlich in dem abgelegenen Teil des Friedhofes verscharrt worden. Während der Aufräumarbeiten fanden die Oppositionellen einen Brief der Witwe des hingerichteten Ministers Lengyel: „ Verehrte Herren, benachrichtigen Sie mich bitte, wenn Sie das Grab meines Mannes gefunden haben“... Über dreißig Jahre hat Frau Lengyel nicht gewusst, wo ihr Mann verscharrt worden war.

In Deutschland, zwanzig Jahre nach dem Mauerfall, ist der Schlachtruf nicht Erinnern wir uns, sondern: Wir wollen uns nicht erinnern. Eine ganz große Koalition von CDU/CSU über SPD bis zur Linken will über die Stasiverstrickungen von Westdeutschen und Westberliner Politikern und Beamten nicht reden, geschweige denn, sie untersuchen. Wieder gibt es eine ungute Schweigespirale. Der ehemalige Regierende Bürgermeister Diepgen (CDU) gibt zwar zu , von Stasimitarbeitern in der Westberliner Politik und Verwaltung zu wissen, wehrt aber eine Untersuchung ab. Zur Glaubwürdigkeit der Politik trägt das nicht bei, zur Stärkung der Demokratie auch nicht.
Über immer noch aktive Stasiseilschaften will man nichts hören. Es sind Einzelne, die ihre Stimme erheben, wie Johannes Hampel, der in seinem Blog auf die Verflechtungen von Stasi und Mafia hinweist. http://johanneshampel.online.de

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