Richard Wagner / 19.06.2009 / 08:36 / 0 / Seite ausdrucken

Die Scholl-Latour-Woche

Eine Woche Weltkrisenlage ist auch eine Woche Scholl-Latour. Hier ein paar Zitate der letzten Tage aus dem Munde des Krisenexperten PSL:
Kleine Zeitung: „Iran: Es könnte viel Blut fließen“
BILD. de: „Terroristen machen Jemen zur neuen Basis“
Nordkurier: „Entführungsdrama im Jemen: Dieser Fall ist sehr untypisch.“
Deutschlandradio: „Der Journalist Peter Scholl-Latour hat die Ansprache von US-Präsident Barack Obama an die muslimische Welt als ‚grandios’ und ‚mutig’ bezeichnet.“
BILD fragt: „Was bezweckt der nordkoreanische Diktator Kim Jong Il mit seinen Atombomben-Tests? PSL: „Es ist durchaus möglich, dass Kim Jong Il einfach ein Irrer, ein Psychopath ist.“
Turk.com, die Türkische Internet Community, zitiert PSL zur PKK: „Im Grunde ist es der Partisanenkrieg, den es schon immer gegeben hat, aber es gibt wenig Fälle, wo ein Partisanenkrieg in der Geschichte siegreich überwunden wurde.“

„Au delas du possible“, über das Mögliche hinaus, lautet die Inschrift auf der Regimentsfahne des Commando- Parachutistes- Ponchardier, dem PSL 1945/1946 als Fallschirmjäger in Indochina angehörte. Es waren die zwei Jahre, die alles weitere stifteten, angefangen mit dem Bestseller „Tod im Reisfeld“.

Dass nicht die Fakten zählen, sondern ihre Aufbereitung, weiß im Grunde jeder halbwegs versierte Journalist. Alles, was Wallraff über BILD zu sagen hatte, wäre belanglos geblieben, hätte er nicht dafür die Figur des Mannes, der bei BILD Hans Esser war, erfunden. So gesehen, ist PSL einer der Väter des deutschen Politinfotainments. Dieses erfordert mehr Prägnanz als Genauigkeit.

Unter unserer zahlreichen heiteren Rentnerprominenz, die überall mitmischt, auf dem Kreuzfahrtschiff und am Hindukusch, erscheint PSL auf den ersten Blick als der mürrische Kontrapunkt.  Die umtriebigen Alten, von Tony Marschall („Tausend mal an dich gedacht“) bis Rupert Neudeck („Cap Anamur“), sind in der Kommunikationsgesellschaft an die Stelle der Weisen getreten. Ihr Unterhaltungswert ergibt sich nicht zuletzt aus ihren Marotten, wie bei Reich-Ranicki, oder auch durch schlechte Laune, wie PSL sie pflegt.

Unter all den Fernsehnasen über achtzig ist PSL die unangefochtene Diva. Seine Medienauftritte bestehen vor allem darin, die an ihn gerichteten Fragen der Journalisten als substanzlos zu entlarven. So gewinnt das Publikum den für PSL wertssteigernden Eindruck die Fragerei sei nicht nur dilettantisch, sie sei für den Experten sogar eine Zumutung.

Das aber wäre das Meinungs-Nonplusultra des Boulevards. Wer keine kompetenten Fragen zu stellen weiß, verdient auch keine ernsthafte Antwort. PSL bleibt lakonisch. Seine Kurzangebundenheit verstärkt sogar noch das Legitime an seinem Standpunkt. Dieser will bloß angedeutet sein. Die Chemie zwischen dem Publikum und PSL entsteht aus dem Unterhaltungswert, den die schlechte Laune in der Erlebnisgesellschaft mittlerweile angenommen hat.

Und noch etwas: Ein Projekt-Manager nennt in seinem Profil für das Business-Netzwerk Xing unter seinen größten Wünschen ein Abendessen mit Peter Scholl-Latour.  Die Abschrift des Tischgesprächs wäre wahrscheinlich höchst unterhaltsam, als ein Bühnenstück mit vertauschten Rollen: PSL als Projekt-Manager und der Projekt-Manager als PSL.

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