Peter Grimm / 07.01.2019 / 12:00 / Foto: Uwe Aranas / 26 / Seite ausdrucken

“Die Abrüstung kann lange dauern”

Wir hören immer häufiger von Messerstechereien. Obwohl in der betreuenden Berichterstattung meist peinlich genau darauf geachtet wird, nicht durch die Erwähnung oder Andeutung der Herkunft der Messerstecher Vorurteile zu schüren, verbreiten sich selbige. Deshalb ist hin und wieder eine fundierte journalistische Einordnung vonnöten.

„Im Verlauf der Auseinandersetzung zückte der 17-Jährige ein Messer und stach auf seinen Kontrahenten ein. Dabei traf er diesen am Oberkörper. „Der Junge wurde in einem Krankenhaus stationär aufgenommen“, so Karlstedt. Der Täter konnte fliehen. „Der 17-Jährige ist uns aber namentlich bekannt, er wohnt in Halle“, sagte der Polizeisprecher. Zeugen der Tat konnten Hinweise geben. Bei dem 17-jährigen Täter soll es sich laut Polizei um einen Syrer handeln, bei dem Opfer um einen Deutschen.

Es ist eine Nachricht, wie sie in den letzten Jahren häufiger vermeldet werden musste. Diese kam nun aus Halle, der Heimat der Mitteldeutschen Zeitung. Vielleicht deshalb nahm die Zeitung die aktuellste bekannt gewordene Messerstecherei der Stadt zu Jahresbeginn zum Anlass, das Thema Messerstechereien für ihre Leser wieder einmal richtig einzuordnen: „Nur weil in dem aktuellen Fall ein Syrer der Täter war, heißt es nicht, dass alle Syrer mit einem Messer herumlaufen“, zitiert sie beispielsweise den Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei in Sachsen-Anhalt (GdP), Uwe Bachmann. Um solche Behauptungen aufstellen zu können, müsste es erst einmal verlässliche Statistiken geben, die es aber nicht gäbe. Deshalb sei auch die Behauptung, dass immer mehr Messerdelikte zu verzeichnen wären, gar nicht beweisbar. Dass immer häufiger von solchen Ereignissen berichtet werde, bedeute zunächst einmal gar nichts. Das passende Zitat kommt wieder vom Gewerkschafter Bachmann: „Die subjektive Wahrnehmung ist innerhalb der Gesellschaft im Bezug zu Messerattacken sehr viel stärker geworden."

Es liegt an der Verrohung, oder?

Also liegt es nur an der subjektiven Wahrnehmung? Offenbar nicht so ganz. Auch Bachmann darf in dem zitierten Artikel einräumen, dass es nach seiner Wahrnehmung eine „marginale Zunahme“ an Messerdelikten gäbe und dass Jugendliche schneller zu einem Messer griffen, als es früher der Fall war. Und dafür gäbe es auch eine klare Ursache: Das liege vor allem an einer Verrohung. Woher kommt nun aber die Verrohung? Darauf wird an dieser Stelle nicht weiter eingegangen. Wahrscheinlich wäre die Antwort bei der richtigen Einordnung der sich hierzulande etablierenden Konfliktklärungskultur mittels Stichwaffen nicht hilfreich.

Hilfreich ist aber immer der bei solchen Themen beinahe unvermeidliche Kriminologe Christian Pfeiffer, ehemaliger Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen. Er weiß: „Solche Angriffe sind nicht überraschend – auch nicht, dass Flüchtlinge Messer bei sich führen." Sie hätten sich teilweise zum Schutz auf der Flucht mit Messern bewaffnet, wird er von der Mitteldeutschen Zeitung weiter zitiert: „Dass sie diese hier nicht brauchen, müssen sie erst begreifen – die Abrüstung kann lange dauern.“

Die Abrüstung auf Deutschlands einst friedlicheren Straßen kann lange dauern, erklärt der Experte. Das heißt wahrscheinlich in klares Alltagsdeutsch übersetzt: Gewöhnt euch dran, dass Messerstechereien jetzt zum Alltag gehören. Deshalb ist es wahrscheinlich auch vollkommen überflüssig, die Frage zu stellen, wie es denn so schnell zu der Aufrüstung kommen konnte, die jetzt eine lang dauernde Abrüstung nötig macht.

An solch destruktiver Art des Journalismus will sich die Mitteldeutsche Zeitung selbstverständlich nicht beteiligen, sondern sie blickt mit dem Polizeigewerkschafter pragmatisch voraus auf die Maßnahmen, mit denen der wachsenden Messer-Gefahr jetzt begegnet werden kann: Es sei wichtig, „dass Kinder schon in der Schule für die Gefahren sensibilisiert werden, die von Messern ausgehen und ihnen deutlich wird, dass diese gefährliche Waffen sein können“.

Außerdem wird ja langsam abgerüstet, obwohl wir hier nicht erfahren haben, wer das durchsetzen soll. Vielleicht die für Gefahren sensibilisierten Kinder, wenn sie erwachsen sind.

Der Beitrag erschien auch hier auf sichtplatz.de

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Leserpost

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Albert Pflüger / 07.01.2019

Die Kindergartendressur sollte nicht dazu führen, daß nur noch die Kinder, die zuhause entsprechend vorbereitet werden, wehrhaft sind. Die Zeiten, wo man gewaltlos durchs Leben kam, weil der Staat sein Gewaltmonopol noch ernst nahm und unter allen Umständen behauptete, sind vorbei. Niemand bedauert das mehr als ich. Dennoch kann ich nur raten, neben schnellem Weglaufen auch das harte Zuschlagen, auch unter Einsatz tauglicher Werkzeuge, zu üben. Wie war noch der Sponti- Spruch? Wer sich nicht wehrt, der lebt verkehrt! Wahrheiten veralten nicht, sie werden höchstens zeitweise vergessen oder verdrängt.

Gabriele Kremmel / 07.01.2019

Langsam wird es infantil. Jedes Kind weiß, wie gefährlich Messer sind. Sogar mein nicht mal 2jähriger Enkel weiß schon: Messer - aua, Schere, aua. Messerstecher verletzen und töten wissentlich, und genau dafür führen sie auch Messer mit. Den Witz mit der Verrohung finde ich inzwischen auch nicht mehr lustig - nicht Deutschland oder die Deutschen verrohen sondern zahllose Menschen mit verrohter Machokultur und zweifelhafter Sozialisierung wurden importiert, was man dreist als allgemeine Verrohung zu vertuschen versucht. Bin gespannt, wie oft Bachmann und die anderen Relativierer noch ihre Schallplatte abspielen können bevor den “verrohten” Bürgern mal der Kragen platzt.

Wiebke Lenz / 07.01.2019

Wenn man einen Jugendlichen fragt, ob ein Messer auch “eine gefährliche Waffe sein könne”, so wird er wohl kaum antworten: “Ach echt? Wusste ich bisher nicht! Danke für Ihren Hinweis!” Soviel Verstand darf und soll(!) man dem Nachwuchs schon zutrauen. Was ja schon allein mit der Aussage des Herrn Pfeiffer belegt wird: “Sie hätten sich teilweise zum Schutz auf der Flucht mit Messern bewaffnet.” (Zitat aus mz-web, nicht wortwörtlich vom dem Herren). Es ist bewusst, dass es eben nicht nur “Coolness” ist, was das Mittragen betrifft. Es sind keine Taschenmesser, die bei sich getragen werden. Aber selbst wenn Messer verboten würden (und es irgend einen scheren würde), so wäre es dann eben ein Schraubendreher o.ä. Mehr als störend ist aber mal wieder die Verharmlosung, dass es eine “lange Abrüstung” werden wird und der Verweis auf eine fehlende Statistik. Was die Statistik betrifft, möchte dann doch wenigstens einmal die Kriminalitätsstatistik zu Rate gezogen werden (glücklicher Weise gibt es hier mittlerweile auch eine Aufschlüsselung nach Deutschen und Ausländern). Was die “lange Abrüstung” betrifft: Wenn mein persönlicher Haushalt lange nicht gepflegt wird, dauert es lange, bis ich ihn wieder “in Schuss” habe. Bei einer kurzen Zeit dauert es dementsprechend kürzer ...

Karl-Heinz Vonderstein / 07.01.2019

Da können ja die verprügelten Leute in Amberg froh darüber sein, dass die jungen Asylbewerber keine Messer dabei hatten oder keine gezückt haben und sie “nur” verprügelt haben.

Klaus Klinner / 07.01.2019

„Dass sie diese hier nicht brauchen, müssen sie erst begreifen – die Abrüstung kann lange dauern.“ - Das verstehe ich nicht, Sie brauchen und gebrauchen sie doch. Was erlauben Pfeiffer?

Rolf Lindner / 07.01.2019

Messer, Gabel, Schere, Licht sind für deutsche Kinder nicht, aber Gehirnwäsche in jeder möglichen Form. Habe einem 6-jährigen Verwandten zu Weihnachten ein kleines Multitool mit einem Messerchen daran geschenkt.

Paul Braun / 07.01.2019

By the way: Schraubenzieher können gefährliche Waffen sein, Autos, Beile, Mistgabeln, Motorsägen, Steine, ... sogar Hände. Aber wie bloß gelingt es diesen gefährlichen Waffen, Menschen zu töten? Vermutlich brauchen wir ein Schraubenzieher-Register und ein Verbot des freien Verkaufs von Schraubenziehern, das bringt bestimmt Licht in die Gewaltproblematik Deutschlands.

Armin Reichert / 07.01.2019

Übrigens: “Messerstecherei” bedeutet in 99% der Fälle, dass ein “Mann” mit seinem Messer auf ein unbewaffnetes Opfer einsticht.

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