Präsident Bush sen. Macht auf seiner ersten Europareise als US-Präsident in Mainz Station. In der Rheingoldhalle hält er eine wahrhaft erstaunliche Rede. Er spricht vom nahen Ende des Kalten Krieges. Die Zeit dafür sei reif, die Politik des geteilten Europa stünde auf dem Prüfstand. Er fordert freie Wahlen in Osteuropa und den Abbau der Grenzen. In Ungarn hätte der bereits begonnen. „Let Berlin be next“. Die Mauer stünde für das Scheitern des Kommunismus. „It must come down“.
Wenn Gorbatschow diese Rede gehalten hätte, wäre der Saal vor begeisterten Gorbi-Rufen förmlich explodiert. Bei Bush ist die Reaktion sehr verhalten. Er bekommt höflichen Beifall, mehr nicht. Bundeskanzler Kohl soll während der Rede keine Regung gezeigt haben. Er ist immer noch überzeugt, dass die Deutsche Einheit nicht auf der Tagesordnung steht. Auf ein Angebot von George Bush vom 12. Mai, die historische Chance zu nutzen, um gemeinsam mit den Amerikanern die Ost-West-Beziehungen zu verändern, soll er nicht eingegangen sein. Es mussten erst die unbekannten Mauerbrecher kommen, ehe die Architekten der Deutschen Einheit zur Tat schritten.
Die Debatte um die Stasimitgliedschaft des Ohnesorg- Todesschützen Kurras ist für die Linke gefährlich. Sie hatte weder Mühe noch propagandistischen Aufwand gescheut, um der Öffentlichkeit zu suggerieren, die DDR sei kein Unrechtsstaat gewesen, da wird ein grelles Schlaglicht auf die Unrechtspraktiken des SED-Regimes geworfen.
Ist es wirklich ein Zufall, dass gerade jetzt publik gemacht wird, was die DDR sehr genau wusste und dem Verkünder der Nachricht, dem Leiter der Rechtsmedizin Tsokos, seit zwei Jahren bekannt war, dass die Leiche von Rosa Luxemburg jahrzehntelang als Demonstrationsobjekt für Medizinstudenten genutzt wurde? Auffällig ist jedenfalls, dass Gysi sofort von einem Skandal spricht, der von einer Regierungskommission aufgeklärt werden müsse. Der Skandal ist allerdings einer, den die SED zu verantworten hat. Gysi sollte sich für eine Untersuchungskommission in seiner Partei stark machen, die erforscht, warum in vierzig DDR-Jahren niemand auf den Gedanken kam, die Leiche von Rosa Luxemburg aus ihrer entwürdigen Lage zu befreien und ordentlich auf dem Sozialistenfriedhof in Berlin zu bestatten, wo doch jedes Jahr ein von der SED organisierter Demonstrationszug zum Grab pilgerte? Auch Gysi muss sich fragen lassen, ob er wirklich jetzt erst davon erfahren hat und nicht spätestens, seit er im Dezember 1989 SED-Chef wurde. Man wird das Gefühl nicht los, dass die arme Luxemburg schon wieder instrumentalisiert wurde. Diesmal, um von einer unangenehmen Debatte abzulenken