Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 13.08.2012 / 00:08 / 0 / Seite ausdrucken

Die Sprache(n) der Europakrise

Es gibt viele Gründe, warum die geldpolitische Krise Europas sich immer weiter dahinschleppt - die fehlende gemeinsame Sprache fällt dabei nicht zuerst auf. Warum sollte es auch eine Rolle spielen, dass die vorherrschende Sprache in der Welt von Finanzen, Politik und Diplomatie Englisch ist? Schließlich sind fast alle wichtigen Akteure des momentanen Krisentheaters in der Lage, ihre Dialoge in der „lingua franca“ unserer Tage zu halten. Auch wenn „lingua franca“ eigentlich ein italienischer Begriff ist.

Diese Sichtweise ist allerdings problematisch. Sie lässt außer Acht, dass die politische Willensbildung in allen europäischen Ländern nach wie vor in den Landessprachen stattfindet. Je nach der Geschichte und den Erfahrungen der verschiedenen Länder sind auch die Auffassungen von Politik, Wirtschaft und Finanzen in Europa sehr unterschiedlich. Spricht ein Italiener von „stabilità monetaria“, so kann er damit durchaus etwas anderes meinen als ein Niederländer, der an „monetaire stabiliteit“ denkt.

Mehr noch - der politische Dialog wird in jedem Land nach anderen Regeln und Mustern geführt. Frankreich, Deutschland, Italien und Griechenland mögen alle an eine gemeinsame Währung gebunden sein, doch diese ökonomische Verflechtung findet keine Entsprechung in einer ähnlich zusammenhängenden Debatte. Praktisch hat jedes Land seine eigene spezielle Euro-Diskussion, in der es kaum Überschneidungen mit seinen Nachbarn gibt.

Für einen englischsprachigen Beobachter kann das durchaus überraschend wirken. Wenn Ihre Muttersprache Englisch ist, könnten Sie leicht denken, dass alle Länder das gleiche Verständnis der europäischen Wirtschaft haben müssen. Das liegt daran, dass es keine Rolle spielt, ob Sie britische, amerikanische, australische oder andere englischsprachige Zeitungen lesen – ihre Berichte und Kommentare zur Eurokrise sind bemerkenswert homogen. Mit Ausnahme Irlands betrachten sie alle die Eurozone von außen und ihre Einschätzungen werden oft durch einige wenige weltweit anerkannte Experten geprägt.

Ganz anders Deutschland. Mit seiner Bevölkerung von 82 Millionen hat es eine große, vielfältige Medienlandschaft mit eigenen Publikationen, die die politische Agenda prägen, mit führenden Kommentatoren und Wirtschaftsgurus, von denen wohl nur wenige Nichtdeutsche je gehört haben. Die weltweite Euro-Debatte hat ihre Krugmans, Rogoffs und El-Erians, die deutsche Euro-Debatte wird beherrscht von Personen wie Hans-Werner Sinn, Michael Hüther, Max Otte und Roland Tichy. Wenn Ihnen diese Namen nichts sagen, so ist das genau der springende Punkt.

Wollen Nichtdeutsche die deutschen Ansichten zur Krise verstehen, so dürften sie damit ihre Schwierigkeiten haben.  Nur wenige deutsche Publikationen bieten englische Übersetzungen ihrer Artikel an und diejenigen, die es tun, sind nicht unbedingt repräsentativ für die öffentliche Meinung.

Spiegel Online beispielsweise übersetzt einige seiner Artikel und spricht sich gewöhnlich für Rettungsprogramme und monetären Aktivismus aus. Das klingt meist nicht wesentlich anders als im Mainstream der englischsprachigen Medien. Im Spektrum der veröffentlichten Meinung in Deutschland ist jedoch das Mitte-Links-Medium Spiegel Online nur eine Stimme, wenn auch eine wichtige.

Um ein vollständiges und ausgewogenes Bild zu gewinnen, sollte man idealerweise auch die wirtschaftsliberale Frankfurter Allgemeine Zeitung und die konservative Tageszeitung Die Welt lesen. Die WirtschaftsWoche, das deutsche Pendant zum Economist, lässt meist kein gutes Haar an den Eurorettungsmaßnahmen – ebenso die Wirtschaftstageszeitung Handelsblatt.

Im deutschen Schwesterblatt der Financial Times dagegen, der Financial Times Deutschland, finden sich viel häufiger Rechtfertigungen für Schuldenunion, quantitative Lockerung, Eurobonds und dergleichen. Große Boulevardblätter wie Bild (Tagesauflage 2,6 Millionen) führen in der Zwischenzeit eigene Kampagnen gegen „faule Griechen“ und „korrupte Italiener“.

Die beiden großen öffentlich-rechtlichen Fernsehsender ARD und ZDF schließlich schlagen sich gern auf die Seite der Mächtigen und kritisieren das Krisenmanagement der Regierung demzufolge nur halbherzig.

Alles in Allem verhilft die Vielfalt deutscher Medien zu interessanter Lektüre über die Eurokrise. Außenstehende, die des Deutschen nicht mächtig genug sind, würden allerdings niemals erraten, was die Deutschen wirklich diskutieren und wie sie zur Eurokrise stehen. Die wenigen verbliebenen europäischen Korrespondenten australischer Medienunternehmen sitzen beispielsweise in London. Um über Deutschland zu berichten, müssen sie hinfliegen, einen Übersetzer finden und dann den Hinweisen folgen, die sie Spiegel Online entnehmen – nicht gerade das richtige Rezept für eingehende Analysen.

Die Eurokrise aus deutscher und aus internationaler Sicht zu verfolgen, ist faszinierend. Da spielt sich ein Kampf der Kulturen ab, der vielleicht nicht so ins Auge fällt - doch es ist ein Kampf. Auf der einen Seite erfährt man viel darüber, warum das Ausland an den Deutschen, ihrem Verfassungsgericht, ihrem anscheinend altmodischen Glauben an geldpolitische Orthodoxie und ihrem Beharren auf Haushaltsdisziplin verzweifelt. Auf der anderen Seite muss man die Situation auch aus ihrer Perspektive nachvollziehen. In vielen deutschsprachigen Publikationen wird thematisiert, dass die meisten durchschnittlichen Deutschen nicht verstehen können, was sie verbrochen haben sollen, dass ihnen deshalb nun die Last der Rettung Europas aufgebürdet wird.

Meine Eltern sind ein gutes Beispiel für diese Perspektive der deutschen Mittelschicht. Sie verbrachten ihr halbes Leben in Mietwohnungen und sparten auf ihr erstes Eigenheim, das sie erst kauften, als sie Anfang 50 waren. Die kleine Hypothek, die sie noch benötigten, war schnell abbezahlt. Finanziell, so meinten sie, hatten sie alles richtig gemacht.

Das erklärt vielleicht, warum meine Mutter so verärgert war, als Deutschland kürzlich der Finanzhilfe für notleidende spanische Banken zustimmte. „Schämen die Spanier sich nicht, uns anzubetteln?“ fragte sie mich. „Was haben wir getan, dass wir jetzt für sie zahlen müssen? Und warum kann unsere Regierung nicht die Schlaglöcher in unseren Straßen reparieren, bevor sie unsere Steuergelder ins Ausland schickt?“

Diese Ansicht ist nur schwer mit dem Zorn der jungen Spanier in Einklang zu bringen, von denen die Hälfte arbeitslos ist. Sie ist auch nur schwer mit dem Zorn griechischer Demonstranten über die von der Troika verfügten Sparpakete zu vereinbaren.

Genau das ist die Krux mit der Eurokrise. Da gibt es die vollkommen verständlichen nationalen Aspekte der Krise, doch sie stehen unverbunden nebeneinander und oft gegeneinander. Wie um alles in der Welt kann man diese Krise lösen, wenn die Europäer selbst sie so unterschiedlich wahrnehmen?

Die deutsche Sprache hat normalerweise außerhalb Mitteleuropas relativ geringe Bedeutung. Die Entwicklungen in dieser Eurokrise nachzuvollziehen, ist jedoch fast unmöglich, wenn man die Zeitungen ihrer wichtigsten Akteure nicht lesen kann.

Dr. Oliver Marc Hartwich ist Executive Director der The New Zealand Initiative.

‘Reading the language of Europe’s crisis’ erschien zuerst in Business Spectator (Melbourne), 9. August 2012. Aus dem Englischen von Cornelia Kähler (Fachübersetzungen - Wirtschaft, Recht, Finanzen).

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