Die „Tagesschau“ hatte Recht: der ungarische Außenminister Gyula Horn verkündet über das Fernsehen, dass alle Inhaber eines DDR-Ausweises ab dem 11. September Ungarn in Richtung Österreich verlassen dürfen. Zehntausende hatten auf dieses Signal gewartet und machen sich auf in Richtung Grenze. In der DDR spricht sich die Nachricht herum, wie ein Lauffeuer. Weitere Zehntausende rüsten sich, um das Land zu verlassen.
Andere wollen bleiben und die Gesellschaft verändern. Dreißig Bürgerrechtler gehen mit einem Aufruf: „Aufbruch 1989- Neues Forum“ in die Öffentlichkeit. Am Tag zuvor war in der Wohnung von Katja Havemann in Grünheide das Neue Forum gegründet worden. Damit hatte das NF einen kleinen , aber entscheidenden Vorsprung vor allen anderen Neugründungen, einschließlich der SDP. Der Gründungsaufruf stieß sofort auf eine riesige Resonanz. Er verbreitete sich blitzschnell in alle ecken der Republik. Zum erfolg trug bei, dass er auf auf systemsprengende konfrontative Aussagen verzichtete und sich auf die basisdemokratischen Ansätze, wie sie von der Bürgerbewegung entwickelt worden waren, beschränkte. Jeder sollte sein Schicksal in die eigenen Hände nehmen. Die Erneuerung sollte von unten kommen. Von den Regierenden erwartete man nichts mehr. Es hieß: „In unserem Land ist die Kommunikation zwischen Staat und Gesellschaft offensichtlich gestört“ Deshalb sei in der „gegenwärtigen krisenhaften Entwicklung“ die Beteiligung möglichst vieler Menschen am „gesellschaftlichen Reformprozess“ nötig. Dafür wollte das NF eine politische Plattform bilden. Ein Angebot, das in den folgenden Tagen auf eine überwältigende Nachfrage stieß.
Heute denkt kaum eine Zeitung an die sensationelle Neugründung vor zwanzig Jahren. Die jüngere deutsche Geschichte ist marginalisiert. Die SED-Linke kann weitgehend ungestört wieder nach der Macht greifen.