Der Tag der Kommunalwahl ist da. In Leipzig demonstrieren über 1000 Menschen gegen die Wahlpraxis in der DDR und fordern freie Wahlen.
Als sich landesweit abzeichnet, dass die Beteiligung weit geringer ausfallen würde, als in den Vorjahren, werden ab Mittag verstärkt die berüchtigten Schlepperkolonnen eingesetzt. Diese Schlepper hatten die Aufgabe, die Wahlunwilligen mit Versprechungen oder mit Einschüchterungen zur Teilnahme an der Abstimmung zu bewegen. Bevor die Wahllokale geschlossen wurden, kamen ungewöhnlich viele Menschen herein, die an der Stimmauszählung als Beobachter teilnehmen wollten. Sie notierten sich die Ergebnisse genau und gingen anschließend zu den von der Opposition vereinbarten Sammelpunkten. Es stellte sich heraus, dass in hunderten Wahllokalen das Ergebnis kontrolliert worden war. Eines hatten alle Zahlen gemeinsam. Die Prozente lagen weit unter den üblicherweise verkündeten 99,xx Prozent, die sonst immer als Resultat worden waren. Erstmals hatten auch Mitglieder der Blockparteien CDU und LDPD sich an den Aktionen beteiligt. Gespannt warteten alle auf das offizielle Endergebnis. Als der Wahlleiter Egon Krenz am späten Abend wieder ein Ergebnis über 99 % verkündete, ging ein Aufschrei durch das Land. Man hatte immer gewusst, dass die Wahlergebnisse geschönt waren. Nun hatte man den Beweis in der Hand, dass die SED vor plumpen Fälschungen nicht zurückschreckte. Noch in der Nacht traf die Opposition die Vorbereitungen zur Veröffentlichung ihrer zahlen. Eine Wahlzeitung wurde gedruckt, die an die Westmedien gegeben wurde, damit diese die Zahlen über den Bildschirm auch in den letzten DDR-Haushalt verbreiteten. Aber natürlich wurde die Zeitung auch im Inland verbreitet und hundertfach kopiert. Als die ersten Oppositionellen am nächsten Tag demonstrativ die ersten Anzeigen wegen Wahlfälschung erstatteten, folgten viele Bürger diesem Beispiel. Es gingen so viele Anzeigen ein, dass die Staatssicherheit nur die Anweisung an die Staatsanwaltschaften geben konnte, die Bearbeitung so weit wie möglich zu verzögern.
Heute wurde auf dem Berliner Alexanderplatz anlässlich des 20. Jahrestages der letzten Wahlfälschung in der DDR eine Ausstellung über die Friedliche Revolution 1989/90 eröffnet. Oberbürgermeister Klaus Wowereit hatte eingeladen und viele waren gekommen. Für die Bürgerrechtler war es ein Klassentreffen, für die Politiker offensichtlich eine Wahlkampfveranstaltung. Neben Wowereit waren Steinmeier und Kulturstaatsminister Neumann da, Wolfgang Thierse und etliche Abgeordnete. Das beeindruckte den Chef des Kulturprojektes so sehr, dass er vor lauter Freude über die „Hohen Persönlichkeiten“ die ganz zu begrüßen vergaß, um die es eigentlich ging. Wowereit nach ihm machte die Scharte wieder wett, indem er die Bürgerrechtler willkommen hieß. Er hielt überhaupt eine gute Rede, ohne falsche Töne und mit aller wünschenswerten Klarheit über die Diktatur und die verhängnisvolle Verklärung der Vergangenheit. Irritierend war nur, dass sein Koalitionspartner verantwortlich ist für die Diktatur in der DDR und für die Geschichtslegenden heute.
Nach ihm sprach unser Kanzlerkandidat von der SPD und der riss gleich in den ersten Sätzen alles ein, was sein Parteigenosse Wowereit aufgebaut hatte. Steinmeier bezeichnete die „SED und die Blockparteien“ als die Machthaber in der DDR, so als hätte es sich um eine Koalition aus gleichberechtigten Parteien gehandelt. Noch schlimmer kam es, als er auf den Ersten Mai zu sprechen kam und lediglich rechtsradikale Ausschreitungen erwähnte, als hätte es keine linksradikalen Stein-, und Brandsatz-Wurforgien gegeben.
Als er dann noch verlangte, niemand dürfe wegsehen, wenn Minderheiten durch unsere Straßen gejagt werden würden, rief ich dazwischen, dass dies wohl auf Polizisten auch zuträfe. Steinmeier hatte das gehört, zögerte, sagte dann, dies träfe auch auf Polizisten zu, aber er hätte sie nicht erwähnt, weil Polizisten keine Minderheit seien. Abgesehen von diesem schiefen Minderheitsvergleich sind Polizisten die Verteidiger des Rechtsstaates. Wer Polizisten steinigt, steinigt den Rechtsstaat. Ein Politiker, der das nicht zu erkennen vermag und zum „Kampf gegen Rechts“ aufruft, um von der linksradikalen Gewalt abzulenken, darf niemals Kanzler werden.