Gastautor / 03.01.2012 / 07:57 / 0 / Seite ausdrucken

Die Zukunft des Gutmenschentums

Alexander Schertz

Das Gutmenschentum in den Ländern der westlichen Welt ist eine Art moralische Selbststilisierung. Indem man ständig auf die wirkliche oder vermeintliche Schuld der eigenen Gruppe hinweist und verbal für die Interessen Dritter eintritt, protzt man mit dem eigenen moralischen Niveau, denn scheinbar gehört mehr Mut dazu, die eigene Seite zu kritisieren als Außenstehende. In einem früheren Beitrag habe ich das ausführlich dargestellt. Wird sich diese Verhaltensweise im Westen weiter steigern und auf andere Kulturkreise überspringen, oder ist es eine vorübergehende Erscheinung?

Das Gutmenschentum auf seinem Höhepunkt
Voraussetzungen für das Gutmenschentum sind materieller Überfluss und das Gefühl, nicht von außen bedroht zu sein, weil sonst mit sehr negativen Reaktionen auf ein solches Verhalten zu rechnen ist. Die erste Bedingung ist im Westen in der letzten Nachkriegszeit entstanden. Sie hat ausgereicht, um einen erheblichen Teil der Bildungselite zu Gutmenschen zu machen. Lange Zeit war aber die Mehrheit der Gesellschaft davon noch nicht betroffen. Den großen Durchbruch brachte erst des Ende des Kalten Krieges und das scheinbare “Ende der Geschichte”. Vielen Beobachtern schien es so, als wären die Werte der liberalen, westlichen Gesellschaft endgültig “alternativlos” geworden und würden sich über kurz oder lang weltweit durchsetzen. Das Gutmenschentum wurde unter diesen Bedingungen mehrheitsfähig. Frühere “Revoluzzer” wurden führende Politiker. Langfristige Auswirkungen hatte vor allem die Etablierung des Gutmenschentums im Bildungswesen. Unter Lehrern in Deutschland erreichte es fast eine Monopolstellung. Auch in den USA ist das Bildungswesen stark davon geprägt. Und da die Lehrer die nächste Generation formen und auch die Bildungselite ihren Nachwuchs in diesem Geist erzieht, gibt es bis heute eine Art Rückkopplungseffekt zur Verstärkung des Gutmenschentums. Die Erzogenen werden selbst Erzieher und die nächste Generation muss noch eins draufsetzen, um ihre scheinbare moralische Überlegenheit zu beweisen.

Gerade in Deutschland sind alle Bereiche der Gesellschaft von den Schulen bis zur Politik so stark vom Gutmenschentum durchdrungen, dass man sich kaum vorstellen kann, dass es diese Bedeutung wieder verlieren könnte. Und doch wird ihm schon jetzt langsam der Boden unter den Füßen entzogen.

Das Gutmenschentum ist ein westliches Phänomen geblieben
Das Gutmenschentum hat es nicht geschafft, zum Weltstandard zu werden. Massenwohlstand ist inzwischen nicht mehr auf den Westen beschränkt. Japan machte schon vor Jahrzehnten den Anfang, andere Länder haben nachgezogen. China ist auf demselben Weg. Aber in keinem dieser Länder hat das Gutmenschentum einen Einfluss gewonnen, der mit seiner Stellung im Westen vergleichbar wäre. In Japan, Hongkong oder Südkorea wäre mit dem Versuch, sich durch wirkliches oder scheinbares Engagement für Dritte auf Kosten der eigenen Seite zu profilieren, kein moralischer Blumentopf zu gewinnen. So hat sich erwiesen, dass nur im westlichen Kulturkreis für ungefährdet gehaltener Massenwohlstand die Schleusen für das Gutmenschentum öffnet.

Der Westen gerät unter Druck
Das Gutmenschentum als westliches Kulturprodukt hätte nur dann eine Zukunft, wenn die wirtschaftlichen Voraussetzungen erhalten blieben und sein Einfluss in der Welt zumindest konstant bliebe. Beides ist nicht der Fall. Unter dem Druck wachsender Konkurrenz schwindet das Gefühl ungefährdeten Wohlstands.  Die hohe Verschuldung, mit der vor allem der Sozialstaat finanziert wurde, hat in Europa zur schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg geführt, wie die deutsche Bundeskanzlerin festgestellt hat. An den schwächsten Gliedern wie Griechenland reißt die Kette.

Gleichzeitig geht der Einfluss des Westens in der Welt zurück. Vor allem Europa, die weltweite Hochburg des Gutmenschentums, wird in weiten Teilen der Welt nicht mehr ernst genommen. Die USA wenden sich deshalb zunehmend vom Alten Kontinent ab und orientieren sich auf den Pazifikraum.

Der Verfall des Gutmenschentums hat schon begonnen
Diese Entwicklung entzieht dem Gutmenschentum die wichtigste Grundlage. Eine Gesellschaft, die um die Erhaltung ihres materiellen Lebensniveaus kämpfen muss, schätzt es nicht, wenn einzelne sich auf ihre Kosten moralisch profilieren wollen. Überall sind deshalb Anzeichen für den Niedergang des Gutmenschentums zu sehen.

So ist die Aufnahmebereitschaft für Ausländer, ungeachtet ihrer Fähigkeiten, zur Entwicklung der Aufnahmeländer beizutragen, stark rückläufig. Selten hat sich in Deutschland ein solcher Gegensatz zwischen der Mehrheit und der Bildungselite gezeigt wie in der Kontroverse um das Buch “Deutschland schafft sich ab” von Thilo Sarrazin. In anderen Ländern Europas hat die verbreitete Ablehnung der vom Gutmenschentum geprägten Ausländerpolitik zur Entstehung neuer einflussreicher Parteien und zu drastischen Änderungen der Politik geführt.

Mit seiner Klimapolitik hat sich Europa international weitgehend isoliert. Die Politik einer verschärften CO2-Einsparung kann auch hier keinen Bestand haben, wenn Exportländer wie Deutschland zunehmend mit dem Problem immer höherer Stromkosten konfrontiert sind, vor dem die Konkurrenz in Fernost verschont bleibt.

Das deutsche Kabarett zeigt, wohin die Reise geht
Ein kleines Indiz für eine Trendwende selbst in Deutschland ist die Entwicklung des Kabaretts. Der alte SPD-Recke Dieter Hildebrand ist praktisch im Ruhestand, kein Nachfolger in Sicht. Die Anti-CSU-Kämpfer Biermösl Blosn haben sich aufgelöst. Dafür kommen Leute wie Vince Ebert und Dieter Nuhr ins TV-Programm, oder auch Henryk M. Broder und Hamed Abdel-Samad, die in “Entweder Broder” eigentlich auch eine Art “Kabarett im wirklichen Leben” aufgeführt haben. Sie alle nehmen das Mainstream-Gutmenschentum auf die Schippe, und die Gutmenschen am Fernseher amüsieren sich. Das musste so kommen, denn wenn alle Gutmenschen sind, kann man mit dem üblichen Gehabe keinen großen Eindruck mehr machen und die Stunde der Satire ist gekommen. Was heilig und unantastbar war, wird allmählich der Lächerlichkeit preisgegeben.

Was kommt nach dem Gutmenschentum?
Viele Gutmenschen reagieren auf den beginnenden Niedergang, indem sie das Gespenst einer rücksichtslosen Ellenbogengesellschaft an die Wand malen. Sicher ist, dass das Grundbedürfnis, sich den Mitmenschen gegenüber moralisch hervorzutun, Bestand hat. Wenn das Gutmenschentum keine Anerkennung mehr findet, ist es wahrscheinlich, dass der wirkliche oder vorgetäuschte Einsatz für die jeweils eigene Gruppe wieder in den Vordergrund des Moralwettbewerbs tritt, wie es vor der Ära des Gutmenschentums auch im Westen war und im Rest der Welt heute noch ist. Wie weit das Pendel in diese Richtung ausschlagen wird, kann man nicht vorhersagen. Jedenfalls müssen mit der heuchlerischen Selbstüberhöhung des Gutmenschentums die wirklichen gesellschaftlichen Fortschritte der letzten Jahrzehnte keineswegs verschwinden.

Chancengleichheit für Frauen ist bestens möglich ohne die vielen Fernseh-Kommissarinnen, für die es kaum Pendants im wirklichen Leben gibt, ohne die Verbreitung der Illusion, dass Männer und Frauen im Durchschnitt für alle Tätigkeiten exakt gleich gut geeignet sind, und ohne Frauenquoten, die eine Beleidigung für die Frauen sind, die sich ohne Geschlechtsbonus hochgearbeitet haben. Filterung und Begrenzung der Zuwanderung im Interesse der Einheimischen deutscher und ausländischer Herkunft ist geradezu eine Vorbedingung dafür, dass respektvoller und freundlicher Umgang mit Zuwanderern allgemeine Verhaltensnorm wird. Verzicht auf den Ökowahn kann viele Naturgebiete außerhalb Europas erhalten, die sonst dem hohen Flächenbedarf “ökologischen” Anbaus für einen bizarren Luxus der Einwohner reicher Länder zum Opfer fallen.

Wenn der Zorn der westlichen Öffentlichkeit über Menschenrechtsverletzungen nicht mehr von den Gutmenschen in den Medien-Redaktionen auf “unsere” (amerikanischen, europäischen, israelischen etc.) wirklichen oder vermeintlichen Vergehen konzentriert wird, ungeachtet der wirklichen Proportionen der Untaten in aller Welt, kann das den Menschenrechten nur förderlich sein. Für die Verteidigung der Menschenwürde ist nicht die Gleichheit sondern die Freiheit das oberste Ziel. Gutmenschen sind nicht mit guten Menschen zu verwechseln und das Gutmenschentum ist keinesfalls eine Vorbedingung für Gerechtigkeit, Humanität und Naturschutz.

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