Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 15.07.2011 / 04:00 / 0 / Seite ausdrucken

Die Europaschlacht von Canberra

Europa ist ein wichtiger Kontinent und die Europäische Union ein grandioses Projekt. Damit das auch jeder weiß, auch im fernen Australien, unterstützt die EU-Kommission ein Netzwerk von Forschungsinstituten für europäische Studien an drei australischen Universitäten mit mehreren Millionen Euro. Selbst im noch ferneren Neuseeland gibt es an der University of Canterbury ein National Centre for Research on Europe.

An einem dieser EU-Forschungszentren in der australischen Hauptstadt Canberra durfte ich diese Woche einen Vortrag halten. Ich war eingeladen, meine Sichtweise zur europäischen Schuldenkrise zu erklären.

Seit anderthalb Jahren schreibe ich für den australischen Business Spectator eine wöchentliche Kolumne, in der es vor allem um Europapolitik geht. Es dürfte die einzige Europa-Kolumne in den australischen Medien sein, denn diese beschäftigen sich viel lieber mit Asien und Amerika, was angesichts der Ausrichtung der australischen Wirtschaftsbeziehungen auch irgendwie näher liegt. Europa ist in Australien dagegen ein Nischenthema – etwas für Leute mit leicht abgefahrenen Hobbys und Interessen. Was mich aber nicht davon abgehalten hat, mich in dieser Mediennische einzurichten.

Dass ich in meinen Artikeln die aktuelle Europapolitik durchaus kritisch kommentiere, ist auch der diplomatischen Vertretung der EU-Kommission in Canberra nicht entgangen. Und so wurde man dort bei der Ankündigung meines Vortrags an der Australian National University offenbar derart nervös, dass Handeln geboten war.

Da meine EU-skeptischen Ansichten auf gar keinen Fall unwidersprochen bleiben durften, wurde mir bereits zwei Wochen vor der Veranstaltung mitgeteilt, dass der Erste Botschaftsrat der EU-Delegation auf meine Ausführungen antworten würde. Der arme Mensch war zwar völlig übermüdet, da er erst am selben Morgen von einer Reise aus Brüssel nach Australien zurückgekehrt war. Aber wahrscheinlich können erfahrene EU-Diplomaten auch noch im Schlaf die Vorzüge der EG-Verordnung zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen erklären. Von der Sinnhaftigkeit der europäischen Gemeinschaftswährung ganz zu schweigen.

Wie ich aber unmittelbar vor meinem Vortrag aus zuverläsiger Quelle erfuhr, war man bei der EU-Kommission in Canberra dann doch so besorgt, dass die Botschaften sämtlicher EU-Mitgliedsstaaten freundlich gebeten wurden, doch bitte Vertreter zu meinem Vortrag zu entsenden. Wahrscheinlich um mich zu neutralisieren oder wenigstens den Schaden für das Ansehen Europas zu minimieren.

So kam es jedenfalls, dass ich am Mittwoch einem Publikum gegenüberstand, das zu mindestens drei Vierteln aus EU-Diplomaten bestand. Dänen, Belgier, Slowaken, Finnen, Deutsche, Franzosen. Sogar Malta und das Noch-nicht-EU-Land Kroatien waren vertreten. Was man nicht alles tut, wenn man EU-Mitglied werden will.

Nach meinem Vortrag kam es dann, wie es kommen musste. Ein Diplomat nach dem anderen setzte zur Verteidigung der EU gegen jedwede Kritik an. Es wirkte beinahe so, als ob die EU-Kommission einen Preis für die inbrünstigste Verteidigung des europäischen Projekts ausgelobt hätte. Die Diplomaten legten sich jedenfalls so sehr ins Zeug, als ob es ein romantisches Abendessen mit Baroness Catherine Ashton zu gewinnen gäbe.

Dummerweise kam bei der europäischen Leidenschaft die inhaltliche Diskussion etwas kurz, denn auf meine Kritikpunkte an der aktuellen Europapolitik wurde nicht eingegangen. Stattdessen die übliche Kombination aus EU-Utopismus und Wunschdenken. Europa werde bald führend bei grünen Technologien sein, behauptete der deutsche Diplomat. Europa lässt sich doch nicht von Kleinigkeiten wie der Euro-Krise stoppen, meinte die Belgierin. Europa hat doch mit der Türkei einen vielversprechenden Beitrittskandidaten direkt vor der Haustür, sagte der Franzose. Und überhaupt: Alles wird gut, wenn man nur ganz, ganz feste daran glaubt.

Nach einer Stunde war die Veranstaltung vorbei. Und wenn ich auch vorher nur eine ungefähre Vorstellung davon hatte, warum Europas Wirtschaftspolitik immer mehr im Chaos versinkt, danach wusste ich es. Wie die Diskussion zwischen den Euro-Diplomaten und mir auf die wenigen anwesenden Australier gewirkt haben muss, mag ich mir lieber gar nicht erst vorstellen.

Gestern erhielt ich übrigens aus einer europäischen Botschaft in Australien (welche, das werde ich hier nicht verraten) eine freundliche Email. Es war ein Teilnehmer der Veranstaltung, der sich bei mir so bedankte: „I want to extend my appreciation for your honest and insightful thoughts on the state of Europe and the EU,“ schrieb mir der Diplomat. „I noticed some of the other attendants commenting on your opinions stressed they were NOT economists. I am an economist and maybe that is at least part of the reason for my appreciation of your analyses.”

Ja, das ist das Problem der Europapolitik. Wirtschaftliche Fragen werden als politische Fragen behandelt, Hoffnungen ersetzen Strategien, und Utopien werden für Realitäten gehalten. Und Zweifel an der Sinnhaftigkeit dieses Vorgehens behält man lieber für sich.

Für die Kolumne nächste Woche brauche ich noch dringend ein Thema. Vielleicht schreibe ich mal wieder etwas über die Kritikunfähigkeit der EU.

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