26.11.
Schriftsteller, Künstler, SED-Mitglieder, die Reformer sein wollen und leider auch einige Bürgerrechtler veröffentlichen einen Aufruf zur Rettung der DDR. In „Für unser Land“ werben sie für einen reformierten Sozialismus und eine eigenständige DDR. Der Schriftsteller Stefan Heym, der später für eine Legislaturperiode für die SED-PDS im Bundestag sitzt, verliest den Aufruf im Fernsehen. Gleichzeitig wird eine Unterschriftensammlung organisiert. Der Text wird richtig als Versuch verstanden, den politischen Forderungen auf der Straße entgegenzuwirken. Aber außerhalb von Intellektuellen-, und Künstlerkreisen findet er kaum Resonanz. Im Gegenteil . Er bewirkt eine umgehende Polarisierung der politischen Kräfte, auch der Opposition. Es kommt zu harten Gegenäußerungen. Sogar ein Gegenaufruf wird gestartet: „Für die Menschen in unserem Land“. Insgesamt macht die Diskussion klar, dass die Anhänger einer sozialistischen Reform in der DDR in der Minderheit sind.
Auch in der Tschechoslowakei geht es mit dem Sozialismus zu Ende. Die Demonstrationen erreichen ihren Höhepunkt. Über eine Millionen Menschen sind auf dem Wenzelsplatz in Prag. Sie fordern den Rücktritt der Spitzen der Regierung und der Partei. Der Sprecher der „Charta 77“ und Untergrundpriester Vaclav Maly betet mit der Menge das Vaterunser. Das Staatliche Fernsehen überträgt die gesamte Veranstaltung.
27. 11.
Staatschef Egon Krenz versucht vergeblich, sich bei den Leipzigern lieb Kind zu machen. „Von dieser Stadt gingen Signale zur Erneuerung des Sozialismus aus!“, verkündet er in „Neuen Deutschland“. Am Nachmittag zieht Krenz mit einem Tross durch die Stadt und versucht auf der Straße und im Kaufhaus mit den Leuten ins Gespräch zu kommen. Das Interesse ist außerhalb der Genossen, die auf Anweisung der Partei die interessierten Bürger mimen müssen, äußerst gering. Dafür machen die Leipziger am Abend auf der Montagsdemonstration mit 150 000 Teilnehmern klar, wie wenig sie an einer „Erneuerung des Sozialismus“ interessiert sind. Erstmals werden Forderungen nach Vereinigung erhoben. „Deutschland einig Vaterland !“, rufen die Menschen. Es ist der verbotene Text der DDR-Nationalhymne. Man kann das auch als Antwort der Demonstranten auf den Aufruf „Für unser Land“ vom Vortag verstehen.
Die DDR-Regierung hebt den Zwangsumtausch auf. Besucher aus dem Westen können das Land ohne Visum bereisen. Außerdem löst die Regierung die Staatsjagdgebiete auf. Erstmals können die seit Jahrzehnten den SED-Bonzen vorbehaltenen Wälder wieder von allen betreten werden.
In der Sowjetunion wird der Beschluss über die ökonomische Unabhängigkeit der baltischen Republiken gefasst.
Generalstreik in der Tschechoslowakei, weil die Spitzen von Partei und Regierung nicht schnell genug auf die Forderungen nach Rücktritt reagieren.
28.11.
Bundeskanzler Kohl legt seinen am Wochenende erarbeiteten und von seiner Frau Hannelore abgetippten Zehn-Punkte-Plan zur schrittweisen Überwindung der Teilung Deutschlands dem Bundestag vor. Damit gibt es erstmals eine Leitlinie für eine Annäherung der beiden deutschen Teilstaaten im Rahmen der bestehenden Verträge. Eine künftige Wiedervereinigung soll so möglich gemacht werden. Der letzte punkt lautete: „Mit dieser umfassenden Politik wirken wir auf einen Zustand des Friedens in Europas hin, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangen kann.“ Alle Fraktionen, außer der Grünen, stimmen diesem Plan zu.
In Ostberlin nimmt die „Nationale Front“ der Altparteien der DDR auf ihrer letzten Sitzung das Angebot, mit den Oppositionsgruppen am „Runden Tisch“ zu verhandeln, an. Allerdings versuchen sie , das Kräfteverhältnis am Runden Tisch durch die Einbeziehung von Massenorganisationen zu ihrem Gunsten zu beeinflussen.
In der Tschechoslowakei zeigt der Generalstreik Wirkung. Die Kommunistische Partei verzichtet nach Verhandlungen mit der Opposition auf ihren in der Verfassung verankerten Führungsanspruch. Die Regierung tritt zurück. Es wird eine Koalition unter Beteiligung der Opposition gebildet.