Gastautor / 10.09.2011 / 15:17 / 0 / Seite ausdrucken

Der Ball ist rund, die Wahrheit auch

Ingo Langner

Einem Bonmot Gilbert Keith Chestertons zufolge glaubt jener Teil der Menschheit, der den christlichen Gottesglauben verworfen hat, nicht mehr an nichts, sondern an allen möglichen Unsinn. Wie sehr Chesterton recht hat, zeigt sich nicht nur im allgegenwärtigen Esoterikwahn der sogenannten Säkularen, die zwar ohne mit der Wimper zu zucken indigenen Schamanen ihre Gesundheit und Tarotkarten ihre Zukunft anvertrauen, aber dennoch allzeit bereit sind, voller Hohn und intellektueller Verachtung über Christi Auferstehung oder das katholische Dogma der Immerwährenden Jungfräulichkeit der Gottesmutter Maria zu spotten. Ihre nur scheinbare Aufgeklärtheit offenbart sich ironischerweise auch dort, wo man sie am allerwenigsten vermutet, nämlich im Literaturbetrieb.

Denn wieso, so fragen wir uns, sollte ein Lyriker oder Romancier allein seiner schriftstellerischen Fähigkeiten wegen in der Lage sein, Erhellendes oder gar Wegweisendes über hochkomplexe politische Sacherverhalte der Gegenwart zu erkennen? Schließlich ist ein Autor ein Autor und kein Prophet. Aber genau in diese Rolle wird er von Feuilletonjournalisten und anderen Literaturbetriebsnudeln nur allzu gerne und leider auch allzu häufig gedrängt.

Und wir können auch nicht verschweigen, wie sehr sich gerade Schriftsteller, deren Ego ganz allgemein gesprochen nicht unbedingt in einer Nußschale Platz hat, in die Rolle des prophetischen Wahrsagers drängen lassen. Tahar Ben Jelloun, ein 1944 in Fes geborener und in Paris lebender frankophoner Marokkaner ist einer davon.

Tahar Ben Jellouns Meriten innerhalb seiner Profession stehen hier außer Frage. Er hat von Fachkundigen gerühmte und vielgelesene Romane (Die Nacht der Unschuld oder Der blinde Engel) geschrieben und wurde mit wichtigen Literaturpreisen bedacht – so 1987 mit dem Prix Concourt. Doch zur „Arabischen Rebellion“ hat er – außer einigen immergültige Allgemeinplätzen – nichts Bedeutsames zu sagen.

Jedenfalls nicht beim „internationalen literaturfestival berlin“, kurz „ilb“ genannt, - dessen Alleinstellungsmerkmal die schiere Masse ist: man präsentiert in 11 Tagen 140 Autoren auf 200 Veranstaltungen! – das Ben Jelloun mit einer Rede zum Thema „Was kann Literatur bewirken? Der arabische Frühling und das Schreiben“ am vergangenen Mittwoch eröffnet hat.

Daß Literatur die Welt nicht verändern kann, Schriftsteller aber gleichwohl nicht aufhören sollten zu schreiben, ist als Quintessenz noch das Vernünftigste, was sich von Ben Jellouns Berliner Rede mitteilen läßt. Der Rest sind Leerformeln – „Die Wahrheit ist rund“ oder Platitüden – „Wenn die Welt kämpft, ist es unanständig über privates Unglück zu schreiben“ – oder bösartiger Nonsens – „Der Mensch ist des Nächsten Ratte“ – aber das alles wird stets mit jenem pseudogewichtigen Ton vorgetragen, der jener Spezies Redner eignet, die von ihrer eigenen Bedeutsamkeit tief durchdrungen sind.

Daß Ben Jelloun allerdings auch ganz anders als „allgemein“ kann, hat er in einem Interview mit dem „Tagesspiegel“ bewiesen. Dort antwortet er auf die Frage, ob es nicht gut nachvollziehbar sei, daß sich „die Israelis vor den Unwägbarkeiten fürchten, die der arabische Frühling mit sich bringt“ wörtlich dies: „Die Israelis fürchten gar nichts. Sie verteidigen sich jedesmal auf derart brutale Weise, daß sie wirklich keine Angst haben müssen. Natürlich sehen sie ungern, daß die arabische Welt plötzlich Zugang zur Demokratie hat. Sie waren immer stolz, die einzige Demokratie in der Region zu sein.“

Müssen wir also, Ben Jelloun folgend, davon ausgehen, daß selbst arabische Demokratien – deren verfassungsrechtliches oder gar reales Zustandekommen selbst mittelfristig übrigens noch längst nicht feststeht – das Existenzrecht Israels nicht garantieren werden? Oder warum sonst sollte Israel es „ungern sehen, daß die arabisches Welt plötzlich Zugang zur Demokratie hat“?

Je länger man über dieses Statement Ben Jellouns nachdenkt, desto fragwürdiger wird es. Und es paßt leider zu einer weiteren seiner Aussagen am selben Ort: „Die israelische Gesellschaft ist dabei zu explodieren. 400.000 Menschen gehen in diesem kleinen Land auf die Straße. Mit anderen Worten: Der arabische Frühling ist in Israel angekommen.“  Selbst dem gutwilligsten Interpreten wird es schwerfallen, darin nicht Tahar Ben Jellouns Hoffnung herauszulesen, daß auch nach dem endgültigen Sieg der arabischen Rebellion die Tage des Staates Israels gezählt sind.

In diesem Jahr ist Tahar Ben Jelloun für sein Buch „Arabischer Frühling“, in dem er die Proteste in der arabischen Welt thematisiert, mit dem „Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis“ der Stadt Osnabrück ausgezeichnet worden. Ob ein Friedenspreis für einen Autor angemessen ist, der sich in Deutschland, zu dessen Staatsräson nach Meinung von Bundeskanzlerin Angela Merkel die unverbrüchliche Solidarität mit dem Staat Israel gehört, öffentlich anti-israelisch äußert, mögen jene beurteilen, die ihn in Osnabrück des Remarque-Preises für würdig erachtet haben.

Und dem diesjährigen „internationalen literaturfestival berlin“ kann man nur wünschen, daß es sich auf seinen drei Themenschwerpunkten „Literaturen der Welt“, „Internationale Kinder- und Jugendliteratur“ und „Focus Asien“ und gemeinsam mit den angereisten hochrangig dekorierten Autoren aus aller Welt in Lesungen, Gesprächen und Workshops vor allem auf das konzentriert, was allein Schriftsteller zu Schriftstellern macht: das sind ihre Bücher.

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