Alle überbieten sich an Dramatik: „Schlimmste Rezession aller Zeiten“. „Größter Einbruch seit dem Weltkrieg“. „Schwerste Krise seit 1929“. Ob Wirtschaftsforschungsinstitute, Bundesregierung, Weltbank oder Massenmedien – es grassiert eine fiebrige Lust an der ökonomischen Apokalypse. Wie einst bei Vogelgrippe und Waldsterben, wie beim Klimawandel und den Kampfhunden – es herrscht Weltuntergangsstimmung. Glaubt man dem akuten Alarmismus, dann gehen morgen alle Lichter aus, und wer noch Kerzen hat, den erwischt die Dunkelheit spätestens übermorgen.
Auch diesmal steckt im kollektiven Krisenrausch ein gehöriges Stück Verblendung. Denn bei näherem Hinsehen sind die historischen Vergleiche allesamt schief. Verglichen werden nämlich Wachstumsraten und nicht Substanzniveaus. Wenn unsere Wachstumsraten 2009 auf minus 2, 3 oder gar 4 Prozent abrutschen sollten, dann wird das eine schwere Rezession, keine Frage. So einen prozentualen Rückgang haben wir tatsächlich selten erlebt. Und doch sagt der prozentuale Rekordeinbruch wenig über die realen Effekte. Denn entscheidend für die historische Bewertung der Krise bleibt der Bezugswert. Wir schrumpfen ein wenig, doch von welchem Niveau geht das eigentlich aus? Vom höchsten, den uns die Weltgeschichte je beschert hat…
Wenn also ein sehr reicher Mann drei Prozent seines Vermögens verliert, dann bleibt er doch ein reicher Mann. Wenn aber ein armer Mann, direkt nach einem Weltkrieg Hunger hat, ein zerbombtes Haus und keine Heizung und ein verkrüppeltes Bein dazu, dann sind drei Prozent Wachstum noch zu wenig. Eine Gesellschaft aus Mobilfunkbesitzern und Flachbildschirmschauern, aus Weltrekordurlaubern und Luxusautofahrern, die eine Pause in ihren Vermögenszuwächsen erleidet, erlebt alles andere als eine „historische Krise“. Das Wohlstandsniveau liegt zigfach über dem vor 80 Jahren. Der ständige Verweis auf die Weltwirtschaftskrise von 1929 ist schon daher lächerlich.
.Ein Blick in die Wirklichkeit zeigt warum: Das Geldvermögen der deutschen Privathaushalte beträgt etwa 4,5 Billionen Euro. Alleine in diesem Jahr haben die Deutschen 65 Millionen längere Urlaubsreisen genossen, etwa 70 Prozent davon ins Ausland, immer mehr in immer exotischere Ziele. Die Deutschen haben 46 Millionen Autos – so viele wie noch nie, 99 Prozent der deutschen Haushalte haben mindestens einen Fernseher, 99 Prozent haben mindestens ein Telefon. Was immer man betrachtet - die Lebenserwartung, die Qualität des Essens, das Bildungsniveau, die Wohnsituationen, der industrielle Kapitalstock – wir leben so dramatisch viel reicher als die Generation von 1929, so dass wir schon eine Rezession von 90 Prozent Niveaurückgang erleiden müssten, um in eine Welt aus Suppenküchen und Tuberkulose-Epedemien zurückzufallen.
Wegen der unvergleichbaren Ausgangsniveaus der Krisen, die derzeit so masochistisch gerne verglichen werden, wirken die Superlative nicht nur wie eine grobe Verzerrung, sie sind geradezu manipulativ.
Wir sollten die Krise als das akzeptieren, was sie ist. Eine Rezession wie sie alle sieben Jahre eben einmal kommt. Sie mag schärfer sein als andere, sie mag die Finanzbranche umwälzen und die Autoindustrie neu strukturieren, sie mag Amerika die Führungsrolle kosten, sie mag uns wieder auf alte Arbeitslosenrekorde zurückwerfen. Alles möglich, aber eine historische Katastrophe ist das beileibe nicht. Vielleicht ist die Geschwindigkeit und Schärfe der Korrektur sogar ein Indiz dafür, dass es diesmal auch schneller wieder aufwärts gehen könnte. Die extrem niedrigen Öl- und Rohstoffpreise, die historisch geringen Zinsen und die Abwesenheit großer politischer Konflikte sprechen jedenfalls dafür, dass wir alsbald von positiven Gegenreaktionen überrascht werden könnten. Dann hätte der Alarmismus zumindest sein gutes gehabt.