Vera Lengsfeld / 10.06.2009 / 16:12 / 0 / Seite ausdrucken

Doppeltagebuch 1989/2009-10..Juni

Die Opposition der DDR ruft in einer Unterschriftensammlung zur Solidarität mit den Opfern der Gewaltexzesse der Volkspolizei in Leipzig auf. Gleichzeitig findet ein Straßenmusikfestival statt:  „Freiheit mit Musik“ .Natürlich konnte dieses Festival nicht angemeldet werden. Die Abteilung Inneres des Rates der Stadt Leipzig hat die Annahme eines entsprechenden Antrages abgelehnt. Nach DDR- Unrechtslage ist die Veranstaltung illegal. Es gibt wieder Massenverhaftungen. Die Sicherheitskräfte nehmen über 80 Musiker und Festteilnehmer fest. Wieder kommt es zu spontanen Solidaritätsbekundungen von Passanten. Nicht nur aus sicherer Entfernung, sondern unmittelbar neben den verhaftenden Stasileuten kommt es zu Rufen: „Stasi raus!, Stasi raus!“ Das ist eines der Zeichen, dass die „normalen“ Bürger nicht mehr passiv bleiben. Die Wahlfälschungen und die Berichterstattung in den DDR-Medien über die Ereignisse in China empören immer mehr Menschen. Es hagelt Protestbriefe von Einzelnen an die Medien und die SED- Bezirksleitungen. Manchmal sind es ganze Arbeitskollektive, die gemeinsam eine Protestnote verfassen. Meistens solche aus der Produktion, die nicht mehr strafversetzt werden können. Aber nicht nur. Auch die Gewerkschaftsgruppe an der Akademie der Wissenschaften in Jena verschickt einen Protestbrief. Wenn Akademiker so etwas tun, riskieren sie die Degradierung zum einfachen Arbeiter. Die Verhältnisse werden als so unerträglich empfunden, dass dieses Damoklesschwert nicht mehr abschreckt. Die Opposition organisiert ihre Proteste inzwischen systematisch. Es werden nicht nur Protestresolutionen verfasst, sondern nachts heimlich Plakate gegen den Wahlbetrug geklebt. Die Staatsicherheit muss Überstunden machen, um durch Kontrollgänge sicher zu stellen, dass die Plakate möglichst schnell verschwinden. Die Aktion spricht sich trotzdem herum.


Die Debatte um die Finanzierung der „Enteignet Springer“- Kampagne bekommt bizarre Züge. Offenbar hat Peter Schneider falsche Namen und Fakten ins Spiel gebracht., als er letzten Sonntag seinen schlampig verfassten Artikel in die FAS heben ließ. Nicht Henri Nannen, der Chefredakteur des „Stern“, sondern Gerd Bucerius , der Herausgeber, hat 50 000 DM bereit gestellt. Angeblich auch nicht für die Kampagne selbst, sondern für das „Institut für Gegenöffentlichkeit“, das gegründet wurde, um die „Springer- Praktiken“ zu untersuchen und zu entlarven. Das soll auch auf die 50 000 DM von Augstein zutreffen. Wer so leichtfertig mit historischen Fakten umgeht, kann kaum noch ernst genommen werden. Eine Entschuldigung von Schneider? Fehlanzeige. Statt dessen Angriff :  „Durch eine Pro-Springer-Kampagne soll offenkundig die alte Anti-Springer-Debatte ausgelöscht werden,“ befindet der Mann, der die Debatte ausgelöst hat. Wenn alle Aussagen Schneiders mit dem Motto des Senders Jerewan bewertet werden können: „Im Prinzip ja, es könnte aber auch alles ganz anders gewesen sein“, taugt er nicht als Kronzeuge in der Frage, ob die „Enteignet- Springer“- Kampagne teilweise von der SED finanziert wurde, oder nicht. Es werden Nachforschungen angestellt werden müssen. Es handelt sich um keine Petitesse, die mit dem Bonmot von Hans Leydendecker: „Wenn alles Stasi ist, ist nichts mehr Stasi“ , vom Tisch gewischt werden kann. Wir haben ein Recht zu wissen, wes Geistes Kinder diejenigen waren, die bis heute die Lufthoheit in allen Debatten unseres Landes beanspruchen und deren moralisierender Rigorismus eben diese Debatten verzerrt.

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