Es finden wieder Gespräche zwischen SPD und SED statt. Diesmal steht das Thema Menschenrechte auf der Tagesordnung. Das sorgt für Dissonanzen, denn sehr bald wird das Thema Schießbefehl angesprochen. Die Gesprächspartner können sich nicht einigen. Heute wären Auszüge aus den Gesprächsprotokollen hilfreich, wenn die Linke wieder einmal abstreitet, dass es den Schießbefehl gab.
In der Bundesrepublik geben die ersten RAF-Terroristen ihren Hungerstreik auf. Trotz der angeblichen „Isolationshaft“ ist dieser Hungerstreik seit seinem Beginn ein großes Medienereignis .
Ein vergleichbares Medienereignis ist in der DDR die Kommunalwahl. Nie zuvor hat eine Wahl solche Aufmerksamkeit erhalten. Das „Neue Deutschland“ verkündet , „Über 46000 Kandidaten zur Kommunalwahl unter 25 Jahre“. Die Skepsis des Volkes wird dadurch nicht geringer.
Nach den schönen Ostertagen wird es Zeit, die Meldungen aus der Welt wieder zur Kenntnis zu nehmen. Focus online berichtet mit ungebührlicher Zurückhaltung über einen brutalen Mord der Taliban in Afghanistan an einem Liebespaar. Weil die Familien die Heirat verweigert haben, wollten die jungen Leute in den Iran fliehen. Bevor sie die Grenze überschreiten konnten, wurden sie gefasst und in ihren Heimatort zurückgebracht. Dort wurden sie von einem Standgericht der Taliban verurteilt und vor den Augen der Dorfbevölkerung hingerichtet. Der Mord sei eine Beleidigung des Islam verkündet ein islamischer Geistlicher. Wenn das so ist, bleibt aber ein Proteststurm, wie wir ihn bei der Veröffentlichung der Mohammed- Karrikaturen erlebt haben, aus. Focus online schreibt zwar, dass es sich um Mörder handelt, setzt das Wort „Mörder“ allerdings in Anführungsstriche, was die Benennung ins Gegenteil verkehrt.
Sechzehnter April
DDR-Oppositionelle kündigen öffentlich den Boykott der bevorstehenden Kommunalwahlen an. Gleichzeitig wird dazu aufgerufen, sich an der Stimmauszählung zu beteiligen. Das ist zwar das Recht eines jeden DDR-Bürgers, wurde bisher aber kaum wahrgenommen, weil man Nachteile befürchten musste, wenn man mit seiner Anwesenheit bei der Stimmauszählung sein Misstrauen gegenüber der Arbeiter-, und Bauernmacht demonstrierte.
In Bonn wird die Absicht bekannt gegeben, den Wehrdienst weiter zu verkürzen.
Die wenigen Ostermarschierer dieses Jahres wurden in den Öffentlich-Rechtlichen Nachrichten präsentiert, als wären sie noch die Massenbewegung der 80er Jahre. Auf der Kundgebung in Frankfurt am Main stand ein altersschwacher Horst-Eberhard Richter auf dem Podium und verkündete mit großer Mühe Sätze, die in den 80er Jahren passend gewesen sein mögen, heute aber als das klingen, was sie sind: von vorgestern.
Nicht nur die DDR, auch die alte BRD wird künstlich am Leben zu erhalten versucht. Nach dem Brandanschlag auf eine sächsische Offiziersschule, bei der ein Millionenschaden an Fahrzeugen angerichtet wurde, zögert das Innenministerium, eine Sonderkommission einzusetzen. Warum eigentlich? Fürchtet man politisch nicht korrekte Resultate?
Siebzehnter April
Die polnische Gewerkschaft Solidarnosc wird nach ihrem Verbot 1981 wieder legalisiert. Wobei es sich genau genommen nicht um eine Wiederzulassung, sondern um eine Neuzulassung handelt. Das war ein Zugeständnis an die Kommunisten, die nicht allzu deutlich eingestehen wollten, dass sie seinerzeit das Recht gebrochen hatten. In den Medien der DDR wird dieses Ereignis nicht erwähnt. Das „Neue Deutschland“ berichtet von allseitiger Planerfüllung zu Ehren der Wahlen am 7. Mai.
Walter Kempowski liest bei Camus: „Bei dem Wettlauf, der uns dem Tode täglich etwas näher bringt, hat der Körper unwiderruflich den Vorsprung.“
Achtzehnter April
In Leipzig berät die SED-Führung über den Einsatz von Kampfgruppen gegen oppositionelle Demonstranten. Jeder Chef der Bezirksparteileitung ist gleichzeitig der Militärische Oberkommandierende des Bezirks. Das war auch Hans Modrow, Bezirkschef von Dresden, bevor er als so genannter „Reformer“ letzter Partei- und Staatschef der DDR wurde. Auf Modrows Taten als Oberbefehlshaber der Streitkräfte werden wir im Herbst noch zu sprechen kommen. Die Kampfgruppen sind eine paramilitärische Organisation auf Betriebsbasis, der vor allem ehemalige Zeitsoldaten angehören. Sie sind für Einsätze gedacht, wo Polizei oder Staatssicherheit aus gründen der Gesichtswahrung gegenüber dem Ausland nicht eingesetzt werden sollen.
An der Berliner Grenze gab es wieder einen Fluchtversuch. Zwei junge Männer versuchten auf der Höhe des Reichstages die Spree zu durchschwimmen. Die Flussmitte war die Grenze. Einer kam im Westen an, der andere wurde gefangen genommen. Schusswaffen wurden diesmal nicht eingesetzt. Am Spreeufer hinter dem Reichstag erinnern heute kleine weiße Kreuze an alle Menschen, die an dieser Stelle auf der Flucht vor der DDR ihr Leben gelassen haben.