Richard Wagner / 24.11.2008 / 10:31 / 0 / Seite ausdrucken

Die Peanuts von Warschau

Kennen Sie den slowenischen Pharmawert Krka? Im November war er besonders günstig. Oder haben Sie schon mal von dem Fertigmalzeitenhersteller Graal im polnischen Wejherowo gehört? Er gilt als Börsen-Geheimtipp.

Die eher unauffälligen Finanzplätze Ostmitteleuropas, allen voran die Börse Warschau, haben nach Expertenansicht die Talsohle erreicht, das aber gilt, nach neuesten Maßstäben, ja bereits als das rettende Ufer. Der Boden, den man unter den Füßen spürt, ist zwar kein teures Pflaster, aber er verspricht zu halten.

Nach westlichen Finanzvorstellungen lebt Ostmitteleuropa eh nur von Peanuts. Und Peanuts werden auf der Titanic offenbar bis heute wenig geschätzt. Selbst in der Krise ist man mit großer Geste dabei. Als müsste man den Durst mit Veuve Clicquot löschen, weil angeblich das Mineralwasser ausgegangen ist. Man denke bloß an die Milliarden, die unentwegt zu Hilfspaketen für erste Adressen geschnürt werden, so, als käme es der politischen Klasse vor allem darauf an, der wählenden Bevölkerung zu demonstrieren, dass man es ernst meint.  Die boulevardisierte Republik kann nur noch in Superlativen handeln.

Und so ist der Haushalt das letzte, wonach heutzutage gefragt wird. Die von den medial gesteuerten Hysterien geradezu besoffene Öffentlichkeit kennt anscheinend nur noch die Alchemie der Verstaatlichung. Wäre die Politik ehrlich, müsste sie den Leuten sagen, dass sie, als Steuerbürger, jeden Staats-Euro, der jetzt zum flotten Einsatz kommt, doppelt und dreifach zu bezahlen haben werden.

Anders erscheint das Problem in Ostmitteleuropa. Hier hat man ohnehin zu wenig Geld zur Verfügung, und wenn man auch noch eine eigene Währung zu verwalten hat, muss man zunächst einmal für deren Stabilität sorgen. Der Euro lebt nicht zuletzt von seinem Image als Parallelwährung zum Dollar. Beim ungarischen Forint und bei der slowakischen Krone kommt es dagegen allein auf die Substanz an, und damit nicht zuletzt auf die ohnehin prekäre Handelsbilanz. Im Ergebnis kann der Osten viel weniger über seinen Verhältnissen leben, ohne den Bankrott zu riskieren, und das führt zwangsläufig zur Vorsicht.

Gerade weil man mit dem Westen auf eine so vertrackte Weise verbunden ist, und damit fürchtet, es auf Gedeih und Verderb zu sein, setzt man bewusst auf Selbsthilfe. So haben Polen, Rumänien und Ungarn ihre Strategien zur Abwehr von Währungsspekulationen koordiniert. Ungarn, bei dessen Schuldenberg ein Staatsbankrott nicht ausgeschlossen werden kann, hat es vorgezogen, statt der EU-Hilfsgelder die Unterstützung des IWF anzunehmen. Und von dem IWF-Beitrag wurde auch nur die erste Tranche abgerufen, als Notfallreserve bei Liquiditätsproblemen. Das IWF-Geld wurde der EU-Hilfe vorgezogen, weil - man höre und staune - die Zinsbedingungen des internationalen Währungsfonds günstiger sind als die in Brüssel. Auch das wirft ein Licht auf die institutionellen Ungereimtheiten der Europäischen Union.

Ostmitteleuropa versucht seit langem dem Westen als attraktiver Markt aufzufallen, nicht zuletzt durch seine Wachstumsraten. Dahinter steckt das Aufholbedürfnis, dessen Statussymbol Nummer eins der Beitritt zur EU darstellt. Im Auswirkungsterritorium tummeln sich österreichische Sparkassen und deutsche Discounter, indische Stahlkonzerne und amerikanische Reifenhersteller, und die Autobauer aller Marken. Renault hat in Rumänien bekanntlich ein Billigmodell entwickelt, dass mittlerweile Kultstatus genießt, den Dacia Logan.

Ostmitteleuropas Gewerbegebiete ähneln einem Basar, dessen Rahmenbedingungen nur provisorisch sein können. Man verdient Geld in einer Art und Weise, um diese Art und Weise, Geld zu verdienen, überwinden zu können. Der Ostmitteleuropäer übernimmt jede Art von Arbeit, um in Zukunft nicht mehr jede Art von Arbeit annehmen zu müssen.

Zwei Millionen Polen arbeiten im Ausland, vor allem in Westeuropa, die Hälfte von ihnen in Großbritannien und Irland. Mittlerweile herrscht in Polen Arbeitskräftemangel, vor allem, was Facharbeiter betrifft. Die Regierung hat sogar ein „Handbuch für Rückkehrer“ herausgegeben, das unter anderem eine Steueramnestie verspricht. Diese Situation zeigt, dass der Boom in Ostmitteleuropa nicht nur eine Blase ist, sondern buchstäblich Realwirtschaft kreiert. Erstaunlich stabil präsentieren sich auch einige der regionalen Währungen, wie der polnische Zloty und die tschechische Krone. Auch ihre Stärke macht wegen der Wechselkurse die Arbeit im westlichen Ausland jetzt weniger attraktiv.

Das aber generiert nicht nur Pragmatismus sondern bestärkt auch isolationistische Tendenzen. Diese sind vor allem in Tschechien zu beobachten. Die Republik der Schrebergärtner sieht sich in ihrer Europaskepsis einmal mehr bestätigt. Das aber ist ein Problem, und zwar zunächst einmal für die EU, deren Ratspräsidentschaft Prag im Januar turnusmäßig übernehmen soll.

Bei allem, was in Ostmitteleuropa entschieden wird, steht auch die Geschichte seines komplizierten Verhältnisses zum Westen Pate. Ostmitteleuropa hat aus seiner Geschichte gelernt, das man sich auf den Westen nicht verlassen sollte. Sein Verhältnis zu Westeuropa ähnelt dem der Westeuropäer zu den Vereinigten Staaten. Man ist zwar schicksalsreif miteinander verbunden, kritisiert sich gegenseitig aber unentwegt.

Die Ostmitteleuropäer legen sich sogar gezielt amerikanische Eigenschaften zu, um sich von ihren westlichen Nachbarn abzugrenzen. Und das führt nicht nur dazu, dass sie mit den deutschen Investoren englisch sprechen. So entstehen seit der Wende, nahe des Warschauer Hauptbahnhofs, unaufhörlich neue Bürotürme. Sie haben für europäische Verhältnisse eine ungewöhnliche Traufhöhe, für Amerika hingegen wären sie unerheblich. Sie gruppieren sich im Übrigen um den Kulturpalast, den Stalin einst Warschau als sowjetkoloniales Machtzeichen verpasste, als wollten sie ihn zumindest architektonisch einkreisen. Das russische Geld allerdings bewegt sich in anderen Bahnen. Moskaus Stamokap kauft sich im Osten erfolgreich ein. Was das bedeutet, wird sich noch zeigen.

Ostmitteleuropa kann der Finanzkrise zwar nicht ausweichen, es hat aber gegenüber dem Westen zumindest zwei entscheidende Vorteile. Dazu gehört, dass die Ostmitteleuropäer von ihrem Staat viel weniger erwarten, und, dass die mediale Aufmerksamkeit nicht auf Ostmitteleuropa gerichtet ist. Während diese sich mit Obama und Dubai verlustiert, kann Ostmitteleuropa den Windschatten nutzen. So ist die Politik viel freier in ihren Entscheidungen als im Westen. In Ostmitteleuropa ist nicht nur der Markt kleiner, sondern auch dessen Bühne.

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