Am Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl verteilen Umweltaktivisten Flugblätter gegen die maroden Atomkraftwerke der DDR. Sie werden verhaftet und mit einem Verfahren wegen „Beeinträchtigung staatlicher Tätigkeit“ bedroht.
Das „Neue Deutschland“ berichtet über die Ehrung „verdienter Bürger“ für ihre Leistungen. Weiter behauptet die Parteizeitung, dass sich für jeden zweiten Bürger die Wohnverhältnisse verbessert hätten. Wer sich beim Lesen fragte, warum er ausgerechnet zu den ersten Bürgern gehörte, für die sich die Wohnverhältnisse nicht gebessert hatten, konnte sich mit dem Nachsatz trösten, dass dieses Wohnungswunder nur in Bischofswerda stattgefunden hatte.
Am Wochenende war ich in Bautzen. Der Stadtführer erzählte uns beim Rundgang durch die herrliche ,vollsanierte Altstadt, dass 1989 hier nur noch 210 Menschen gelebt hätten, in Häusern, die teilweise mit Balken abgestützt werden mussten, damit sie nicht zusammenfielen. Es gab nur noch eine Kneipe in dieser surrealen Kulisse des letzten Stadiums vor dem endgültigen Verfall. Heute wohnen über 3000 Menschen in der Altstadt, es gibt mehr als 30 Kneipen und Restaurants, eins schöner als das andere.
In Meißen, wo ich vorher gewesen war, ein ähnliches Bild. Seit 500 Jahren hätte es keinen solche Bautätigkeit gegeben, wie in den letzten 20 Jahren, verrät uns Walli, die Stadtführerin, die man unbedingt buchen sollte, wenn man Meißen kennenlernen will. Die Stadt, von der es zu DDR-Zeiten hieß: „Besuchen Sie Meißen, solange es noch steht“, war seit einem halben Jahrhundert nicht in einem so intakten Zustand, wie heute. Wenn man diese, aus ihren Ruinen auferstandenen Städte sieht , ist es, als habe sich ein Schatzkästchen geöffnet, dass bisher verdreckt und unansehnlich in der Ecke stand.
Die heutige Pracht lässt die Bilder der vergangenen Tristesse vergessen. Selbst wenn man es mit eigenen Augen gesehen hat, kann man sich heute den Zustand der real zerbröckelnden DDR kaum noch vorstellen. Mitten im sächsischen Weinbaugebiet liegt das Chemiewerk Nünchritz, das seine Umgebung mit einer dicken Schicht rotbraunen Schwefelrußes überzog, so dass kurz nach dem Austrieb die Blätter nicht mehr grün, sondern rötlich-braun waren. Wer heute die Fabrik besichtigt, die glänzt, wie ihre Umgebung, kann sich fast wie in der Sommerfrische fühlen. Das Wasser, das vom Werk in die Elbe fließt, ist sauberer, als das Flußwasser. Wo 1989 noch tote Kloake war, tummeln sich heute wieder Lachse und viele andere Fische . Nur die Gastwirte werden noch an den Umweltzustand von vor 20 Jahren erinnert: sie würden gern Elbfisch auf der Karte anbieten, dürfen es aber nicht, weil die Tiere durch die Schwermetallauswaschungen aus dem Flußboden noch zu hoch belastet sind.
Abgesehnen davon sind die Hinterlassenschaften des Sozialismus fast verschwunden. Vielleicht zu schnell.