Richard Wagner / 25.06.2008 / 07:26 / 0 / Seite ausdrucken

Der Tor liest Zeitung


„Sowohl ihre gegenwärtige Lage als auch die weitere Entwicklung schätzten die Konsumenten pessimistischer ein. Das Barometer der gegenwärtigen Lage fiel auf 64,5 von 74,2 Punkten, der Erwartungsindex sank auf ein Rekordtief von 41,0 nach 47,3 Zählern im Mai.“

Nichts verstanden? Macht nichts. Wir lesen weiter.

„Die Aussichten sind düster: Wegen explodierender Energie- und Lebensmittelpreise ist die Konsumlaune auf einem Dreijahrestief angelangt.“ Konsumlaune?

„Die Politik ist machtlos. Die Stimmung der Verbraucher ist so schlecht wie seit drei Jahren nicht mehr, der GfK-Konsumklimaindex im Juli auf 3,9 Punkt gerutscht - und dagegen lasse sich wenig tun.“ Konsumklimaindex?

„Je länger die Inflation bei 3% verharre, umso größere Kaufkraftverluste seien zu erwarten, warnt die GfK.“ Kaufkraftverluste? Bei einer Inflation von 3%? Worin bestehen diese „Kaufkraftverluste“?

„Eine neue Couchgarnitur, ein neues Auto, eine Urlaubsreise? Lieber nicht, sagen sich die meisten Deutschen im Moment.“ Wir empfehlen Günstigeres: Eine Bach-Edition, das Bordbuch des Kolumbus, eine Kahnfahrt im Spreewald. Könnte vielleicht die Stimmung verbessern.

„Die ständig wiederkehrenden Meldungen über Rekordpreise für Benzin und Diesel verstärken nach Angaben der Konsumforscher die Furcht der Deutschen vor dem Kaufkraftverlust.“

„Konsumunlust“, „Rezessionsangst“, „Stimmungstief“. Es gibt bekanntlich viele Sieger über die Realität. Einer von ihnen ist die Sprache. Genauer: die Sprachregelung.

Aber lesen Sie selbst:

„Ifo-Institut erhöht Wachstumsprognose für 2008.“

„Der Jahresauftakt war überraschend gut.“

„Allerdings hält der Boom nicht lange, im kommenden Jahr wird sich das Wachstum deutlich abschwächen.“

„Noch wächst die Wirtschaft überraschend gut, doch das hat bald ein Ende.“ Und wieso?

„Die Abkühlung der Weltkonjunktur werde den Außenhandel bremsen.“ Aha, die Dämonen der Globalisierung. Da sind wir natürlich machtlos. Wie beim Tsunami.

Aber nicht an allem ist die globale Entwicklung schuld. Das weiß sogar die Presse:
„Die Wirtschaftslage im vergangenen Jahr war gut – doch das hat ungeahnte Folgen: Immer weniger Menschen wagen den Schritt in die Selbständigkeit.“

„Besonders betroffen davon ist Ostdeutschland.“

„Grund für den fehlenden Unternehmergeist ist nach Einschätzung der KfW das kräftige Wirtschaftswachstum der Jahre 2006 und 2007. Das habe vor allem den Aufbau abhängiger Beschäftigungsverhältnisse und weniger die Zahl der Gründungen beflügelt.“ Mangelnde Risikobereitschaft? Ein deutsches Problem? Wir wollen es hier nicht erörtern, sondern einfach weiterlesen:

„Zugleich wurde aber auch der Zugang zu Fördermitteln der Bundesagentur für Arbeit für Gründungen aus der Arbeitslosigkeit eingeschränkt.“ Es waren also weniger Pleitegründungen, deren Lebensdauer die staatliche Förderung nicht überschritt, möglich, oder soll man sagen Scheingründungen? Statistikbereinigungsaktionen?

„Einen Lichtblick immerhin gibt es: Die Lage am Arbeitsmarkt wird sich im Jahr 2008 weiter aufhellen.“

Eine Gesellschaft, die sich bei ihrer Selbstwahrnehmung immer weiter von der Realität entfernt, ist nicht mehr in der Lage, die echten Fragen von den falschen zu unterscheiden. Das aber ist ihr eigentliches Problem. Auf der Jagd nach dem Wohlgefühl hat sie den Verstand verloren. Selbst die Aufklärung ist zum Mittel der Verblödung avanciert.

Was wir aber immer schon wissen konnten: Der einzige Trost, der uns bleibt, ist der Himmel über uns. Der Rest ist Torheit. Und für den, der es mag: Lob der Torheit.

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