Vera Lengsfeld / 13.09.2012 / 14:00 / 0 / Seite ausdrucken

Die unheimliche Botschaft der Gertrud Höhler

Als Gertrud Höhler Ende August ihr Buch „Die Patin“ der Öffentlichkeit vorstellte, brach ein Mediensturm der Empörung über sie herein, der dem von Sarrazin ausgelösten kaum nachstand. Wie bei Sarrazin setzten sich die Empörungsmacher nicht inhaltlich mit der Autorin auseinander, sondern konzentrierten sich auf Schmähungen, die nichts mit dem Buch und wenig mit der Wirklichkeit gemein hatten. Höhler kritisiere die Kanzlerin, aus verletzter Eitelkeit, weil sie nicht deren Beraterin geworden wäre. Diese Unterstellung wurde von allzu vielen allzu oft wiederholt, so dass beim Publikum der Eindruck entstand, bei der Autorin handele es sich um eine beleidigte Leberwurst, die ihren Frust abarbeite. Als dieser Punkt erreicht war, musste man sich nicht mehr ernsthaft mit den Höhlerschen Thesen auseinandersetzen. Das ganze Medientheater erinnerte stark an die berühmten getroffenen Hunde.

Der Ehrlichkeit halber muss hinzugefügt werden, dass Höhler es ihren Schmähkritikern leider leicht gemacht hat. Auch mich hat besonders das Anfangskapitel über die Agentin aus Anderland, die in eigener Sache sich durch die Geschichte und zweifachen Vaterkomplex wühlt, genervt. Die vielen unnötigen Wiederholungen, die sich durch den ganzen Text ziehen, können tatsächlich den Eindruck von Gehirnwäsche erwecken. Schade, denn diese Mängel verdecken den Blick auf die Botschaft der Autorin, die alarmierend genug ist und durch verbale Abrüstung besser zur Geltung gekommen wäre.

Die sorgfältigeren Kritiker haben denn auch eingeräumt, dass Höhlers Analyse in Vielem zutreffend ist. Etliches ist gar längst bekannt. Wenn das so ist: Wo bleibt die kritische Presse, deren Aufgabe es wäre, erkannte Fehlentwicklungen aufzuspüren und öffentlich zu machen? Dass wir in einer Konsensgesellschaft gelandet ist, die Kritik nicht mehr erträgt, greift als Erklärung zu kurz. Vielmehr ist es zutiefst beunruhigend, dass nur Wenige bereit sind, sich der gegenwärtigen schleichenden Entdemokratisierung, schlimmer, der Erosion unseres Rechtsstaates entgegenzustellen. Man muss dafür keine endlosen, erhitzten Wertedebatten führen, es würde reichen, ganz kühl das westliche Erfolgmodell zu verteidigen. Diesem Modell verdanken wir die längste Friedensepoche, die Europa je hatte und es war das Vorbild für alle Osteuropäer, die sich 1989 dran machten, ein bis an die Zähne bewaffnetes System friedlich zu pulverisieren.

Höhlers Verdienst ist es, die Finger in die richtigen Wunden zu legen, die der rechtsstaatlichen Demokratie in den letzten Jahren zugefügt wurden und die tödlich werden können, wenn man sie nicht behandelt. Höhler hat auch damit recht, dass Kanzlerin Merkel dabei eine führende Rolle spielt, auch wenn sie nicht die Einzige ist, die auf eine Nivellierung des traditionellen zugunsten eines Einheitseuropas hinarbeitet, das der untergegangenen Sowjetunion ähnlicher ist, als dem Europa der Vaterländer, das von den Erfindern der EU ursprünglich angestrebt wurde. Dieses Einheitseuropa, das die Politik unter dem Deckmantel der Eurorettung anstrebt, ist gegründet auf Rechtsbeugung und Rechtsbruch, die Aushebelung der Parlamente, die Schleifung des politischen Ideenwettbewerbs zu Gunsten einer angeblich alternativlosen Einheitsmeinung, die Enteignung und die Gängelung der Bürger durch eine allmächtige, aber gesichtslose Bürokratie. Wie sehr sich die Verhältnisse in Europa bereits verschoben haben und wie sehr das bereits als Normalität empfunden wird, hat unlängst der Chefredakteur der „Welt“, Schmid, klar gemacht, als der die Pro- ESM- Entscheidung des Verfassungsgerichts mit dem Satz kommentierte: „Karlsruhe weiß, wo in Europa der Hammer der Macht hängt“ Die Einigung Europas müsse „vorangetrieben“ werden, ließ die „Welt“  kurz darauf den Italiener Smaghi sekundieren. Die Frage, warum Europa, das seit 1989 von ganz allein zusammengewachsen ist, „getrieben“ werden muss, wird nicht gestellt. Schlimmer, sie scheint unseren Medienmachern gar nicht mehr in den Sinn zu kommen.

Höhler stellt die wichtigen, ja entscheidenden Fragen nach den Vorgängen im „Politlabor“ Deutschland, wo Merkel viele Entwicklungen vorwegnimmt, die sich auf europäischer Ebene abzeichnen. Das Vorrücken des Staates und die Aushebelung des Parlaments. Die Ausschaltung der Opposition und des politischen Meinungsstreits zugunsten einer Einheitspartei mit einer Einheitsmeinung,  genannt Allparteienkonsens. Das Einschnüren der Marktwirtschaft durch Staatsbürokratie, exerziert am Beispiel der so genannten „Energiewende“. Die Entmachtung der Wähler, deren Votum einfach ignoriert wird. Die „lautlose Sprengung“ des westlichen Wertesystems und traditioneller Bindungen durch einen europäischen Polit-Jetset, der von einer internationalen Konferenz zur nächsten eilt und kaum noch zu hause anzutreffen ist. In all dem ist unsere Kanzlerin die Trendsetterin. Zur „Königin Europas“ wurde sie von den Medien bereits ausgerufen, ungeachtet der Tatsache, dass die Zeit der absoluten Monarchen vorbei ist und die Europäer nichts weniger wollen als die Restauration von totaler Macht.

Der Staat gehört den Bürgern, nicht die Bürger dem Staat, ein Credo das die Streber nach einem Einheitseuropa offenbar vergessen haben. Höhler sagt am Ende ihres Buches, noch hätten wir die Wahl. Als unverbesserliche Optimistin füge ich hinzu: Europa hat schon Schlimmeres überstanden als die Euroretter. Früher haben die Politiker mit Menschenleben gespielt, heute spielen sie nur noch mit Geld. Es wird kein Jahrhundert brauchen, bis die Falschspieler entlarvt sind. Am Ende siegt, wie 1989, die Freiheit.

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