Ulli Kulke / 23.01.2015 / 07:00 / 23 / Seite ausdrucken

Die Achse ist wichtiger denn je

Michael Miersch zieht sich als Redakteur, Autor und Herausgeber aus der Achse des Guten zurück. Als Gesellschafter will er weiter fungieren. Er begründet das damit, dass sie sich „gewendet“ habe, dass sich zunehmend Leser aus dem Umfeld von Pegida und der AfD angezogen fühlen, wie man den Kommentaren entnehmen könne, und dass auch Achse-Autoren beide Gruppierungen verteidigen. Ich bedauere seinen Schritt zutiefst, weil Michael mir immer ein hochgeschätzter, gewinnbringender Autor war und ist. Ich kann ihn allerdings auch nur schwer verstehen.

Es sind bewegte Zeiten, vieles sortiert sich gerade neu, manches anders, als man es vorher erwartete, manches im nächsten Moment schon wieder anders. Auch mir gehen manche Posts im Blog oder auch bei Facebook auf die Nerven, von Leuten, die ich geschätzt habe oder auch immer noch schätze. Natürlich laufen mir fremdenfeindliche Beiträge komplett gegen den Strich. Aber machen die sich - ich meine jetzt pauschal fremdenfeindlich - wirklich in der Achse breit? Ist das so? Ich will nicht sagen, dass ich alles flächendeckend gelesen habe, aber ich sehe die Achse keineswegs als gewendet. Wo und vor allem wie soll eine Zensur ansetzen?

Alles dreht sich derzeit um Pegida. Das liegt aber meines Erachtens weniger an Pegida selbst als an den vollkommen hysterischen und überzogenen Reaktionen darauf. Hätten nicht geschätzte 80 Prozent des Bildungsbürgertum seit der Vorweihnachtszeit einen auf Antifa gemacht mit einer entsprechenden Haltung “kein Fuß breit”, “wehret den Anfängen” und so weiter, dann bräuchten wir heute wahrscheinlich gar nicht mehr darüber reden. Der Beitrag am Mittwoch, 21.1., in der Faz von Professor Patzelt hat mir sehr gut gefallen. Wir Deutsche müssen derzeit mit einem Phänomen umzugehen lernen, und das scheint sehr, sehr schwer: Es bildet sich eine – bislang diffuse – Bürgerbewegung, die ausnahmsweise mal nicht links des Spektrums CDU/SPD liegt, sondern auf der anderen Seite. Wenn ich jetzt schreibe “rechts davon”, wird schon klar, wie bizarr das klingt. Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Weil, da bleiben ja nur noch Nazis.

Auch ich habe mit den Menschen wenig gemein, die allmontäglich in Dresden demonstrieren. Aber vielen, auch mir, ist die große Einheitsfront aus der Gesellschaft gegen Pegida erheblich suspekter, auch wenn ich dort eher mein Milieu verorte. Ich wage mal die These: Derzeit bemüht sich Pegida in Dresden in den Erklärungen nach außen erheblich stärker um eine Differenzierung als die Anti-Pegida-Front, gerade in den Fragen wie Migration oder Flüchtlinge. Den Gegendemonstranten geht es darum, die andere Seite schlicht mundtot, platt zu machen, soweit geht die Meinungsfreiheit nicht. So, das sage ich hier. Bin ich jetzt schon ein Vertreter oder auch nur Verteidiger von Pegida? Ist das fremdenfeindlich?

Es geht in den Beiträgen in der Achse nach meiner Beobachtung durchweg darum, wie man mit dieser Bewegung umgehen oder nicht umgehen sollte, nicht darum, „Achgut“ bei Pegida und der AfD einzureihen. Natürlich franst die Diskussion aus, sind auch problematische Blogs zu lesen, und natürlich wird dabei überpointiert, so dass mancher fast schon den Eindruck erweckt, er will da auch noch voranmarschieren. Bei manchen bekommt die Zuspitzung eine Eigendynamik, zugegeben, da sollten die Betreffenden aufpassen, aber das spricht nicht gegen das Stilmittel selbst. Überpointierung gehört zu einem streitbaren Autorenblog.

Dass dann unsägliche Leserkommentare einlaufen, ist schlichtweg nicht zu vermeiden. Sie müssen ja nicht veröffentlicht werden. Ein Grund dafür, sich von der Achse zurückzuziehen, können sie nicht wirklich sein. So war das immer, und so ist es erst recht in den Zeiten wie diesen, da über soziale Netzwerke sich heute solche Bewegungen ganz anders zusammen finden und anarchischer koordinieren als das noch in den geordneten Parteien- und BI-Landschaften der Fall war.

Dass die Mischung aus Kleinreden und hysterischem Aufblähen seitens der erweiterten Antifa nicht zielführend ist, scheint sich nach und nach herumzusprechen. Durch die Bank weg macht sich derzeit in allen Parteien, auch bei Grünen und Linken, langsam aber sicher die Tendenz breit, mit den Mitläufern von Pegida ins Gespräch zu kommen. Es gibt keinen Grund, dass die Achse sich aus diesem Diskurs fernhalten sollte, ganz im Gegenteil, und zwar open end, in ihrer ganzen großartigen Vielfalt. Ich kann mir denken, dass dabei noch ganz andere Themen unter der Decke hervorkommen. Zum Beispiel die Euro-Politik, bei der beträchtliche Teile der Bevölkerung einfach nur noch wütend und hilflos zuschauen, weil sämtliche Gesetze für die Gemeinschaftswährung bei deren erster Krise einfach über den Haufen geworfen und mal eben eine Billion Euro gedruckt werden, um die Fehler bei der Gründung und beim Krisenmanagement der letzten drei Jahre zu kaschieren. Ohne dass irgendeine Ecke aus der etablierten Politik laut aufschreit. Auch so etwas treibt die Menschen auf die Straße. Vom staatlich genehmigten Raubrittertum der GEZ ganz zu schweigen.

Wir sollten aus Erfahrungen lernen. Vor zwölf Jahren war die Gesellschaft – ja, die mit dem heutigen Diskurs durchaus vergleichbare Szene – einer ähnlich vehementen Spaltung ausgesetzt. Befürworter (öffentlich wie privat) des Irak-Feldzugs von Bush und Rumsfeld beklagten damals, dass sie einer weitgehenden Stigmatisierung ausgesetzt waren, Freundschaften waren beendet, Kollegen schauten sich nicht mehr an. Das hat damals viele erschreckt. Heute sollten wir darauf verzichten, die Tischtücher zu zerschneiden, auch wenn es wieder Fragen geht, die aufgrund ihrer moralischen Höhe unantastbar zu sein scheinen.

Gerade in solchen Zeiten ist die Achse der Guten wichtiger denn je, um eine differenzierte Debatte auf hohem Niveau weiter voranzutreiben.

 

 

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Bernd Zarneckow / 24.01.2015

Bravo, Herr Kulke!

Dirk Wenzel / 24.01.2015

Als treuer Achseleser kann ich nicht feststellen, dass die artikel populistischer würden. Es ist einfach eine politisch sehr intensive Zeit, was natürlich auch an den Autoren nicht spurlos vorbei gehen kann. Vielen Dank an die Autoren und an die Vielfalt, die sie sich darzustellen bemühen!

Lara von Medenstein / 23.01.2015

So einfach kann Vernunft klingen. Halleluja!

James Taylor / 23.01.2015

Sehr geehrter Herr Kulke, beim Thema Rassismus mit einem „ABER“ im Text zu operieren (so wie Sie es wieder getan haben), ist genau das, was Michael Miersch meint. Ich kann ihn verstehen, auch wenn ich nur selten seiner Meinung war und bin. J.Taylor

Reiner Schöne / 23.01.2015

Es kann einem nur Leid tun wenn so etwas passiert. Allerdings muss man dazu sagen, es hat sich einiges aufgestaut in den Menschen die noch klar denken können und manchmal sind vielleicht auch deswegen die Pferde durchgegagen. Hier geht es weniger um Pegida und Ableger, sondern eher darum, das es jemand wagt überhaupt etwas gegen den Linksrutsch in Deutschland zu tun. Pegida ist für mich, das aufzeigen von Fehlern die gemacht wurden und das in Deutschland nur noch eine politische Richtung gefragt ist und die ist Dunkelrot. Es gibt bei den Parteien keinen Regenbogen mehr sondern nur eine Richtung. Auch das die Gesetze so nicht mehr eingehalten werden sondern so gedreht werden das sie kurz vorm Bruch stehen. Das ist Pegida, und ohne sie wäre es niemand aufgefallen wie es um die Bundesrepublik steht.

Liz Moser / 23.01.2015

Lieber Ulli Kulke, ich bin schon Förderin der Achse - wenn nicht, würde ich es jetzt werden! (Sie werden jetzt wahrscheinlich sagen, dass jeder so oft Förderer werden kann, wie er will, jaja) Halten Sie die Ohren steif und Ihre Sinne wach!

Robert Bond / 23.01.2015

Sehr schöner Kommentar! Niemals würde ich persönlich bei Pegida mitmarschieren (mal davon abgesehen, dass ich’s nach Dresden recht weit hätte…). Gleichzeitig halte ich den medialen Umgang mit den Phänomen für skandalös. Selbst in den Meldungen der großen Presseagenturen verschwindet jede Grenze zwischen Bericht und Kommentar. Gerne werden diese “Reportagen” mit Hinweisen auf den niedrigen Bildungsstand der Pegida-Marschierer garniert. Ist klar, aus den intellektuellen Höhen eines Publizistik-Bakkalaureats nehmen sich Tischlermeister und Bilanzbuchhalter halt aus wie atavistische Deppen, getrieben von “dumpfen Ängsten”. Wer berechtigte Fragen stellt, wie zum Beispiel die nach einer aktiv gestalteten Einwanderungspolitik, muss sich mit Phrasen von der “Willkommenskultur” abspeisen lassen. Faschismusverdacht inbegriffen. Fakt ist: Offenbar kommen nicht wenige Menschen zu der Einschätzung, dass die massenhafte Zuwanderung nicht in ihrem Interesse ist. Das kann man jetzt richtig oder falsch finden, unter Umständen auch moralisch verwerflich. in jedem Fall ist es eine Position in einer Diskussion um die wir uns nicht ewig werden drücken können.

Sebastiaan Biehl / 23.01.2015

Herr Kulke, Sie haben mir aus der Seele gesprochen! Die Achse ist in der Tat wichtiger den je als alternative Stimme, nicht rechts oder links, aber gegen die Monopolie einer Meinung, und die ist nun mal schon sehr lange eindeutig links. Weiter so.

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