Wieder eine Demonstration der Opposition in Ostberlin. Diesmal ist es der Protest gegen die gefälschte Kommunalwahl im Mai. Die Demonstranten bekommen zu spüren, wie das Beispiel Peking in Ostberlin Schule gemacht hat. Die Volkspolizei geht wie am Vortag mit seit den fünfziger Jahren nicht da gewesener Brutalität gegen sie vor. Es hagelt Schläge, Fußtritte, Stockhiebe. Binnen kurzem ist die Demonstration auseinandergetrieben. Am Rande des Geschehens steht die Staatssicherheit und verhaftet wie am Fließband. Etwa 150 Bürgerrechtler werden festgenommen. das sind mehr als bei der bisher größten politischen Massenverhaftung am 17. Januar 1988, während der so genannten Liebknecht-, und Luxemburg-Affäre.
In Westberlin wird der Kirchentag eröffnet. Über 250 000 Menschen beten auf denn Ku’damm. Von Protesten gegen die Prügelorgie im anderen Teil der Stadt ist nichts zu hören. Ich saß auch auf einem Podium, gemeinsam mit Rita Süßmuth, der Bundestagspräsidentin und Henning Schierholz, Bundestagsabgeordneter der Grünen.. Ich bekomme viel Beifall für meinen Beitrag, in dem ich auf die Entwicklungen in der DDR aufmerksam mache. Aber anschließend werde ich von einem hohen Kirchenmann der DDR angesprochen, der mir ohne Umschweife mitteilt, dass ich nicht wieder zum Studium am Evangelischen Sprachenkonvikt zugelassen werden würde, sollte ich in die DDR zurückkehren. Warum? Ich hatte kurz zuvor ein Leistungsstipendium des St. John’s College Cambrigde erhalten, an meiner Leistungsfähigkeit kann es also keinen Zweifel geben? Ich solle begreifen, dass ich in der DDR nicht mehr erwünscht sei. Ich solle meine Energie auf ein Leben im Westen konzentrieren. Das habe ich dann auch getan, aber bekanntlich hatte das Schicksal etwas anderes mit mir vor, als die DDR-Funktionäre.
Die Europawahl hat stattgefunden und mehr Wähler als je zuvor sind nicht an die Urnen gegangen. Die Wahlbeteiligung in Deutschland hat einen historischen Tiefststand von 42,5% erreicht. Alle Parteien haben verloren, bis auf die Linke, die aber nicht so viel zugelegt hat, wie erhofft und die FDP, die einzige wirkliche Wahlgewinnerin. Interessant ist, dass die CSU nur knappe Verluste hinnehmen musste. Das ist wohl ihrem jüngsten Star Freiherr zu Guttenberg zu verdanken, der hoch in der Gunst des Volkes steht, weil er in den letzten Tagen sich deutlich abgegrenzt hat von den in alle Richtungen üppig verteilten Staatshilfen. Es wurde eine interessante Umfrage eingeblendet, dass die Wähler der Meinung seien, zu Guttenberg hätte Opel am wirksamsten geholfen, obwohl er sich für die Insolvenz ausgesprochen hat. Erst an zweiter Stelle folgte die Kanzlerin, weit abgeschlagen dahinter Steinmeier, der am eifrigsten mit Staatshilfen aller Art winkte. Das Volk ist also nicht so blöd, wie die Politiker offensichtlich meinen.