Vera Lengsfeld / 04.12.2009 / 14:31 / 0 / Seite ausdrucken

Doppeltagebuch 1989/2009- 4. Dezember

Kaum sind sie gestürzt, werden mehrere Politbüromitglieder auf Anweisung der Regierung Modrow verhaftet. Es trifft unter anderem Erich Mielke, der in die von ihm mit konzipierte Untersuchungshaftanstalt Hohenschönhausen eingeliefert wird. Obwohl er zu keinem Zeitpunkt den üblichen Härten ausgesetzt ist, er bekommt Zeitungen,, Bücher, darf fernsehen, in seiner Zelle werden sofort die Glasbausteine gegen normales Fensterglas ausgetauscht, seine Freigänge muss er nicht in der Frischluftzelle absolvieren, sondern darf sie im „Rosenhof“ verbringen, beschwert sich Mielke bei erster Gelegenheit über die „unmenschlichen Haftbedingungen“. Wo er Recht hat, wollen wir dem Ex-Stasichef nicht widersprechen, müssen aber hinzufügen, dass Mielke sich niemals eingestanden hat, dass die Haftbedingungen etwas mit seiner politischen Verantwortung zu tun haben.
Während ihr langjähriger oberster Befehlsgeber hinter Gittern sitzt, sind die Stasimitarbeiter auf allen Ebenen fieberhaft damit beschäftigt, Akten zu vernichten. Der DDR-Hörfunk kommt seinem Versprechen nach, unabhängig zu berichten . Er bringt als erster Sender ein Stück über die Aktenvernichtung. Es wird schon am frühen Morgen ausgestrahlt und hat Folgen. In Erfurt beschliessen die Frauen der Bürgerinitiative „Frauen für Veränderung“ umgehend, gegen die Aktenvernichtung vorzugehen. Es gelang ihnen ohne Mühe Mitstreiter unter den Oppositionellen, Kirchenleuten, rebellischen Betriebsbelegschaften und Angestellten zu mobilisieren. Die Menge umstellte das MfS- Gebäude. Autofahrer, unter anderem die städtische Müllabfuhr blockierten die Auffahrt. Es dauert nicht lange und die Stasi gibt nach. Sie läßt erst einige Frauen ins Gebäude, dann weitere Demonstranten. Sie finden Beweise für eine umfangreiche Aktenvernichtung. Sofort werden die Archive versiegelt und eine Bürgerwache eingesetzt, um weitere Vernichtungen zu verhindern. Noch am gleichen Tag werden weitere Stasiobjekte in der Stadt aufgespürt und besetzt.
In Rostock können sich die Oppositionellen noch nicht zu einer Besetzung der Stasizentrale durchringen. Sie organisieren eine Mahnwache vor den Toren: „Mahnwache gegen Vernichtung von Beweismitteln“. die Stasi ist wenig beeindruckt so lange sie kann, vernichtet sie weiter.


Die Stasileute sind immer noch unbeeindruckt, wenn man ihnen lediglich mit Appellen kommt. In Brandenburg musste Ministerpräsident Platzeck eine Regierungserklärung abgeben, weil immer mehr Mitglieder seiner Koalition als ehemalige Stasimitarbeiter entpuppen. Platzeck gibt zu , dass es ein Fehler war, dass in Brandenburg nie eine Stasiüberprüfung stattgefunden hat. Nun soll das nachgeholt werden. man darf auf das Ergebnis gespannt sein. Allerdings hat es im Öffentlichen Dienst im Lande des Roten Adlers auch keine Überprüfung gegeben. Hier wird die Dunkelziffer der Stasimitarbeiter in verantwortlichen Positionen noch höher sein. Von einer Krise will der Ministerpräsident nicht reden. Lediglich von Fehlverhalten einzelner Abgeordneter, die inzwischen entweder ihr Mandat zurückgegeben oder die Fraktion verlassen haben. Man darf auf die Qualität der Nachrücker gespannt sein. Platzecks Eingeständnis, dass seine Koalition bisher nichts unternommen hat, den Verfolgten des SED-Regimes das Gefühl des Ausgegrenztseins zu nehmen, wird entwertet durch seinen Entlastungsangriff auf die CDU, die angeblich ihre Rolle als Blockpartei nie aufgeklärt habe. Dieser rituelle Vorwurf seitens der SPD wird zwar durch häufige Wiederholung nicht wahrer, aber glaubwürdiger. Es gehört übrigens zu den bewährten Stasitaktiken, unwahre, aber glaubwürdige Gerüchte zu streuen, um einen politischen Gegner zu diskreditieren und sei es nur, um vom eigenen Versagen abzulenken.

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