Als ich zur Uni ging, liefen sie in jeder Kiffer-WG. Die Rede ist von den „Zeitgeist“-Filmen. Wie Dan-Brown-Romane galoppieren die auf Dokumentation getrimmten YouTube-Videos durch die Weltgeschichte. Wir erfahren, wie eine kleine Elite seit den Anfängen der menschlichen Zivilisation die Geschicke der Welt lenkt. Nur der Übergang zu einer computergesteuerten „ressourcenbasierten Wirtschaft“ kann unser Schicksal (als mit Mikrochips versehene Sklaven einer neuen „Weltregierung“) noch abwenden.
Der erste der drei abendfüllenden Filme erschien 2007, der letzte 2011. In einer Welt, die von der globalen Finanzkrise verunsichert war, trafen die obskuren Machwerke des Amerikaners Peter Joseph Merola einen Nerv. Hunderte Millionen Menschen schauten sie sich im Netz an. Es entstand sogar eine „Zeitgeist-Bewegung“, die zeitweise über 400.000 Anhänger hatte.
Die „Zeitgeist“-Filme verbreiten Verschwörungstheorien. Die Definition dieses Begriffs ist nicht ganz einfach, denn selbstverständlich gibt es unzählige echte Verschwörungen und Komplotte, mit denen sich zum Beispiel der investigative Journalismus auseinandersetzt. Für den britischen Soziologen Frank Furedi unterscheiden sich Verschwörungstheorien von solcherlei legitimen Untersuchungen durch ihren umfassenden Versuch der Weltdeutung. Alles hängt demnach mit allem zusammen. Grundlegend für Verschwörungstheorien ist eine „Ideologie des Bösen“, die unerwartete Ereignisse und Unglücke als Produkt des Wirkens böswilliger Mächte präsentiert, die hinter den Kulissen des Sichtbaren die Fäden ziehen.
Conspirituality
Traditionelle Protestformen haben laut „Zeitgeist“-Macher Merola keinen Effekt auf die globale Elite. Anstatt das „System“ politisch zu bekämpfen, sollten sich seine Anhänger für Wissen, Frieden, Einheit und Mitgefühl einsetzen. Die Forderung eines „neuen Bewusstseins“ oder „spirituellen Erwachens“ ist ein zentraler Topos esoterischen Denkens. Sie weist die „Zeitgeist“-Filme als ein Beispiel von „Conspirituality“ aus.
Der 2011 von den Sozialwissenschaftlern David Voas und Charlotte Ward geprägte Begriff beschreibt die Synthese von verschwörungstheoretischem Denken („conspiracy“) und New-Age-Spiritualität („spirituality“). Die verschwörungstheoretische Beschäftigung mit dem Einfluss einer geheimen Elite wird mit der Ansicht verbunden, dass der Menschheit ein bedeutender Bewusstseinswandel („New Age“) bevorstehe. Nur durch Handeln im Einklang mit diesem Paradigmenwechsel könnten sich die Menschen der Kontrolle der geheimen Herrscher entziehen.
Auch in Deutschland gibt es eine Conspirituality-Szene, die oft unverhohlen rechtsextreme und antisemitische Thesen vertritt. So vermischt der Autor Jan Udo Holey in seinen (teilweise unter dem Pseudonym „Jan van Helsing“ erschienenen) Büchern Esoterik, germanische Mythologie und christliche Zahlenmystik mit Warnungen vor einer weltweiten Verschwörung jüdischen Ursprungs. Auch Jo Conrad verknüpft Antisemitismus und esoterisches Denken. Der Autor und Unternehmer lehrt, wie man sich durch das Aussenden „positiver Signale“ vor Schicksalsschlägen, zum Beispiel vor Überfällen in der Straßenbahn, schützen kann. Die „jüdisch dominierte“ amerikanische Filmindustrie hält er für Teil eines Komplotts, unsere „Visualisierungskraft“ und Empathie zu beeinträchtigen.
Solcherlei krude Theorien werden in der Regel nur von sehr kleinen Minderheiten tatsächlich geglaubt. Allerdings kann man beobachten, wie verschwörungstheoretisches Denken – auch und gerade in seiner esoterischen Spielart – mehr und mehr von den Rändern der Gesellschaft in den Mainstream einsickert. Frank Furedi spricht in diesem Zusammenhang von „Verschwörungsdenken“ – einer abgeschwächten Form der Verschwörungstheorie, wenn man so will –, das inzwischen auch in den verunsicherten Mittelschichten salonfähig geworden ist. Es handelt sich weniger um eine umfassende Theorie zur Weltdeutung als vielmehr um die diffuse Vorstellung, dass hinter spezifischen Problemen und Unglücken Einzelner verborgene böswillige Absichten stecken müssten.
„Politisches Yoga“ anstatt konkrete politische Forderungen
Der Einfluss esoterisch angehauchten Verschwörungsdenkens auf die Gesamtgesellschaft ist kaum zu übersehen. Im Zuge der Finanzkrise entstand etwa die „Occupy“-Bewegung, zu deren Fanclub neben linksliberalen Medien wie taz und Guardian auch der ehemalige US-Präsident Barack Obama gehörte. Die internationale Protest-Franchise zeichnete sich durch eine Obsession mit dem negativen Einfluss des sogenannten „einen Prozents“ aus. Bezeichnend sind die Erfahrungen eines amerikanischen Journalisten. Neben der Arbeitslosigkeit prangerten die Demonstranten, auf die er traf, vor allem „rücksichtsloses“ Wirtschaftswachstum an. Hohe Arbeitslosigkeit ist für gewöhnlich die Folge wirtschaftlicher Stagnation – also von zu wenig Wirtschaftswachstum. Das schien im Weltbild der Occupier, demzufolge das Gedeihen der Menschheit durch die Gier einer winzigen Gruppe sabotiert wird, keine große Rolle zu spielen.
Die Sichtweise der „Occupy“-Bewegung unterscheidet sich kaum von jener „Ideologie des Bösen“, die die krudesten Verschwörungstheoretiker verbreiten. Auch ihre Lösungsansätze erinnerten an Conspirituality. So beschäftigten sich die Demonstranten mit Aktivitäten wie „politischem Yoga“, anstatt konkrete politische Forderungen zu erarbeiten.
Auf Spuren von Verschwörungsesoterik stieß ich auch im staatlichen Bildungssystem. An meinem Gymnasium wurde zum Beispiel „Adbusters“ sehr wohlwollend im Kunstunterricht beleuchtet. Der Begriff bezeichnet eine kanadische Zeitschrift und eine gleichnamige Bewegung, die von der vermeintlichen „mentalen Umweltverschmutzung“ der Werbung besessen ist. Ihre Aktivisten halten sich für eine erleuchtete Vorhut, die die konsumbesessenen Massen „deprogrammieren“ und „neue psychische Möglichkeiten“ schaffen wird. Auf der ersten Webseite des „Adbusters“-Magazins prangte das unter Verschwörungstheoretikern beliebte Motiv einer Pyramide mit allsehendem Auge. Seine Lobeshymnen auf den italienischen Antipolitiker Beppe Grillo, der regelmäßig mit Verschwörungstheorien über Impfungen und 9/11 auffällt, überraschen daher kaum.
Im links-grünen Bürgertum angekommen
Es ist erstaunlich, wie viele Anliegen der Conspirituality-Hausierer auch zum guten Ton im links-grünen Bürgertum gehören. So spricht sich Peter Joseph Merola wie viele Mainstream-Umweltschützer gegen Grüne Gentechnik und Atomkraft aus. Die wenigsten Menschen halten Hollywood, wie Jo Conrad, für ein Instrument jüdischer Gedankenkontrolle. Aber die Vorstellung, dass die vermeintlich oberflächliche amerikanische Populärkultur die Massen verdummt, ist in der staatstragenden Mittelschicht weit verbreitet. Auch die verschwörungstheoretische Fixierung auf die vermeintliche Macht finsterer Finanzeliten unterscheidet sich nur graduell von populären Klagen über „gierige Banker“.
Natürlich haben Verschwörungstheoretiker diese Anliegen nicht erfunden. Ihr Versuch, verbreitete Ansichten mit noch kruderen Thesen zu verknüpfen, gelingt jedoch vor allem, da ersteren bereits eine gewisse Verschwörungslogik (im Fall Genfood etwa Vergiftungsfantasien) innewohnt.
Sind wir jetzt also alle Verschwörungsesoteriker? Selbstverständlich glauben taz-Redakteure nicht an eine geheime Weltregierung. Autoren wie Jan Udo Holey und Jo Conrad bedienen mit ihrem braunen Geschwurbel einen Nischenmarkt. Dennoch sollte uns die zunehmende soziale Akzeptanz verschwörungstheoretischer Denkmuster zu denken geben. Die Obsession mit konspirativen Gruppen, die vermeintlich entmachtet werden müssen, damit die Welt aufblühen kann, trägt nicht zum Verständnis realer gesellschaftlicher Probleme bei. Es geht mehr darum, Sündenböcke zu finden, anstatt Missstände vernünftig zu analysieren und nach Lösungen zu suchen.
Die Epidemie des Verschwörungsdenkens, das überall finstere Machenschaften wittert, wird die ohnehin in unserer Gesellschaft allgegenwärtigen irrationalen Ängste nur verstärken und so tendenziell der Politikmüdigkeit der Menschen weiter Auftrieb geben. Das verschwörungsesoterische Gedankengut birgt dabei besondere Probleme. Durch ihren Fokus auf „Bewusstseinsveränderung“ verkennt Conspirituality, dass es nicht des Wunschdenkens, sondern aktiv handelnder Menschen bedarf, um gesellschaftliche Verhältnisse zu verändern. Letztlich werden die Bürger so von der Notwendigkeit entlastet, konkrete politische Standpunkte zu entwickeln. Alle, die ernsthaft an einer Verbesserung der Gesellschaft interessiert sind, sollten der Verschwörungsesoterik daher mit rationalen Argumenten entgegentreten.