Cora Stephan / 03.11.2014 / 12:14 / 5 / Seite ausdrucken

Der Sound der 70er: Henning Venske

Am Tag nach dem Ende des Krieges kam die Rache in Gestalt der Geschundenen und Entrechteten aus dem Zwangsarbeiterlager der Nazis nahe dem österreichischen Zinkenbach. Sie jagten die deutsche Familie davon. Und wie sie rannten, der sechsjährige Henning, sein jüngerer Cousin, die Mutter, die Tante. Rannten barfuß Richtung Norden, vier Monate lang, bettelten und stahlen, schufteten für dünne Wassersuppen und lernten die hässlichen Deutschen kennen: vollgefressene Bauern ohne Mitgefühl. Das vergisst einer nie, dieses Fette, Wurstige, wenn er sich einmal von Gras hat ernähren müssen. Der vergisst auch nicht, dass die Amerikaner so etwas Sinnloses weil Unnahrhaftes wie Kaugummi erfunden haben. Und der weiß fürs Leben: „Meide den deutschen Bauernhof! Es sei denn, du besitzt eine Schusswaffe oder ein bisschen Familienschmuck.“

Was Henning gelernt hat, vergisst Venske nimmermehr. Wenn man die ersten Seiten des 441 Seiten starken Buchs gelesen hat, das Henning Venske „Biografie“ nennt, dann glaubt man, ihn zu verstehen: ein barfüßiger Flüchtlingsjunge besitzt gar nichts mehr, außer ein paar gewonnenen Überzeugungen, das ist portable Heimat, die gibt er nie mehr her. Und noch etwas glaubt man zu verstehen: dass so einer immer irgendwie auf der Flucht ist.
Henning Venske, geboren 1939 in Stettin, war in seinem Leben vieles, Schauspieler, Regisseur, Moderator, Autor, einer von der „Sesamstraße“, Macher bei „Pardon“ und Kabarettist bei der Münchner Lach- und Schießgesellschaft. Vor allem aber war er immer er selbst, kenntlich am scharfen Ton des Besserwissers, der schnellfeuermäßig alles Übel der (westlichen) Welt herunterbeten kann, aber treuherzig versichert, das Ministerium für Staatssicherheit der DDR sei gegründet worden ist, um alte Nazis zu jagen.

Das ist der Ton der siebziger Jahre. Wer dabei mit dem Kopf nicken möchte, wird in Venskes Philippika gut bedient; wer die Wirklichkeit im Buch nicht wiederfindet, kann sich damit trösten, ein zeithistorisches Werk in Händen zu halten: ja, so haben viele damals geglaubt. Dass die Deutschen wurstfressende Scheusale sind, immer noch halbe Nazis, dass Adenauerdeutschland prä- oder proto- oder sonstwie faschistisch war und dass es der 68er bedurfte, um die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen. Dass die DDR dann doch irgendwie das bessere Deutschland war, dass die Amerikaner dumm und gefährlich sind, und dass die Russen ihre Kinder lieb haben.

Dabei wäre über Henning Venske so viel mehr zu sagen, wenn man es nicht ihm selbst überlassen hätte. Die Schulzeit: wer will das alles wissen? Dass er in der Schule fast gescheitert wäre, lag natürlich an „unfähigen präpotenten Arschlöchern“, vulgo: Pädagogen. Geschenkt. Die Zeiten als Schauspieler und Regieassistent bei Boleslaw Barlog oder Fritz Kortner: lieblos heruntererzählt. Die Kollegen: alle ganz wunderbar, bis auf Lilo Pulver, die Venske für einen Kommunisten hielt, womit sie nicht ganz falsch lag. Erheiternd allerdings, wie Venske mit Samuel Beckett gegen den Beckett-Versteher Bernhard und Größtmimen Minetti konspirierte.

Die Bilanz: „Einmal durchs Abitur gefallen, Studium abgebrochen, Schauspielschule abgebrochen, (...) Schillertheater abgebrochen, Thalia Theater abgebrochen, Fernsehansage abgebrochen.“ Man musste Henning Venske nicht rausschmeißen, er ging meistens selbst – immer nach ein bisschen Krawall und mit dem Trotz eines wütenden Kindes. Dabei hätte das Größe haben können: hier geht ein Unbeugsamer. Aber es ging immer auch ein Unbelehrbarer, der sich, trotz Geldnot, auf 250 000 DM für einen Fernsehwerbespot nicht einlassen konnte – nicht des Inhalts wegen (es ging um ein Rasierwasser), sondern weil er 300 000 Mark wollte.

Und doch ging es immer irgendwie weiter. Venske moderierte „Musik aus Studio B“, eine Schlagersendung, die er öffentlich „eine Sendung für Blöde“ nannte. Er wurde fristlos gefeuert. Seine nicht gerade unzutreffende Kritik an den aufgeblasenen Apparaten der öffentlich-rechtlichen Hörfunkanstalten trug ihm Haus- und Mikrofonverbote hier und dort ein – allerdings nahm man ihm damals auch linke Sottisen übel, für die man heute das Bundesverdienstkreuz bekäme.

Seine acht Jahre bei der Münchner Lach- und Schießgesellschaft ist dem deutschen Kabarett nicht gut bekommen. Aus dem fünften und letzten Programm mit Dieter Hildebrandt 1990 zitiert Venske mit Genugtuung die „düstere Erkenntnis“: „Wenn die Wiedervereinigung vollzogen ist, dann steht fest: der Zweite Weltkrieg wurde vergeblich geführt, und wenn die Mauer ganz und gar verschwunden ist, dann ist auch das letzte Zeichen für den verlorenen Krieg verschwunden.“ Keine Ahnung von Geschichte haben und die deutsche Teilung für die „Strafe“ für Auschwitz halten – das ist O-Ton linker Salon. Wenn man es küchenpsychologisch sieht: da ist er wieder, der kleine Henning, der einen Grund für seinen Hunger sucht.

Henning Venske biografisches Werk leidet nicht unter Komplexität, vieles wird humorlos abgehakt, ausgefeilte Prosa sucht der Leser vergebens. Kein einziges der alten programmatischen Gepäckstücke wird im Laufe der Erzählung abgelegt, Selbsterkenntnis oder gar –kritik ist nicht die Sache des Autors.  Doch, einmal blitzt etwas auf, als es um den Tod seiner beiden einst drogenabhängigen Kinder Nicolaus und Louise geht, womöglich in Spätfolge. Hat das vielleicht doch mit ihm zu tun, mit seinem eigenen Shitkonsum, den er, wie er sagt, romantisch verklärt habe und der ihm „schwarze Melancholie“ eingebrockt hat?

Das ist der Moment, wo man den 75jährigen Venske schütteln und an den sechsjährigen Henning erinnern möchte, an ein Kind, das man heute traumatisiert nennen würde. Manchmal werden aus solchen Kindern tieftraurige Erwachsene.

Über Henning Venske, Es war mir ein Vergnügen. Eine Biographie, 441 Seiten, Westend Verlag Frankfurt am Main 2014

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Helmut Driesel / 05.11.2014

Na ja, ich meine, ein verhunztes Leben sieht anders aus. Dafür gibt es keine Biografie und man kriegt auch keine so einfühlsame Kritik. Und der leidige reale Sozialismus hatte mit solchen Biografien auch sehr wenig zu tun. Aber der K.-E. v. Schnitzler hatte vor seinem Tod noch einen wichtigen Satz gesagt. Er sagte: “Man grüßt mich wieder!”

Martin Marhoff / 05.11.2014

Leute, noch einige wenige Jahre, und diese ganzen “APO-Neandertalerfosilien” sind ohnehin ausgestorben!

Walther Kraft / 04.11.2014

Tja, mir als auch heute immer noch Altlinkem ist Venske zu seiner Blütezeit irgendwie nie untergekommen. In Sachen “Sound” muss ich ihn wohl damals für eine Art auch-politischen Dieter Thomas Heck der Post-68er-Szene gehalten haben oder so. In Sachen Musik hielt ich eh den Sound immer für das Unwichtigste, logischerweise dann in Sachen Politik erst recht, weshalb mir auch andere Autoren durch die Lappen gehen, die diesen Sound heute für sich gern reklamieren. Nach dieser Rezension weiß ich nun gar nicht mehr, ob ich im Nachhinein diese Wissenslücke füllen muss. Es scheint aber, dass es Besseres zu tun gibt. Insofern danke für diesen Beitrag. Walther Kraft

Hubert Appenrodt / 04.11.2014

Herr Hjalmar Kreutzer hat bereits darauf aufmerksam gemacht. In der Bundesrepublik herrschte wahrlich kein Mangel an revolutionären Systeminfragestellern vom Schlage Venske und ähnlichen Wirrwarr-Genossen, politisches Erweckungsjahr 1968. Wären all die verdienstvollen linken Westärsche zu uns herübergekommen, gäbe es die wunderbar DDR noch, mit allen Verheißungen unendlicher Menschheitsbeglückung, eine zeitlang auch von Biermann besungen, der Sozialismus wäre längst vollendet, und wir befänden uns jetzt beim Aufbau des Kommunismus, zweite Stufe Nordkorea mit freundlicher Unterstützung von Hugo selig und Fidel Castro. Venske, eigensinnig und störrisch und nicht gewillt, seine Arbeitskraft dem Aufbau des Sozialismus am sozialistischen Originalort des Geschehens (vor Ort) zu widmen, hat sich um eine bessere Biographie gebracht. Neulich hörte ich ihn im Radio (WDR5), er tingelt tatsächlich noch immer mit FDP-Witzen durchs Land, aber kein Brüller mehr. Bürgerinnen und Bürger, habt Mitleid mit Venske und seinen ergrauten unappetitlichen Gedankengenossen.

Hjalmar Kreutzer / 03.11.2014

Hochachtung vor dem Unbeugsamen! Da hat er dann doch lieber in der Bundesrepublik unbeugsam das Schweinesystem bekämpft, statt in das bessere Deutschland DDR zu kommen. Hier hätte er wahrscheinlich auch keine 300.000 DM für einen Rasierwasserspot bekommen, unsere DDR-Produkte waren so gut, die brauchten keine Werbung!, aber er hätte tatkräftig im ideologischen Klassenkampf, Schulter an Schulter mit dem Gen. Karl-Eduard den Sozialismus zum Sieg führen können. Wollte er dann doch nicht. Schade, deswegen hats bis heute mit dem gesetzmäßigen Sieg des Sozialismusses nicht so recht geklappt.

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