Die gewalttätigen Übergriffe der Sicherheitskräfte vom Vortag sind für zahlreiche Künstler und ihre Verbände Anlass, sich mit den Demonstranten zu solidarisieren:
„Schluss mit der Gewalt gegen friedliche Demonstranten“ wird in einem „Aufruf im 41. Jahr der DDR“ von der Sprechergruppe junger Theaterschaffender gefordert. In Jena drohen die Arbeiter einer Großbäckerei mit Streik, wenn die Prügelei auf den Straßen nicht aufhören sollte. In zahlreichen Städten, großen und kleinen, gibt es wieder Demonstrationen und Proteste. Ilmenau, Lindow, Chemnitz, Plauen, Berlin. In der Hauptstadt versammeln sich die Menschen wieder an der Gethsemanekirche. Vor der Kirche und in den Fenstern der umliegenden Häuser brennen unzählige Lichter. Die Polizei kesselt die Demonstranten ein und fordert sie zum Abzug durch eine schmale Gasse von Sicherheitskräften auf. Die Menschen setzen sich daraufhin auf das Straßenpflaster. Als die Sicherheitskräfte den Demonstrationszug stürmen, werden alle, die nicht rechtzeitig in die Kirche flüchten konnten, brutal attackiert. An den „Zuführungspunkten“ für die zahlreichen Verhafteten kommt es wieder zu Gewaltorgien. Viele der Sicherheitskräfte sollen nach Berichten der Betroffenen alkoholisiert gewesen sein.
Ab dem Nachmittag gibt es auch in Dresden wieder Demonstrationen. Die SED versucht, so genannte „gesellschaftliche Kräfte“ dazu zu bewegen, die Demonstranten zum Verzicht auf ihre Aktion zu überreden. Bei diesen „gesellschaftlichen Kräften“ handelt es sich um SED-Mitglieder, die sich unter die Demonstranten mischen sollen. Von den 800 angeforderten Kräften erscheinen aber kaum die Hälfte. Und die erschienen sind, haben keinen Erfolg. Gegen 20 Uhr wird ein Teil der Demonstranten eingekesselt. In dieser Situation gelingt es zwei Geistlichen durch Verhandlungen mit dem Einsatzkommandeur zu erreichen, dass die Demonstranten abziehen werden, wenn eine Gruppe von Oberbürgermeister Berghofer und Bezirksparteichef Modrow empfangen wird. Von den Demonstranten werden 20 Menschen benannt, die am nächsten Tag um 9 Uhr im Rathaus mit den SED-Funktionären sprechen sollen. Die „Gruppe der 20“ ist geboren, die einen entscheidenden Einfluss auf die weitere Entwicklung in Dresden nehmen wird.
Während es bei den Sicherheitskräften auf der Straße zu wachsenden Zweifeln an ihrem Einsatz gegen die Demonstranten und sogar zu vereinzelten Befehlsverweigerungen kommt, ist Staatschef Honecker noch immer uneinsichtig. Angesichts der bevorstehenden nächsten Montagsdemonstration fordert er alle 1. Sekretäre der Bezirksleitungen der SED auf, künftige Demonstrationen mit allen Mitteln zu verhindern. Sein Stasichef Mielke befiehlt die volle Dienstbereitschaft seiner Truppe und die Bereitstellung von Reserven zur Auflösung von Demonstrationen. So gerüstet sehen sie dem Montag mit Siegeszuversicht entgegen.
Glückwunsch für Herta Müller! Der Nobelpreis ist hochverdient. Jetzt wird die „Atemschaukel“ von mehr als nur den üblichen Insidern gelesen werden. Das ist bitter nötig in einer Zeit, wo gern alles vergessen wird, was die kommunistische Diktatur betrifft.