Richard Wagner / 03.12.2008 / 07:28 / 0 / Seite ausdrucken

Der Mogadischu-Komplex oder Rechtsstaat, Recht und Nächstenliebe

Wenn Claus Peymann, der Intendant vom Schiffbauerdamm, der, mit bildungsbürgerlicher Sorgfalt, den Kult um Mackie Messer und Kumpane pflegt, neuerdings behauptet, er habe dem RAF-Terroristen Christian Klar das Praktikum am Brecht-Theater aus „Nächstenliebe“ angeboten, möchte man ihm zurufen: Lieb dich doch selbst! Oder, mit Blick auf das fortgeschrittene Stadium unserer allseitigen Amerikanisierung: Fick dich!

Möchte man, würde man. Aber an der Stelle hat uns bereits das FSK eingeholt, die freiwillige Selbstkontrolle. Und schon lassen wir uns belehren. Wer aber ist der größte unserer Lehrer, seit die Amerikaner abgezogen sind, und das, nicht ohne ihren Kaugummi dazulassen? Es ist Gerhart Baum. Er ist jetzt für den Kaugummi zuständig.

Baum belehrt uns regelmäßig über die Unantastbarkeit des Gesetzes. Er belehrt uns unkluge Kinder darüber, das wir gegen das Gesetz machtlos seien. Zumindest, wenn es um die vorzeitige Freilassung eines Christian Klar geht. Wir, die Bürger, und ebenso das Gericht. Und auch er. Gerhart Baum.

Er muss es ja wissen. Schließlich war er der Innenminister. Und gesprochen hat er auch. Mit den Tätern. Mit Horst Mahler, ein ganzes Buch lang: Der Minister und der Terrorist. 1982 erschienen. Das andere Buch, mit dem Titel: Der Minister und die Geisel, ist bis heute ungeschrieben. Macht nichts.

Worum es geht, ist schließlich etwas ganz anderes. Es geht darum, dass lebenslänglich anscheinend nicht lebenslänglich ist, und dass auch nicht mehrfach lebenslänglich, lebenslänglich sein muss. Eine gute Nachricht für zukünftige Attentäter. Sie können sich schon jetzt auf ihre vorzeitige Freilassung freuen.
Der unermüdliche Gerhart Baum hat letzten Sonntag bei Anne Will, im Zeichen des öffentlich-rechtlichen Rechtskulturauftrags, dem unbelehrbaren Jürgen Vietor, Copilot auf der nach Mogadischu entführten „Landshut“, der das Bundesverdienstkreuz zurückgibt, weil Klar freikommt, die Heiligtümer der Gesetzgebung erklärt, er hat ihm und uns erläutert, dass wir die glücklichen Sklaven des Gesetzes sind. Das OLB Stuttgart habe gar nichts anderes zu entscheiden gehabt, als die Freilassung. Entschieden wurde über die Mindestverbüßungsdauer von 26 Jahren bereits 1997. Und wer hat das damals so entschieden? Das OLB Stuttgart.

Frage: Wozu braucht man das Oberlandesgericht, und das gleich zweimal, wenn der Buchstabe des Gesetzes so unflexibel ist, wie Baum beteuert? Lesen können wir schließlich auch selber. Bestünde die Aufgabe des Gerichts nicht doch in der angemessenen rechtlichen Auslegung der Straftat?

Wieso muss ein Christian Klar freigelassen werden, zumal er die Aussage über unaufgeklärte Verbrechen verweigert? Nun wird der Liberale Baum sagen, das sei sein gutes Recht. Das mag so sein, aber unser gutes Recht könnte auch darin bestehen, das wir ihn in Beugehaft nehmen, wie das an dieser Stelle am Montag Vera Lengsfeld vorgeschlagen hat. Warum nicht, Herr Baum? Ich vermute nicht, dass unsere früheren Lehrer in Sachen Rechtsstaat und Demokratie, die Amerikaner, etwas dagegen hätten.

Warum wäre diese Beugehaft eine Beschädigung unseres liberalen Gemeinwesens, und warum ist es nicht bereits eine solche Beschädigung, wenn der Täter Ätsch! ruft, und das auch noch unter dem Beifall seiner bürgerlichen Förderer, die es ihrer Klasse immer schon mal zeigen wollten? Wenn nicht durch die eigene Tat, dann wenigstens durch die Unterstützung der einschlägigen Täter, und sei es mit der Forderung nach einem „Schlussstrich“ für die RAF-Verbrechen, wie Christian Semler sie dieser Tage in der taz formulierte. Besteht das Problem nicht gerade darin, dass der nützliche Idiot sich immer noch als Teil der Lösung zu verstehen beliebt, wobei die so angestrebte Lösung selbst das Problem darstellt?

Mogadischu baumliberal zu betrachten, heißt, die Rechte der Opfer zu ignorieren, und das im Namen einer höheren Räson, die in diesem Fall dem Rechtsstaat zukäme. Als würde unsere Frage nach dem Recht den Rechtsstaat gefährden. Sind wir vielleicht immer noch mitten in der Reeducation? Wir belehren doch längst schon unsere amerikanischen Lehrer. Und zwar nicht nur in der Frage der Todesstrafe. So dass man durchaus den Eindruck gewinnen kann, wir wollten Guantanamo übernehmen und Roger Willemsen zum Abwicklungsdirektor machen.

Zurück zu unserer Debatte: Wieso bitte sollte es der Rechtsstaat nicht vertragen können, dass die Opfer auf ihrem Recht bestehen? Es ist höchste Zeit, dass wir uns auf eine Kleinigkeit besinnen, eine folgenreiche: Nicht die Opfer gefährden den Rechtsstaat, sondern die Täter. Liberalismus heißt nicht nur Therapie des Täters, sondern auch Kenntlichmachung der Tat. Mit allen Konsequenzen für den Täter. Demokratie muss wehrhaft sein. Sonst zieht sie den Kürzeren.

 

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