Peter Grimm / 02.09.2020 / 06:00 / Foto: President.gov.ua / 56 / Seite ausdrucken

Der Diktator ohne Virus

Alexander Lukaschenko hat als weißrussischer Herrscher schon vor Monaten dekretiert, dass das Corona-Virus, wegen dem Regierung für Regierung ihr jeweiliges Land in den Ausnahmezustand versetzte und das öffentliche Leben lahm legte, für Weißrussland keine Gefahr darstelle. Natürlich machte der Krankheitserreger keinen Bogen um das Land, doch – wie in einer ordentlichen Diktatur üblich – kann leider niemand verlässlich feststellen, ob und wie viele Weißrussen deshalb ihr Leben vorzeitig verloren.

Einem Diktator ist das egal und eine Seuche passte offenbar einfach nicht ins Bild des Herrschers von seinem Land. Mochten Regierende anderswo neben all der Panikmache und Krisenstimmung vielleicht auch ihre klammheimliche Freude am plötzlich möglichen fast widerstandfreien Durchregieren haben, so war das für den Diktator in Minsk nicht so reizvoll. Es ist ja seit mehr als zwei Jahrzehnten sein Alltag.

Offenbar gab es ihm nicht einmal zu denken, dass, neben dem größten Teil des Rests der Welt, der in Corona-Ausnahmezustände verfiel, auch Russlands Präsident Putin nach anfänglichem Zögern den Covid-19-Notstand verhängte. Der „Herrscher aller Reussen“ wusste selbigen auch gut für den reibungs- und möglichst protestlosen Ablauf seines machtsichernden Verfassungsreferendums zu nutzen. Der Herrscher in Minsk, dem der Kollege in Moskau sicher ebenso Vorbild wie Konkurrent ist, ging hingegen davon aus, keine weitere Legitimation zum Reglementieren seiner Bevölkerung nötig zu haben.

Was das Corona-Virus anging, war Weißrussland eine Insel in Europa, was allerdings für die Weißrussen nicht allzu viel brachte. Viele Grundrechte, die Bürger in den europäischen Demokratien im Zeichen der Corona-Angst plötzlich ganz oder teilweise verloren, hatten sie gar nicht erst.   

Jetzt wird Tag für Tag mutig gegen die Wahlfälschung und den Machthaber, der sie zu seinen Gunsten organisiert hat, demonstriert und gestreikt. Die Opposition formiert sich und zeigt sich in ungewohnter Stärke. Auch die westlichen Staaten positionieren sich in seltener Klarheit gegen Lukaschenko, der ihnen gegenüber sein Vorgehen allenfalls mit der Bedeutung von „Stabilität“ legitimieren kann.

Keine Legitimation mit dem Infektionsschutz

Etliche andere Herrscher greifen derzeit gern auf das Corona-Virus zurück, wenn sie Demonstrationen und Versammlungen verbieten und verweisen bei Kritik darauf, dass die westlichen Demokratien derzeit aus Infektionsschutzgründen ebenfalls Zusammenkünfte, Versammlungen und Demonstrationen strenger reglementieren würden. Mögen sich die Kritiker solcher Herrscher darüber auch ärgern, so kann doch der, der daheim die Gefahren des Virus beschwört, sie im Ausland nicht so gut klein reden, selbst wenn ein Diktator diesen Umstand ausnutzt.

Um diese Chance hat sich der Herrscher in Minsk aber selbst gebracht. Fehlenden Mindestabstand oder das Nicht-Tragen von Masken kann Alexander Lukaschenko nicht als Grund für das Vorgehen gegen die Demonstranten vorbringen. Er kann seine Polizeitruppen nur legitimationslos Demonstranten misshandeln und verhaften lassen und mit Militäreinsätzen drohen. Das aber macht eine baldige Rückkehr an den Tisch anerkannter Staatenlenker unmöglich. Ob er sich ärgert, dass er beim Corona-Ausnahmezustand so gar nicht mitmachen wollte?

Jetzt hängt seine weitere Existenz an Wladimir Putin, der den Herrscher in Minsk auch nur mangels einer für Moskau akzeptablen Alternative unterstützt. Ohnehin hatte Lukaschenko nur so lange politisch und wirtschaftlich überleben können, weil Russlands Führung keine allzu prowestliche Regierung in Minsk haben will. Gäbe es in der weißrussischen Opposition durchsetzungsstarke Kräfte, die Putin ein Angebot machen könnten, wären Lukaschenkos Tage schnell gezählt. Doch weil das derzeit recht unwahrscheinlich scheint, muss man sich noch keine Gedanken machen, wie sich eine dann entstehende Herrschaftsform angemessen beschreiben ließe.

Einstweilen dauert der Machtkampf an. Lukaschenko wird ihn hoffentlich bald verlieren. Wie gut, dass er kein Corona-Virus argumentativ an seiner Seite hat. Wenn er jetzt plötzlich auch, wie viele andere europäische Regierungen, die große Gefahr der nächsten Corona-Welle beschwören würde, um sich zu retten, würde ihm niemand glauben. Im Ausland nicht einmal die, die die Panikmache der eigenen Regierung nicht hinterfragen.

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Leserpost

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Arthur Sonnenschein / 02.09.2020

Die Opposition in Weissrussland ist eine Minderheit, die von der üblichen Mischung aus CIA-Agenten wie Henry-Levi (der muss wirklich gut daran verdienen, seit den 80igern auf jeder gegen Russland gerichteten Veranstaltung Stimmung zu machen), irgendwelchen NGOs und polnischen Hardlinern angetrieben wird. Drückt Lukaschenko die Daumen! Weissrussland ist die letzte Bastion gegen die Demokratur, die gern ihren Krieg gegen die Russen von Deutschland aus führen wollen.

R. Nicolaisen / 02.09.2020

Nun, im Irak und in Libyen gabs auch Diktatoren—und jetzt? \\ Ob Weißrussen als Lukaschenko-Ablösung wohl an sowas wie ein Merkel denken und sich wünschen sollten?

Steffen Lindner / 02.09.2020

Ob in Weißrussland tatsächlich der „ spontane Volkszorn „ gegen Lukaschenko demonstriert, muss eher bezweifelt werden. Das sieht doch sehr international organisiert aus, um langfristig ein prowestliches Regime gegen Putin in Stellung zu bringen. Interessantes Detail: Weltbank und IWF hatten die Vergabe eines Kredits an Weißrussland von der Einführung eines strengen „ Lockdowns“ analog zu Italien abhängig gemacht-dies wurde von Lukaschenko abgelehnt… Nun folgt die EU mit den üblichen Sanktionen wegen der Verletzung demokratischer Regeln. Apropos Sanktionen: Wurden die auch im Februar gegenüber Deutschland diskutiert, nachdem die korrekte Wahl eines MP auf Druck der Zentralregierung bzw. einer einzelnen Person („ Dame“ passt hier nicht) rückgängig gemacht werden musste?

K.Reinhold / 02.09.2020

Danke für Ihren Beitrag, Herr Grimm. Ich hörte ein Gerücht, wonach die WHO Weißrussland 900 Mio. Euro geboten haben soll, damit die den Lockdown zu verhängen. Lukaschenko machte da nicht mit. In Serbien gingen nach Zahlung der 900 Mio. plötzlich die Infektionszahlen nach oben und der Lockdown wurde verhängt. Kann man den Gerüchten glauben? Gibt es da verlässliche Informationen? Kann evtl. die Achse der Sache nachgehen? Vielen Dank.

Holger Schönstein / 02.09.2020

Ich bin ansatzweise nicht ganz der Meinung des Autors: Es hat uns nicht immer was gebracht, rechtschaffend-anständige Despoten und Diktatoren zu beseitigen, die ihren Laden in Schach hielten. Seit Mubarak und Gaddafi (Zelt in Paris) weg sind, ist der südliche Mittelmeerraum ein Pulverfass. Und wenn man bedenkt, wie wir, medial(öR) gesehen, immer noch von Despoten und Diktatoren umgeben sind: Trump, Orban, Johnson, Kaczynski, Bolsonaro, AH (Attila Hildmann)

Thomas Thürer / 02.09.2020

Dem ist sachlich nix hinzuzufügen. Ich habe in der „Sache Lukaschenko“ eine eher nebensächliche Frage. Bis vor wenigen Wochen nannten unsere Leitmedien Lukaschenkos Land „Weißrussland“ in Weißrussland fand und findet eine Eishockey-WM statt, Weißrussland hat eine Grenze zu Polen, es gab weißrussische Nationalpark usw usw. Seit Lukaschenkos Wahlfälschungen an Plumpheit nicht mehr zu topen und die Bürger auf der Straße sind, wird in unseren Zentralorganen nur noch von „Belarus“ parliert. Was soll uns das eigentlich sagen? Darf es in einem „weißen“ Land nur Diktatoren geben? Und wenn diese Diktatoren dann auf dem absterbendem Ast angekommen sind, muss man den Landesnamen dann in der Landessprache nennen? Wird also ohne Putin aus Moskau Mosqua, ohne Kaczyński aus Warschau Warszawa und ohne den König von Dänemark aus Kopenhagen Kopenhagen København? Und sprechen wir bei einer Wiederwahl Trumps dann von Neu-York und Stadt des Heiligen Franz?

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