Robert Habeck redet im professoralen Tonfall des besorgten Therapeuten. Den Grünen drohe „Marginalisierung” und „Relevanzverlust”, sagt er, als fehlten seiner Partei lebenswichtige Vitamine. Wenn es zur Großen Koalition komme, dann sei man „die kleinste Oppositionspartei” und hernach „16 Jahre in der Opposition”. Bald irrelevant, ein „bedrohliches Szenario”.
Doch die Rettung sei nahe – Dr. Habeck könne helfen, wenn man ihn denn jetzt zum Parteivorsitzenden wähle. „Man muss dahin gehen, wo es weh tut”, sagt er mit steinerner Miene, als würden die Bundes-Grünen ganz schlimm wehtun. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung” beurteilt diesen politischen Uralttrick so: „Habeck redet die Not bei den Grünen herbei – nicht ganz uneigennützig. Er drängt in den Parteivorsitz.”
Dabei ist Habecks Diagnose zwar übertrieben, aber nicht falsch. Die Grünen leiden unter akutem Jamaika-Entzugsfieber und chronischem Identitätsverlust. Die grüngeneigte Politik der Merkel-Dekade hat den Grünen einiges ihrer Legitimation entwendet. Atomausstieg, Energiewende, Grenzöffnung, Frauenquote, Abschaffung der Wehrpflicht, Ehe für alle. Merkel hat alle politischen Blütenträume der Grünen politische Realität werden lassen. Wozu braucht es die Grünen da noch?
Die Partei stellt sich – nachdem die Hebel der Macht nun weit entfernt sind – ähnliche Fragen wie die FDP 2013. Und Robert Habeck findet die gleiche Antwort wie seinerzeit Christian Lindner. Moderner Liberalismus mit charismatischer Führungsperson habe das Zeug zu einer „Bewegungspartei”. Habeck nimmt das Wort „Liberalismus” bewusst in den Mund. Linksliberalismus natürlich, aber der sei eine Marktlücke mit Potenzial.
Der Christian Lindner der Grünen
Und so schlüpft Habeck zusehends in die Rolle des Christian Lindner der Grünen. Genau wie Lindner seinerzeit erklärt sich Habeck heute zum Notarzt seiner angeschlagenen Truppe. Genau wie Lindner inszeniert er sich als die zu Fleisch gewordene Rettung und Zukunft seiner Partei. Genau wie Lindner wählt er eine variantenreiche Sprache und freie Denkweise, einen persönlichen Modus der Autonomie, bricht bewusst mit schablonenhafter Kommunikation und politischer Korrektheit. Genau wie Lindner will er sich keinem Flügel seiner Partei mehr zurechnen, ja, die Flügel am liebsten für ein historisches Relikt erklären. Genau wie Lindner kann Habeck auf rhetorische Brillanz und persönliche Integrität bauen. Beide hatten bürgerliche Berufe vor ihrer Politikerzeit, beide sind auf erstaunliche Weise bei sich.
Wo Lindner einst beschwor, den Liberalismus in Deutschland jetzt nicht untergehen zu lassen, verkündet Habeck: „Die Relevanz der Grünen hochzuhalten, wird eine Herausforderung.” Wo Lindner von grundlegender Selbstkritik, Hinterfragen und Programmerneuerung sprach, fordert Habeck seine Partei fast wortgleich zu einem neuem Programm auf, ja, sogar selber ein – das könnte glatt Lindner-Sprech sein – „Thinktank der Republik” zu werden.
Beide verkörpern zudem einen Generationenwechsel. Beide sind die passenden Figuren zu einer politischen Zeit, da cool-intelligente Charismatiker tatsächlich echte politische Bewegungen schaffen können. Emmanuel Macron, Beppe Grillo und Sebastian Kurz lassen grüßen. Habeck passt exakt in das Zeitgeistschema – schwarz-grüner Regent im Norden, promovierter Philosoph, Buchautor und Vater von vier Kindern, mal ein ganz anderer, bürgerlich-frischer Typ.
Und so wagt Habeck bereits Sprüche wie Lindner, um zu erklären, warum er die Grünen nun selber retten müsse: „Das ist eben die Karotte vor der Nase, die mich total reizt.” Nun würde es kaum mehr verwundern, wenn Habeck bald die Grünen-Logos in Magenta taucht und sich in Unterhemden auf großen Plakaten ablichten ließe.
Die Faust in der Jutetasche
Doch Habeck hat einen erheblichen Nachteil im Vergleich zu Lindner. Seine Partei ist viel sperriger und bissiger als die FDP. Der linke Flügel der Partei ballt ob seiner Nominierung schon die Faust in der Jutetasche. Die Partei ist nach wie vor in einem beinharten Flügelkampf zerstritten. Die uralte Kluft zwischen Realos und Fundis, zwischen Bürgerlichen und Linken, zwischen dem Kretschmann-Özdemir-Palmer-Flügel und der Trittin-Hofreiter-Künast-Fraktion ist abgrundtief. Trittins Querschüsse bei den Jamaika-Verhandlungen haben zerstörerische Geschichte geschrieben. Wenn Habeck und Lindner alleine verhandelt hätten, Jamaika wäre heute Realität.
Da nun aber mit Robert Habeck und Annalena Baerbock gleich zwei Realos an die Grünen-Spitze drängen, droht der Flügelkampf neu zu entflammen. Die Grünen sind politisch überkorrekt austariert: Mann/Frau, links/rechts, jeder nur ein Amt und keiner darf Regierungsmitglied sein. Und so muss der Bewegungsbeweger erst einmal seine eigene Karriere bremsen und nurmehr noch für eine Übergangszeit von einem Jahr in Kiel Minister bleiben.
Mit Habeck kommt die Statik der Partei ins Wanken. Was wird aus den anderen Größen Özdemir, Göring-Eckardt, Hofreiter? Wenn Özdemir – wie man hört – die Fraktionsspitze anstrebt, dann wäre Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt (auch Realo) ebenso gefährdet wie Anton Hofreiter (auch Mann). Eine Reihe von Dominosteinen der Macht droht zu fallen. Ihnen allen wird jetzt klar, was alles mit dem Jamaika-Aus an Karriereträumen geplatzt ist.
Für einen aber scheint seine Berliner Karriere jetzt zu beginnen. Falls er noch ein passendes Wording braucht, kann er sich bei Lindner ja dessen „Zeit”-Interview vom Oktober 2013 borgen: „Ich machen mir keine Illusionen, dass es schwierig wird. Aber ich habe keine Angst. Ich möchte die FDP zurück, die mich begeistert hat: solide, differenziert im Urteil, unbequem, aber respektiert. Das ist eine ganz persönliche Mission. Wenn ich die FDP 2017 zurück in den Bundestag führe, bleibe ich Politiker. Sonst nicht.”
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Im Grunde wird in einer Zeit nach Merkel wieder mehr Platz für die Grünen sein. Denn eine künftige CDU - Führung muss sich im konservativen Lager konsolidieren, um die Merkel - Verheerungen zu beseitigen und die AfD zu kontern. Dann ist erst mal Schluss mit der Übernahme jeden Themas, nur um der Konkurrenz die Luft abzudrücken. Dennoch sind die von Habeck genannten Gefahren real. Dass grüne Politik als Kampf gegen Kapitalisten inszeniert wird und dabei doch nur die eigenen Wirtschaftslobbys fördert. Dass sie Themen plakativ in der Öffentlichkeit ausschlachtet, kein Projekt aber wirklich durchdenkt und zu einem guten Ende führt. Dass sie Gefahren konventioneller Lösungen aufbauscht und die Gefahren "grüner" Lösungen verschweigt. Dass dubiose NGOs über das Vehikel Grüne ihre utopischen Ideologien in die Tat umsetzen. All dies ist die Handschrift des linken Flügels. Es ist die Handschrift hemmungsloser Populisten, denen es um die eigene Inszenierung geht oder die einfach nur weltanschaulich verbohrte, schlichte Gemüter sind, welche die Konsequenzen ihrer Handlungen nicht verstehen. Da hat Habeck noch einiges zu tun und ich möchte nicht drauf wetten, dass er es schafft.
Lieber Herr Weimer, warum Sie die Frau Göring-Eckhardt den Realos zuordnen, erschließt sich mir nicht. Die Äußerungen der Dame deuten jedenfalls nicht darauf hin, das sie etwas mit der Realität zu schaffen hat. Die Proteste gegen die Abschiebung von Schwerverbrechern nach Afghanistan deuten eher auf einen schwerwiegenden Realitätsverlust hin.
„Wozu braucht es die Grünen da noch?“ — Irgendjemand muss doch kreativ sein, welche Regungen einer freiheitlichen Gesellschaft man künftig ebenfalls verbieten kann.
Habeck kommt als Wolf im Schafspelz einher. In Schleswig-Holstein hat er die Antifa-Horden stets bei der Repressionsarbeit des politischen Gegners unterstützt. In Stegner fand er bei dieser Form der politischen Arbeit den kongenialen Partner. Eine AfD-Veranstaltung mit Beatrix von Storch wurde unter Beteiligung des grünen Ministers von gewaltbereiten "Linken" aufgemischt, die interessierte Besucher wie mich am Zugang gewaltsam hinderten. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, ob bei den Nazi-Pöbeleien der sogenannten Antifa auch dieser aalglatte grüne Biedermann direkt beteiligt war, es ist aber wahrscheinlich. In der Öffentlichkeit sieht man immer die gut aufgesetzte bürgerliche Fassade von Habeck. Man sollte sich davon nicht blenden lassen: Er ist ein grüner Weltverbesserer der militanten Sorte und nichts anderes als ein fundamentalistischer Realo.
Die Führerin der Grünen, und nicht zufällig ist diese Bezeichnung gewählt, bleibt bis auf weiteres: Angela Merkel.
Das Problem der Grünen ist: Sie haben sich daran gewöhnt, daß ihre Ziele früher oder später von SPD und von Frau Merkel übernommen werden. Sie haben - ohnehin war es nie ihre Stärke - inzwischen völlig verlernt, für Ihre Ziele zu argumentieren. Deswegen ist die Jamaika-Sondierung geplatzt und daraus entsteht gerade eine veritable Führungskrise.