David Harnasch / 01.09.2007 / 18:49 / 0 / Seite ausdrucken

Der Neid des Höhlenmenschen

In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift novo findet sich, leicht gekürzt, dieser Artikel von mir:

Die Evolution hat uns einen unendlichen Geist in einem endlichen Körper beschert. Wir verstehen zwar intellektuell, wie Werte geschaffen werden, aber unser Wohlstand fühlt sich seltsam an. Denn unser Höhlenmenschengehirn ist nicht geschaffen für Überfluss. Es ist abergläubisch und mitleidig, dabei aber gleichzeitig neidisch und ängstlich.


Über Hunderttausende von Jahren waren praktisch alle Menschen auf der Welt arm. Wertschöpfung fand nur in sehr geringem Maß statt, steter Mangel war allerorten der Normalfall. Wollte einer etwas essen, anziehen oder bewohnen, musste ein anderer darauf verzichten. Der Kuchen des weltweiten Wohlstands war mehr oder weniger gleich klein und jeder versuchte, ein möglichst großes Stück zu erlangen. Mit der industriellen Revolution begann ein Trend, der sich nach dem zweiten Weltkrieg nochmals beschleunigte: Der Kuchen wuchs, er explodierte förmlich. Dieses Phänomen ist so neu, dass nicht mal diejenigen es wirklich glauben können, die es am eigenen Leib erfahren: Die glücklichen Einwohner der Ersten Welt.

Es fällt dem Menschen offenbar aus jahrtausendelanger Gewohnheit extrem schwer, sich zu vergegenwärtigen, dass der Grossteil des weltweiten Reichtums aus reiner Geistesleistung besteht. Die Vorstellung, der explodierende Wohlstand der Ersten Welt basiere ausschließlich auf schnellerem Verbrauch endlicher Ressourcen ist weit verbreitet. Der zu verteilende Kuchen ist aber nicht nur gebacken aus den Rohstoffe der Erde. Tatsächlich sind mehr davon schneller als je zuvor in der Geschichte der Menschheit zugänglich – was übrigens auch für Öl gilt, das nach der berühmten Prognose des „Club of Rome“ bereits seit Jahren erschöpft sein sollte. Dies ist aber nicht Grundlage, sondern Nebeneffekt des Ideenreichtums, der unseren realen Wohlstand begründet. Sammelte unser Urahn mühsam eine Beere, bestimmte sich ihr Wert an seinem Hunger und der Mühe, die es kostete sie zu finden. War sie gegessen, war die „Ressource Beere“ erschöpft. Ob aus zwei Tonnen Stahl ein ziemlich wertloser Rover oder ein für viel Geld begehrter BMW wird, hängt allein von der Intelligenz ab, mit der sie verarbeitet und vermarktet werden. Ist der BMW eines Tages durchgerostet, schmilzt man ihn wieder zu Stahl ein. Der Jäger und Sammler in uns sieht aber nur die Anstrengung, ein paar Tonnen Eisenerz aus der Erde zu holen.

Ebenso hartnäckig hält sich die Idee, der Reichtum der Ersten Welt basiere darauf, der Dritten Welt Wohlstand vorzuenthalten. Das stimmt fast nie. (Eine Ausnahme sind die Landwirte der ersten Welt, deren Subventionierung tatsächlich so dämlich organisiert ist, dass sie vom Steuerzahler finanziert wird und noch dazu den Wettbewerb durch die dritte Welt ruiniert.) Dass ein Markensportschuh im Geschäft 200 Euro kostet, obwohl seine Produktion in China mit wenigen Dollar zu Buche schlägt, sorgt hierzulande regelmäßig für Empörung. Dabei wird der Schuh nicht im chinesischen Werk für den Käufer wertvoll, sondern an den Füßen bewunderter Weltklasse-Sportler, in TV-Spots und Anzeigen und dadurch, dass ein gutbezahlter Verkäufer ihn in einem schicken Geschäft in extrem teurer Lage präsentiert. Dies ist der bedeutende Teil der Wertschöpfung und er findet in der Ersten Welt statt. Obwohl das kein Herrschaftswissen ist, empfindet unser interner „Homo noch-nicht-ganz-so-sapiens“ - einerseits - Mitleid mit dem „ausgebeuteten“ Arbeiter in China und – andererseits – fühlt er sich selbst übermäßig zur Kasse gebeten. Noch mehr allerdings verführt uns die Vorstellung, ein wenig Glanz von David Beckham auf uns abstrahlen zu lassen, also kaufen wir den Schuh natürlich trotzdem.

Ist die Geschäftsbeziehung zum armen Arbeiter direkter, sind wir weniger zimperlich. Der deutsche Tourist fühlt sich betrogen, wenn er im Urlaub in der Dritten Welt für eine Taxifahrt, ein Bier oder einen Haarschnitt mehr bezahlt als Einheimische – auch wenn der geforderte Lohn nur einen Bruchteil des von zuhause gewohnten Preises beträgt. Wenn der Troglodyt in unserem Herzen sieht, wie ein anderer ein ihm mit weniger Aufwand ein größeres Stück Mammut wegfuttert, holt er die Keule raus!

Wir sind zwar kaum in der Lage, etwas so abstraktem wie einem Gedanken subjektiv einen Wert zuzumessen, aber wir sind empathiefähig genug, um angesichts unseres offensichtlichen Reichtums und der Armut anderswo ein schlechtes Gewissen zu empfinden. Und doch sind wir gleichzeitig zutiefst missgünstig. Auch hier schlägt unser archaisches Urmenschendenken durch: Wir spüren instinktiv, dass Beeren und Wild begrenzt sind, wir also in unserer Saturiertheit entweder unseren Mitmenschen etwas weggenommen haben, oder wir die Gottheiten gnädig stimmen müssen für unser maßloses Benehmen. Dabei haben wir heute dauernd Angst, die Armen der Welt könnten ihren „gerechten“ – also gleich großen Teil des subjektiv beschränkten Gesamtwohlstands einfordern und uns enteignen.

Also schenken wir dem Nachbarstamm unsere wertlosen, stumpfen Feuersteinklingen in der Hoffnung, dass er nicht unsere Frauen raubt. Oder wir spenden für die Dritte Welt und fordern mit den Steuerspargenies Bono und Herbert Grönemeyer die Entschuldung afrikanischer Despoten.
Also opfern wir den Göttern für unser unbotmäßiges Benehmen. Oder sparen CO2 um das Klima zu retten, dessen fegefeuerartige Erhitzung die logische Konsequenz unseres unsittlichen Lebenswandels ist.
Also verteidigen wir unsere Obstbäume und Jagdgründe. Oder wir haben Angst vor Klempnern aus Polen und Fabrikarbeitern aus China und fordern vom Staat, dass er sie fernhält.
Also haben wir Mitleid, wenn wir die Hungerleichen eines Nachbarstammes in dessen Höhle finden. Oder wir beklagen, dass der Abstand zwischen arm und reich auf der Welt größer wird.
Also nehmen wir trotzdem die Felle und das Feuerholz mit, das wir dort finden. Oder wir kaufen beim Lebensmitteldiscounter den Viert-DVD-Player und malen uns aus, wie schrecklich es für die Welt wäre, wenn alle Chinesen ein Auto haben wollten.

Was wir dabei vergessen ist, dass es uns deshalb so gut geht, weil Industrialisierung, freie Märkte und die Globalisierung der Nährboden für schlaue Ideen waren und bleiben, und dass dieser Wohlstand langsam aber stetig zu den Armen durchsickert, die wir zu bedauern vorgeben. Wir sehen nicht, dass das lebensrettende Medikament zu 2% aus Wirkstoff und zu 98% aus Forschung besteht, dass das Notebook zu 15% aus Plastik und Metall und zu 85% aus Ingenieurskunst zusammengesetzt ist, dass 5% Stoff, 30% Kate Moss und 65% modisches Genie ein Abendkleid ergeben, dass der Lifestylejoghurt zu 20% aus Milch und Aromastoffen und zu 80% aus TV-Werbung und Leichtgläubigkeit besteht.

Weil wir sie nicht anfassen können, vergessen wir, dass Bildung, Kreativität und Grips die wichtigsten Rohstoffe für die Weltwirtschaft sind und bleiben. Die gute Nachricht ist, dass diese Ressourcen im Gegensatz zu Beeren und Wollnashörnern unendlich sind.

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