Richard Wagner / 01.07.2008 / 06:21 / 0 / Seite ausdrucken

Der Umfragen-Deutsche und seine Freiheit

Während im fernen Simbabwe am Wochenende die Menschen von den Schlägertrupps des Robert Mugabe, einem der letzten regierenden Erben von Karl Marx, zu den Wahllokalen getrieben wurden, lehnte sich der deutsche Durchschnittsbürger, der Kenner von Käsetheken und Günstigflügen, mal eben zurück, um der jüngsten Umfrage ihren Kick zu geben. Nein, er, der Durchschnittsdeutsche, hält nicht besonders viel von Demokratie.

Bei der Geschichte der Deutschen im letzten Jahrhundert könnte man denken, er halte nicht viel von Diktatur. Aber danach hat man ihn ja nicht gefragt. Das wiederum ist das Essential von Umfragen, dass sie nämlich immer nur von dem handeln, was gefragt wird und gefragt ist.

Was hat der Durchschnittsdeutsche nun gegen die Demokratie einzuwenden? Nicht viel, aber in seinen Augen Entscheidendes. Er fühlt sich nämlich ungerecht behandelt. Und zwar von der Demokratie. Und damit wären wir auch schon beim Problem, bei seinem Kern sogar. Wenn jemand meint, die Demokratie sei ein Instrument der Lohnfortzahlung oder gar die Hausordnung des Sozialstaats, sagt das vor allem etwas über sein Demokratieverständnis aus. In diesem Fall beruht es auf der Verwechslung des Kanzleramtes mit der Hausmeisterei, wobei diese für die richtigen Schlüssel zu sorgen hat.

Demokratie aber ist viel weniger als Schlüsselübergabe und darum auch weit mehr. Sie stellt den Verfügungsrahmen der persönlichen Freiheit. Wahr ist, und das sollte uns auch zu denken geben, dass in solchen Umfragen zwar regelmäßig die Benzinpreise vorkommen, aber die Freiheit kaum.

Über den Freiheitsbegriff wird vielmehr gelästert und gelacht. Und auch das ist nicht weiter erstaunlich. Wenn sich das Problem weitgehend darauf reduzieren lässt, ob jemand in einen Tanzclub Einlass findet oder nicht, so ist das zwar ein Indiz für das Ausmaß der Freiheit in unserer Gesellschaft, gleichzeitig aber auch ein Beweis für die rudimentäre Auffassung von dieser Freiheit.

Frei sein kann man auf sehr unterschiedlichem Niveau. Das Niveau, auf dem man frei ist, liegt bei einem selber, meistens. Wem dafür Reinhard Mey genügt, dem sei dies gestattet, er möge sich aber nicht über Bayreuth beschweren.

Zur Entlastung der Demokratieverdrossenen ließe sich sagen, sie kennen es nicht anders. Sie halten die Institutionen des Menschenrechts für gegeben. Aber: Wie lange ist es her, dass die bisher letzte Diktatur auf deutschem Boden bestand? Keine zwanzig Jahre ist es her. Und die Umfragen, alle, besagen, gerade im Osten halte man nicht viel von Demokratie. Und damit wären wir wieder beim Problem, bei seinem zweiten Kern.

Demokratie ist nicht nur eine Frage des Niveaus sondern auch eine des Gedächtnisses. Dieses aber sollte auf jedem Niveau funktionieren. Selbst wenn es nur ums Geld ginge. Gab es in der DDR etwa richtiges Geld? Und erinnere ich mich vielleicht falsch, wenn ich sage, die Demonstranten haben damals nicht nur „wir sind ein Volk“ gerufen sondern auch: „Kommt die D-Mark nicht zu uns, gehen wir zu ihr“?

Die Verklärung der Diktatur ist zum Volkssport geworden, die Verteidigung der Demokratie ein Thema fürs Kabarett. Beides aber impliziert eine Missachtung des Menschenrechts und seiner Institutionen. Diese Missachtung vollzieht sich in der Demokratie freiwillig. Uns treiben keine Schlägertrupps an, wir bringen uns selbst um unsere Freiheit.

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