Joachim Nikolaus Steinhöfel / 21.08.2015 / 13:51 / 16 / Seite ausdrucken

Der grosse Irrtum des Egon Bahr

Ich habe ihn nie getroffen. Aber dennoch war Egon Bahr mir sympathisch. Seine stets ruhige, sachliche und sachkundige Art, seine Positionen zu vertreten. Das wird fehlen. Er hat sich Respekt und Achtung verdient. Persönlichkeiten seines Formats fehlen der SPD und der Republik.

Bahrs berühmtester Satz ist sicherlich dieser:

„Wandel durch Annäherung“.

Und wegen dieser und vergleichbarer Äußerungen wird er in der Berichterstattung zu seinem gestrigen Tod gebetsmühlenartig als „Architekt der deutschen Einheit“ bezeichnet. Was falscher nicht sein könnte. Es gab weder Wandel durch Annäherung noch hat Bahrs strategische Ausrichtung den Weg zur deutschen Einheit geebnet. Im Gegenteil.

Bahr und Brandt waren zutiefst davon überzeugt, dass es richtig sei, auf ein Regime von Massenmördern in Moskau und dessen Schergen in Ost-Berlin zuzugehen. Sie betrieben eine Politik der Zugeständnisse, des Appeasements, der utopischen Vorstellung eines Friedens ohne Sieg. Des ständigen Nachgebens um bloß jede „Provokation“ des Gegners zu vermeiden. Und verliehen damit verbrecherischen Regimen Legitimität.

Erschüttert haben sie die Regime, die Hunderte von Millionen Menschen hinter dem Eisernen Vorhang versklavt haben, nicht. Im Gegenteil. Wir wissen heute, wie wichtig es für die eingekerkerten Dissidenten in den Gulags war, wenn Sie hörten, dass US-Präsident Reagan die Sowjetunion als „Reich des Bösen“* bezeichnete.

Reagan ging einen völlig konträren Weg. Er provozierte und bekämpfte das Unrechtsregime in Moskau, nannte dessen Verbrechen beim Namen. Und verhandelte später doch mit Gorbatschow. Seine grosse Rede aus dem März 1983 (“The Evil Empire”) , eine der grössten rhetorischen Leistungen der letzten Jahrzehnte, vereinte rednerische Brillianz, den Mut zur Wahrheit und heftete den Kommunisten ein Label an, dass sie von da an nicht mehr los wurden: Das Reich des Bösen.

Auch der Tod eines großen Sozialdemokraten ist kein Anlaß für Geschichtsverfälschung. Egon Bahr trug nicht zum Untergang des Sowjetkommunismus bei. Er hat dem Reich des Bösen die Hand ausgestreckt. Sein grösster historischer Verdienst war in Wirklichkeit ein grosser historischer Fehler.

Siehe auch:
Natan Sharansky, a Jewish dissident, was an inmate of Permanent Labor Camp 35. His Soviet captors informed him of what this saber-rattling, dangerous president had dared to utter. Upon learning what Reagan said, Sharansky (after the guards left) jumped for joy inside his prison cell and tapped in Morse Code to his fellow gulag residents the good news that “someone had finally spoken the truth” about the USSR. “We dissidents were ecstatic,” said Sharansky. “Finally, the leader of the free world had spoken the truth — a truth that burned inside the heart of each and every one of us.”

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Dieter Faulenbach / 22.08.2015

“Was falscher nicht sein könnte.” Dieser Satz fast den Kommentar von Joachim Nikolaus Steinhöfel prägnant zusammen. Die Verträge von Moskau, Warschau, Berlin und die KSZE-Akte hat den Menschen im Ostblock rechte eingeräumt von denen sie vorher nur träumen konnten. Immerhin waren alle Vertragsstaaten verpflichtet den Text der Vereinbarung zu veröffentlichen. Das hat Mut gemacht, in Polen und schließlich auch in anderen Ländern des Ostblocks dem Widerstand eine nicht unwesentliche Stütze gegeben. Ohne die Anerkennung der Realität, bis dahin galt die DDR ja bestenfalls als “Gebilde” wäre eine Veränderung nicht möglich gewesen. Mit der Anerkennung musste auch die DDR sich ziviler geben, ihr Grenzregime lockern. Deshalb gehört Egon Bahr Dank und Anerkennung für seine großartigen Leistungen um Deutschland und den europäischen Frieden und nicht einen solch billigen Verriss eines verkrampften Ideologen.

Horst Jungsbluth / 22.08.2015

Als damaliger junger und naiver Anhänger SPD-Ostpolitik jubelte ich wie die meisten in Berlin über das gegen die Regierung Brandt gerichtete Misstrauensvotum, als dieses im deutschen Bundestag 1972 scheiterte. Es sah zunächst auch nach Verbesserungen gerade für uns Berliner aus, als die schikanösen Behandlungen auf den Transitstrecken aufhörten und zudem Regelungen für Besuche in der DDR erlassen wurden. Trotzdem blieb die DDR eine Diktatur, wo die Bevölkerung nicht nur unter schlimmster Bevormundung und Überwachung, sondern auch unter großem Mangel litt. Ein älterer Verwandter erklärte mir bei einem Besuch in den achtziger Jahren, dass die gesamte Ostpolitik der Bundesrepublik “Mist” sei, da sie nur die Diktatur der SED stärke und wir im Westen aufpassen müssten, dass wir nicht unterwandert werden. Der Mann hatte in der Tat schon damals das erfasst, was viele bei uns bis heute nicht wahrhaben wollen. Bereits das Scheitern des Misstrauensvotum war durch die Stasi mit dem Kauf von zwei Abgeordneten zu einem lächerlichen Preis über die Bühne gegangen, wo wir später fassungslos feststellen mussten, dass die Regierung eines der reichsten Länder auf der Erde als “Schnäppchen” zu haben ist. Die Bundesrepublik wurde dann gezielt zweck Destabilisierung von der Stasi unterwandert, Kritik an der DDR war nicht mehr gewünscht, die dortigen katastrophalen Zustände wurden “schön geredet” und unsere “demokratischen” Politiker kungelten geheim mit den “diktatorischen” und das Volk in Ost und West spielte genau wie jetzt wieder überhaupt keine Rolle. Die SED plante ungeniert die Besetzung Westberlins, um sich dortige Vermögen anzueignen und mit den Bürgern als Geisel in Bonn “Kasse” zu machen, installierte 1989 den SPD/AL-Senat, der mit “gleichgeschalteten Ämtern, Justiz und sogar der Wissenschaften” nach einem Strategiepapier mit gefälschten Vorschriften und unzutreffenden Gründen unter schlimmstem Missbrauch der Verwaltungsgesetze unbescholtene Bürger wie Verbrecher verfolgte, während er letztere zwecks Einschüchterung der Bevölkerung schalten und walten ließ. Die Ostpolitik Bahrs und der SPD hätte in eine Katastrophe ungeahnten Ausmaßes geführt, wenn nicht in der UdSSR ein Mann wie Gorbatschow an die Macht gekommen wäre, der den bösen Spuk abrupt beendete. Bahr hat leider seine Lebenslüge nie eingestanden.

Rudolf v. Trollingen / 21.08.2015

Egon Bahr war in seiner Wirkungszeit bei den nach Freiheit strebenden Menschen in der DDR äußerst unbeliebt, um es zurückhaltend auszudrücken. Eben deshalb, wie es im Artikel korrekt beschrieben ist. Manchmal habe ich mich damals gefragt, für wen der Mann überhaupt unterwegs ist. Mit jedem Treffen und jeder Begegnung mit den DDR-Mächtigen wurden die Menschen ihrer Hoffnung auf Freiheit mehr beraubt, wenn Bahr sich wieder einmal bückte. Der Bruderkuss hat nur noch gefehlt. Die “Friedliche Koexistenz” war im Grunde mit Bahr und DDR-Genossen zementiert, zumindest gefühlt. Solche “Architekten” haben die DDR länger leben lassen. Und deren Architekten noch besser.

Beate Klose / 21.08.2015

Dieser Kommentar ist mir aus der Seele gesprochen, Ich danke Ihnen mit freundlichen Grüßen Beate Klose

Max Mertens / 21.08.2015

Eine in diese Richtung gehenjde Argumentation findet sich bereits in dem lesenswerten Buch von Jens Hacker “Deutsche Irrtümer, Schönfärber und Helfershelfer der SED-Diktatur im Westen” (Ullstein, 1992), seinerzeit Politologe an der Uni Regensburg.

Stefan Krikowski, Berlin / 21.08.2015

Sehr geehrter Herr Steinhöfel, Danke für Ihren Artikel, der Egon Bahr in ein etwas anderes Licht setzt. Von 1945 bis 1955 sind ca. 40.000 Deutsche durch sowjetische Militärtribunale (SMT-Urteile) auf dem Boden der ehemaligen DDR verurteilt worden. Über 1000 Deutsche sind allein im Zeitraum von 1950 bis 1953 durch diese Tribunale in der DDR zum Tode verurteilt und später in Moskau hingerichtet worden (Siehe hierzu “Erschossen in Moskau…”). Die Universitäten der DDR wurden gleich nach ihrer Gründung systematisch gesäubert und hunderte junge Studenten wurden durch SMT-Urteile verurteilt und zu extrem hohen Haftstrafen (meistens 25 Jahre nach dem berüchtigten § 58 des russischen StGB) verurteilt und in den GULag nach Workuta deportiert. Die Schicksale dieser Zeitzeugen können auf der Homepage www.workuta.de eingesehen werden. Um diese Schicksale hat sich Herr Bahr nie gekümmert, es scherte ihn keinen Pfifferling. Gesprächspartner, wie Breschnew und Falin waren ihm wichtiger. Eines seiner letzten Aussagen in diesem Jahr hinsichtlich “Wandel durch Annäherung” war sinngemäß folgender: Der Westen müsse doch letztendlich die Annektierung der Krim akzeptieren. Da fällt einem nichts mehr zu ein. Stefan Krikowski, Berlin

Frank Stein / 21.08.2015

Brillanz muss es heißen.

Jörg Hartlieb / 21.08.2015

Danke! Auch mich überkamen Zweifel die letzten Tage angesichts der Behauptung, B/B’s Programm habe wesentlich zum Zusammenbruch des Sowjetsozialismus beigetragen. Ich sah diesen Verdienst intuitiv eher bei den innersystemischen Kritikern/Dissidenten und den innerstystemischen Antinomien des Sozialismus an sich und der sowjetischen Ausprägung - an den Beitrag des “Hardliners” Reagan hatte ich gar nicht mehr gedacht. Wobei ich auch einen gewissen Beitrag der B/B Strategie nicht vorschnell ausschließen würde, im Sinne einer Aufgabenteilung Good Cop B/B (den Gegner ruhig stellend) und Bad Cop Reagon. Aber das müsste erstmal (von den behauptenden Kondolierern) herausgearbeitet werden und dürfte eher ein geschichtlicher Unfall denn Intention der B/B Strategie gewesen sein - denn angesichts der Vormachtstellung des Marxismus innerhalb der politisch-universitären linken Elite der 60/70er Jahre ist einer (Zer)Störungsintention wenig plausibel. Beim Lesen Ihrer Zeilen kam mir der Gedanke, ob die ausschließlich positive Hervorhebung des Wandels durch Annährung dieser Tage darin ihren Nährboden hat(te), dass auch gegenwärtig bei uns eher die Appeasment-Strategie in vielen Gebieten von den politischen Eliten vertreten wird - sei es Eurorettung, Flüchtlingsproblematik oder (politischer und/oder militanter) Islam.

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