Gunter Weißgerber / 15.05.2020 / 14:00 / Foto: Stell98 / 35 / Seite ausdrucken

​​​​​​​Die oberste Entwerterin des Grundgesetzstaates

Der 22. September 2013 markiert einen Paradigmenwechsel in der Binnensicht der Bundesrepublik, dessen Auswirkungen uns seither beschäftigen und noch beschäftigen werden, auch wenn den meisten der Zusammenhang mit diesem Datum gar nicht mehr bewusst ist.

Was geschah an diesem Tag? Die Union fuhr mit Angela Merkel mit 41,7 Prozent einen fulminanten Wahlsieg ein und war völlig berechtigt außer Rand und Band. Auch ich, damals noch Sozialdemokrat mit Parteibuch, war zufrieden. An einer so starken Union war für die SPD schwer vorbeizukommen und Rot-Rot-Grün auf Bundesebene vorerst passé.

Die gesamte Union war an dem Abend aus dem Häuschen und einer schien es besonders zu sein: Der damalige CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe feierte den Unions-Sieg mit dem Schwenken einer kleinen Nationalflagge – was für Merkels Vorgänger im Amt der Bundeskanzler als Normalität keine besondere Beachtung gefunden hätte. Zur Deutschen Einheit 1990 kam es mit mehrheitlichem Volkswillen in den Farben Schwarz-Rot-Gold – den Farben der Freiheitskriege 1813–1815, des „Hambacher Festes“ 1832, den Farben der 1848er März-Revolution und der Frankfurter Nationalversammlung, der „Weimarer Republik“, der Bundesrepublik von 1949.

Keinen Platz fand die Fahne von Freiheit und Demokratie im „Norddeutschen Bund“ und im Kaiserreich, verboten war sie im Dritten Reich, verfremdet mit den Insignien des Sozialismus – Hammer, Zirkel, Ährenkranz – in der DDR.

1989 standen die Ostdeutschen gegen die sozialistische Diktatur und für eine Republik ohne ideologisch einengendes Attribut auf – mit dem Ergebnis der alten und neuen demokratischen Nationalflagge ohne die aufgedrückten Insignien der sozialistischen Macht auf den drei Farbstreifen Schwarz, Rot und Gold.

Ob Adenauer, Erhard, Kiesinger, Brandt, Schmidt, Kohl oder Schröder, sie alle machten Wahlkampf mit dem Grundgesetz im Kopf und in den Farben der Republik. Selbst die Bundeskanzlerin Merkel machte bis zu diesem Erfolg keinen öffentlichen Eindruck des Fremdelns mit den Farben der deutschen Demokratie.

Das Abrutschen der Demokratie

Aber am Wahlabend 2013 entriss Angela Merkel dem stolz fahnenwedelnden Hermann Gröhe erbost die Nationalflagge. Eine oft gequälte, verfremdete, verleugnete Fahne. Weggerissen, beinahe weggeworfen durch einen demokratisch gewählten Regierungschef wurde sie noch nie. Ein solcher Umgang mit diesem Symbol blieb bis dato den dunklen Gestalten der deutschen Geschichte vorbehalten.

Angela Merkel wollte mit dem Wahlsieg im Rücken an diesem Abend mit dem Fahnenwegwerfen offenbar ein Zeichen setzen. Ein Signal beispielsweise an die Anhänger jener Grünen, die mit Schwarz-Rot-Gold fremdeln, aber mit einem „Deutschland-Du-mieses-Stück-Scheiße“ kein Problem haben.

Ob Angela Merkel auch selbst kein positives inneres Verhältnis zur deutschen Freiheits- und Demokratiegeschichte hat und dieses Symbol auch deshalb gern vom Podium verbannte oder ob sie es schweren Herzens tat, das wissen wir nicht.

Was sie fortan anrichtete, das jedoch wissen wir inzwischen sehr gut. Frau Merkel warf das wertvolle Symbol unserer Demokratie quasi der AfD vor die Füße. Sie musste es nur aufheben. Vertrauensverlust in die Institutionen dieser Republik und fremdeln mit den eigenen Farben sind Teil ein und derselben Medaille: der Medaille des Abrutschens dieser Demokratie.

Angela Merkel als Bundeskanzlerin ist die oberste moralische Entwerterin des Grundgesetzstaates. Dies ist mein Land, dafür ging ich mit Hunderttausenden auf die Straße. Den Hunderttausenden wurden Freiheit und Demokratie nicht geschenkt. Bei Angela Merkel bin ich mir da nicht so sicher. Meine Bundeskanzlerin ist sie jedenfalls nicht. Nicht nur deshalb.

Wer muss hier zum Psychiater?

Die „Neue Ostpolitik“ der bundesdeutschen Regierung Brandt/Scheel führte in der DDR zu großer emotionaler Unbehaglichkeit. Die eigene Nationalhymne mit ihrem Aufruf „Deutschland, einig Vaterland“ stand für zu viel Nähe der „antagonistischen“ deutschen Staaten Bundesrepublik und DDR. Von Stund an durfte die eigene Hymne nicht mehr gesungen werden. Anders herum: Wer die DDR-Nationalhymne sang, war auf kafkaeske Weise ein Gegner.

Was ist nun 2020 mit dem öffentlichen Zeigen der bundesdeutschen Nationalflagge? Offenbar von Wissen befreite Journalisten wittern spätestens seit Merkels Schwarz-Rot-Gold-Fremdschämens dort Staatsfeinde, wo die Nationalflagge ohne das Zutun von Amtsträgern öffentlich auftaucht. Ist Kafka ein Zeitreisender?

Der Widerspruch ist eklatant. Ist das Reichstagsgebäude mit seiner obligatorischen Beflaggung von Rechten okkupiert? Ist dem Staat „Schwarz-Rot-Gold“ erlaubt, dem Bürger nicht? Ist die staatsbürgerliche Identifikation mit „Schwarz-Rot-Gold“ gleichzusetzen der Rechtsaußen-Identifikation mit „Schwarz-Weiß-Rot“, den Farben von Monarchie und nationalsozialistischer Diktatur?

Wer ist hier eigentlich ein Fall für den Psychiater? Die Nationalflaggenschämer oder die Nationalflaggenzeiger? Wer hat den Weg zu dieser psychiatrisch behandlungswürdigen Situation geebnet? Frau Merkel oder die AfD? Richtig, die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland war es, die diese Straße für die AfD öffnete. Statt den Grünen zu signalisieren, eine Koalition gäbe es nur mit dem Grundgesetz und in den Farben der Republik, machte sie ihnen ein demokratietheoretisch und historisch verkorkstes Brautgeschenk. Und die folgsame Union wehrte sich nicht, ließ den Fahnenjunker Gröhe belämmert im Regen stehen.

Wer die Nation und deren demokratische Insignien anderen überlässt, sollte sich wenigstens des Wunderns über die Ergebnisse halbwegs stilvoll enthalten. Es gibt nicht wenige Beobachter, die sich den Bauch vor Lachen nicht halten können.

Nachtrag zu Frau Merkels Auftritt und des Fahnenjunkers Abtritt: Den Videoausschnitt finde ich nicht mehr bei den Öffentlich-Rechtlichen Anstalten, nur noch in Foren der von Frau Merkel selbstgeschaffenen Merkel-Gegner. Das Suchen kann ich den Lesern nicht ersparen. Man google mit den Begriffen „Merkel“, „Gröhe“, „Nationalflagge“.

Foto: Stell98 via Wikimedia Commons

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Claudius Pappe / 15.05.2020

Oh, Herr Weißgerber, sie waren 19 Jahre im Bundestag, in dieser Zeit stiegen die Schulden um 1,5 Billionen Euro. Also sind sie , bei 600 Abgeordneten, für 2,5 Milliarden Euro Schulden verantwortlich. Wo ist unser Steuergeld geblieben ? Sie sind mitverantwortlich dafür, das Grundgesetz zugunsten der EU verändert zu haben. Sie sind mitverantwortlich dafür, das im Westen der Ausbau der Infrastruktur gestoppt wurde. Sie haben den Weg Merkels mitgetragen, sie sind mitverantwortlich für den Niedergangs Deutschland.

Claudius Pappe / 15.05.2020

Wir sollten hier nicht über die AfD herziehen, sondern über die Politiker sprich Abgeordnete des Bundestages die dieses möglich machten. Möglich machten es die Grundgesetzänderungen seit 1990. Möglich machten es die Bundestagsabgeordneten der SPD, FDP, CDU, CSU und Grüne die ab 1990 begannen die Bundesrepublik zu einem Sozialistischen Staat umzubauen. Dem Autor dieses Artikels möchte ich als mitverantwortlich für diese Entwicklung machen. Er war es der sich nicht gegen dieses System stellte. Er hat es gewusst, jetzt so zu tun als habe er nicht mitgearbeitet ist schäbig. Ich hoffe sein Gewissen wird ihn nicht ruhen lassen.

Silas Loy / 15.05.2020

In keinem anderen Land hätte sich ein Politiker eine solche Schmähung der Fahne erlauben können. Mutti Merkel kann das und noch viel mehr.  Sie ist unantastbar und geniesst anstandslose Närrinnenfreiheit. Man sieht es gerade wieder an ihrer verheerenden “Coronapolitik”. Warum? It’s Deutschland, stupid!

Hans Reinhardt / 15.05.2020

Von dem Mass bis zu der Merkel: keine Regierung seit dem 2. Weltkrieg hat bisher ihr Land und seine Einwohner so gehasst und ihnen vorsätzlich so geschadet wie die der Gottkaiserin mit ihrem wechselnden Hofstaat. Aber sie wurde gewählt und nun ist sie halt da.

Günther Wirst / 15.05.2020

Der Artikel stimmt inhaltlich natürlich. Aber eines muss man schon auch sagen: Der Speichellecker Gröhe, ein würdiger Vertreter der CDU, einer ehemals angesehenen Partei, ist auch nicht wert, die Flagge in der Hand zu halten. Bei jedem halbwegs charakterfesten und mit beide Beinen im Leben stehendem Mitmenschen hätte die Angela Dorothea aus der Uckermark eine überaus unangenehme Erfahrung gemacht.  Und zwar sofort und in aller Öffentlichkeit.

Andreas Hansche / 15.05.2020

Die Farben Schwarz-Weiß-Rot sind nicht nur die Farben der kaiserlichen Nationalflagge und der Hakenkreuzflagge, sondern auch die Farben der Antifa. Das ist bemerkenswert, oder?

Andreas Rühl / 15.05.2020

Ich danke Ihnen sehr für diesen fulminanten Artikel. Die Szene mit der Fahne der deutschen Freiheitsbewegung, der deutschen Republik, der Fahne, die für Menschenwürde steht, Freiheit und Volkssouveränität, die Merkel wie ein “Stück Scheisse” mit angeekeltem Gesichtsausdruck von der Bühne räumt, ist in der Tat ein großes Symbol. Wobei, wie Sie richtig anmerken, diese Szene auch anders gedeutet werden kann. Ich habe bei uns in der Kanzlei immer schöne Wort- und Argumentationsgefechte mit meinem Kollegen, einem Europäer, der alles, was auch nur irgendwie nach “Nation” klingt (solange damit nicht die noch nicht existierende “europäische” Nation gemeint ist), für mindestens verdächtig, jedenfalls für “rechts” hält. Kürzlich habe ich ihn darauf hingewiesen, dass nicht nur im “Beitrittsgebiet”, sondern tatsächlich auch vor 89 in der “alten” BRD sich durchaus ein rationaler Nationalismus, ein Verfassungspatriotismus Habermasscher Prägung längst herausgebildet hatte. Ich verweise an der Stelle immer gerne auf Schmidts “Nationalstiftung”. Die Frage, die heute keiner mehr stellt: Kann es vielleicht sein, dass es auch vor 89 diesseits der Mauer, im “Westen” ein neues Nationalgefühl gab, das nichts mehr zu tun hatte mit dem alten, chauvinistischen, gar rassistischen? Ich glaube das nicht nur, ich weiß, dass es so ist. Seit 45 haben die Deutschen, so sie frei schalten und walten durften, Großartiges geleistet: Nicht nur, dass die deutsche Wirtschaft Weltruhm erlangte und deutsche Produkte noch heute höchste Wertschätzung erfahren. Nein! Dieses neue Deutschland war ein Land der Freiheit und des Rechts! Und - trotz aller Mängel - es war ein Land, das wie kein anderes gelernt hatte aus den Fehlern der Vergangenheit. Es gab und gibt allen Grund, auf unsere Verfassung, unseren Staat, auf die Menschen, die all dies geschaffen haben, stolz zu sein. Ob Wehner oder Strauß. Gleich. Und dann kam Merkel. Und seitdem gibt es keinen Grund mehr. Das ist das Traurigste, was dazu zu sagen ist.

Rainer Niersberger / 15.05.2020

Ein nationales Symbol, zumal von einem nicht linkstotalitären Staat, kann fuer eine internationale Sozialistin nur Abwehrreflexe hervorrufen, aehnlich wie die deutsche Hymne zu einer gewissen Symptomatik führte. Der Kontroll verlust, ohnehin etwas, was die Dame zumindest mimisch, mitunter auch verbal begleitet, laesst sich, jedenfalls fuer eine gewisse Zeit, nicht mehr verhindern. Dass sie damit ihrer politisch/ideologischen Heimat, den Linksgruenen, ihre Verbundenheit bekundete, duerfte in diesem Spontanmoment eher unbewusst erfolgt sein. Ihre sehr spezielle charakterlich Verfasstheit hilft ihr zugleich darüber hinweg, dass sie bei ihrem Amtseid auf etwas von ihr Abgelehnter schwoeren muss. Andererseits ist sie zum Zwecke der Machtergreifung und des Machtausbaus bekanntlich ohne Hemmungen oder Skrupel unterwegs. Das hilft, zumindest bis zur Belaestigung durch die Nationalhymne.  Dass es derartige Typen gibt, weiss man, dass sie viermal und vielleicht bis in alle Ewigkeit Bundeskanzlerin wurden bzw. werden, ist eine psychopathologische Spezialität dieser Gesellschaft. Da kommt zusammen, was zusammengehoert.

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