Peter Grimm / 06.02.2020 / 16:11 / Foto: Sandro Halank / 191 / Seite ausdrucken

Doch noch ein Dammbruch in Thüringen

Heute Morgen hatte ich an dieser Stelle noch geschrieben, dass die Wahl von Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten Thüringens auch mit Stimmen der AfD nicht der Dammbruch war, zu dem ihn all die Kemmerich-Kritiker im politisch-medialen Raum erklärten. Stattdessen hatte es einen Dammbruch bereits vor fünf Jahren gegeben, als mit den SED-Nachfolgern eine Partei mit zweifelhafter Haltung zur freiheitlich-demokratischen Ordnung mit Stimmen der SPD und der Grünen an die Spitze der Erfurter Landesregierung gewählt wurde. Das Wahlergebnis, das allen traditionellen demokratischen Parteien zusammen im Landtag nur eine Minderheitenrolle zuwies, und die folgende Abstimmungssituation des gestrigen Tages seien schließlich nur eine Folge früherer Dammbrüche.

Doch nun gab es heute einen tatsächlichen Damm- oder Tabubruch. Dass eine Bundeskanzlerin öffentlich erklärt, dass das Ergebnis der Wahl des Ministerpräsidenten eines Bundeslandes rückgängig gemacht werden müsse, ist schon ohne Beispiel in der deutschen Nachkriegsgeschichte.

Ohnehin war es atemberaubend, wie vielstimmig die Politiker eines föderalen Staates das Hohelied auf den Zentralismus sangen. Die Bundesparteivorsitzenden müssten ihre Landesverbände und -vorstände in den Griff bekommen, hieß es allenthalben. Wer die frühere Bundesrepublik nicht kennt, musste den Eindruck bekommen, dass es zur bundesdeutschen Normalität gehöre, wenn Parteizentralen eigenwillige Landesverbände auf Linie bringen. Als die Bundeskanzlerin dann aus Südafrika erklärte, das Ergebnis der Kemmerich-Wahl müsse rückgängig gemacht werden, schlossen sich viele Berliner Politiker der Forderung an.

Der Druck auf Thomas Kemmerich, jetzt zurückzutreten, nahm enorm zu. Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner reiste schnell nach Erfurt, um das zu erreichen. Wie er das geschafft hat, obwohl Kemmerich noch am Donnerstagmorgen erklärt hatte, weder Rücktritt noch Neuwahlen zu erwägen, erfuhr die Öffentlichkeit nicht. Aber offenbar war er erfolgreich, denn Kemmerich kündigte nach dem Treffen sowohl Neuwahlen als auch den Rückzug vom Amt an. Allerdings nicht auf kurzem Wege.

Ist es ein Spiel auf Zeit?

Ein Leichtes wäre es, er würde die Vertrauensfrage stellen und sich von einer einfachen Landtagsmehrheit abwählen lassen. Stattdessen hieß es vom Ministerpräsidenten, dass die FDP die Auflösung des Landtags beantragen werde, wozu es immerhin eine Zweidrittelmehrheit braucht. Das zwingt auch die Abgeordneten der anderen Parteien, sich pro oder contra zu positionieren. So ganz sicher ist der Ausgang vielleicht nicht, denn nicht jeder Abgeordnete wird gern für ein verfrühtes Ende seines Mandats stimmen.

Was Kemmerich dabei im Schilde führt, erschließt sich auf den ersten Blick nicht. Ist es ein Spiel auf Zeit? Will er als Kurzzeit-Ministerpräsident auf Abruf doch noch eine Duftmarke setzen? Im Amt halten will er sich auf diese Weise erklärtermaßen nicht. Auf Nachfrage sagte er, dass er im Falle des Scheiterns der Landtags-Auflösung dann doch die Vertrauensfrage stellen würde.

Also werden, mit welcher Verzögerung auch immer, demnächst Neuwahlen auf die Thüringer zukommen. Und dann? Hatte Kemmerich nicht recht mit seiner ursprünglichen Einschätzung, dass ein Neuwahlergebnis die Parteien nur vor die gleichen Probleme stellen dürfte, die sie auch schon jetzt haben? Was hat sich daran geändert?

In dem medialen Trommelfeuer hat sich hinter dem Pulverdampf so einiges verändert und verschoben. Denn eines ist nun für die CDU und die FDP in Berlin geklärt worden: Es gibt eine scharf bewachte Grenze nach Rechtsaußen, die jedwede Art der Kooperation mit der AfD unterbinden soll, während es nach Links eine solche Grenze nicht in dieser Schärfe gibt. Vor diesen Dammbruch-Tagen hatten sich viele Christdemokraten noch bemüht, wenigstens den Anschein einer Äquidistanz zum rechten und zum linken Rand zu erwecken. Das ist jetzt, nach den Auftritten der Parteigranden in der Thüringen-Frage, wirklich kaum mehr glaubwürdig.

Foto: Sandro Halank CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

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F. Hoffmann / 06.02.2020

Ein Gutes hatte die Wahl jedenfalls: Die Parteien mussten Farbe bekennen. Und was da an undemokratischen Äußerungen zu hören war, werden sich viele Wähler merken. Wer braucht eine FDP, die sich weigert Politik zu gestalten? Wer braucht eine Landes-CDU, die nur ausführendes Organ der Zentrale ist? Schwarzgelb hätte Rotrotgrün toleriert und ggf. kooperiert. Wieso wäre dies umgekehrt nicht möglich gewesen. Es hätte der AfD nicht bedurft. Mich wundert auch wie sich die FDP jetzt ohne Gegenwehr abschlachten läßt. Sie stellte zwar den Kandidaten. Aber von der CDU-Fraktion bekam er doch weitaus mehr Stimmen als die 5 von der FDP.

Sabine Lotus / 06.02.2020

Manometer Herr Grimm, Sie haben ja einen Takt drauf in den letzten 24h. Tja, “when going get’s tough…”. Wissen Sie, was das wirklich schöne an den letzten 24h ist? Alles! Inklusive Rücktritt und Doros’ Fratzenphoto in der WELT, über einem Statement, daß dem Deutschen Daumenlutscher erklärt, wie das hier läuft mit unserer tollen Demokratie. Die Demaskierung, die dieser Krach gerade verursacht, hätten 20 Prozesse gegen die AWO und Facebook nicht hinbekommen. Nie waren sie so nackt wie heute. Schaut hin, lacht sie aus, bißchen Spaß muss sein….und ja, ganz recht, Ihr habt Euch nicht verguckt: Da ist wirklich kein einziger mit Eiern dabei 0_0

H. Schmidt / 06.02.2020

Was Merkel will, dürfte doch bald jedem Deutschen klar sein. Sie will die DDR 2.0. Ihr ganzes linkes und linkisches Verhalten zielt eindeutig in diese Richtung. Wie kann sich auch nur eine Buntpartei darüber aufmanteln das demokratisch gewählt wurde und ein Ergebnis entstand was den Linken u. Bunten nun nicht passt. Die CDU ist übrigens auch schon links angekommen und weit weg von der Mitte oder sogar rechts. So lange wählen lassen bis es den Linken wieder passt??? Von wegen. Ich kann nur jedem Deutschen dringend raten diese Linke-Kommunisten-Pest wieder ins Abseits zu wählen. Und zwar bei jeder Gelegenheit. Sonst kann es passieren das die BRD sich bald in DDR 2.0 umbenennt. Und das ist dann kein schlechter Scherz mehr! Will das der Deutsche wirklich? Denkt nochmal darüber nach, oder bekommt was ihr verdient habt. Mindestens 1/3 des Deutschen Volkes wird dann schlagartig das Land verlassen,....weil alles andere dann besser sein wird als die DDR 2.0. Apropos: Merkel muss “dringend” weg. Lässt sich das nicht irgendwie bewerkstelligen? Wenn wir nicht in einer Diktatur leben, müsste da doch was zu machen sein, oder wollen die Deutschen “Rechte Nazis” nach 70-80 Jahren gegen “Linke Kommunisten” austauschen? Nach dem Motto: Mal schauen ob es die anderen es besser können, oder wie? “Dämlichstes Land eg. Volk der Welt!

Walter Neumann / 06.02.2020

Neuwahlen werden die AfD stärken. Und Ramelow wird wieder keine parlamentarische Mehrheit aus RRG bekommen, es sei denn, die CDU fällt jetzt nach links um. Das ist es doch, was Merkel will, oder ?

Dieter Blume / 06.02.2020

Gestern habe ich geglaubt, dass unsere Demokratie funktioniert. Ich habe Abgeordnete gesehen, die sich nicht von ihren Parteioberen gängeln ließen und nach ihrem Gewissen abgestimmt haben. Heute muss ich enttäuscht feststellen, dass ich einer großen Illusion erlegen bin. Thomas Kemmerich hat verständlicherweise das Handtuch geworfen. Die fehlende Unterstützung durch seine Partei und die offene Ablehnung durch die CDU/CSU kann man nicht einfach aussitzen. Die berechtigte Angst um seine Familie wird ein Übriges getan haben. Alle Achtung für Ihren Mut, Herr Kemmerich.

armin wacker / 06.02.2020

Ich wage mal einen Vorausblick. Die AfD wird bei der nächsten Wahl in Thüringen der 40% Marke nahekommen.

sabine joo / 06.02.2020

Das ist das Ende der Demokratie. Von Kanzlers Gnaden werden Neuwahlen erzwungen weil das Ergebnis nicht passt.

Bernhard Freiling / 06.02.2020

Einen Gesichtspunkt scheinen Sie übersehen zu haben, Herr Grimm.  Sollte Kemmerich das Vertrauen des Parlamentes entzogen werden, kann innerhalb von 3 Wochen nach der Vertrauensfrage der Landtag einen neuen MP wählen. Drum spekuliere ich mal: Es wird keine Neuwahl geben. Ramelow wird mit Stimmen der CDU zum neuen MP gewählt werden.  So geht “rückgängig machen” ++ Neuwahlen wären m.E. das Letzte, was diese als Demokraten camouflierten Links-Faschisten, mit Merkel an deren Spitze, jetzt gebrauchen können. Angesichts des von ihnen angezettelten Zirkus’ bedürfte es keiner großen Überzeugungsarbeit der AfD um bei der folgenden Neuwahl stärkste Partei zu werden. Drum kann die wirklich keiner dieser “aufrechten Demokraten” wollen.

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