Gastautor / 22.11.2011 / 17:43 / 0 / Seite ausdrucken

Das Versagen der Islamwissenschaft

Carmen Matussek

„Das Buch zur ‚Islamdebatte‘. Das Buch zum zehnten Jahrestag von 9/11. Das Buch zu Islamismus und Antisemitismus.“ – So bewirbt Clemens Heni sein Buch „Schadenfreude. Islamforschung und Antisemitismus in Deutschland nach 9/11“ auf der Homepage seines Verlages Edition Critic.

Der Titel bezieht sich auf die Reaktionen nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center am 11. September 2001. Statt die extremen Auswüchse einer Religion, in deren Namen solche Verbrechen verübt wurden und werden, näher in Augenschein zu nehmen, suchten nicht zuletzt viele Wissenschaftler die Schuld bei den USA und machten es sich zur Aufgabe, den Islam vor Vorurteilen und Pauschalisierungen zu schützen. „Schadenfreude“ ist eine aufklärende, erschütternde Sammlung von offiziellen Verlautbarungen deutscher Islamwissenschaftler der vergangenen zehn Jahre.

„Die Islamwissenschaft hat eine wichtige Funktion und kann Aufschluss geben über die politischen Strukturen, Entwicklungen und Tendenzen in der arabischen wie der muslimischen Welt insgesamt. Doch wird sie ihrer Funktion gerecht?“ Diese erste, in der Einleitung gestellte Frage beantwortet Clemens Heni auf 400 Seiten mit einem klaren Nein. Unter Bezugnahme auf einschlägige islamwissenschaftliche Texte führt er das Versagen jenes Fachbereiches vor, von dem man erwarten könnte, dass dort – wenn schon keine Antworten gefunden werden – wenigstens die Fragen behandelt würden, die der politische Islam an die westlichen Gesellschaften stellt. Dabei werden besonders die Zeitschrift Die Welt des Islams, das Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin und sein langjähriger Leiter Prof. Wolfgang Benz sowie zahlreiche Islamwissenschaftler und ihre Aussagen unter die Lupe genommen.

Clemens Heni zeigt, wie die Elite dieses Wissenschaftszweiges mit dem Phänomen des Islamismus, islamistisch begründetem Terror, der Zusammenarbeit der Nationalsozialisten mit arabischen Führungspersönlichkeiten und mit Islamkritik umgeht. Die Darstellung von Geschichte und Gegenwart ist fundiert, die Sammlung der Zitate umfassend bis ausufernd, die Kritik so drastisch wie ihr Gegenstand.

Sprachlich ist die Arbeit einwandfrei, nur leicht beeinträchtigt von der Auffälligkeit wenig gebräuchlicher Lieblingswörter des Autors. Einiges an Inhalt wiederholt sich, was aber nur bedingt störend und für die Benutzung als Arbeitsbuch eher von Vorteil ist. Dafür sind auch die vielen Querverweise sehr hilfreich.

Die Kritik an dem Buch hängt sich bislang zurecht weniger an der Frage auf, ob die Kritik an der Islamwissenschaft berechtigt ist, sondern ob der gewählte Tonfall einer wissenschaftlichen Studie angemessen ist. Etwas zögernd begebe ich mich auf den Schauplatz dieser Schlammschlacht, möchte aber als Islamwissenschaftlerin dazu Stellung beziehen. Die Rezension von Martin Kloke auf achgut.com wird von Alan Medforth auf seinem wordpress-Blog scharf zurückgewiesen. Weitere Wortmeldungen wären wünschenswert. Hier also eine Stellungnahme aus der Islamwissenschaft, die für diesen Kreis wohl eher untypisch ausfallen wird.

In einigen Punkten würde ich Klokes Kritik zustimmen, besonders wenn es darum geht, dass der zuweilen angriffslustige Unterton – um es gelinde auszudrücken – und kaum zur Sache beitragende Seitenhiebe (Stichwort Religionskritik) keine gute Grundlage für einen „seriösen Streit“ sind, wie Kloke ihn sich wohl wünschen würde. Aber mit einem näheren Blick auf die Islamwissenschaft in Deutschland, wie Clemens Heni ihn durchaus kompetent vermittelt, erklärt sich vielleicht der Geist dieser „Kampfschrift“ (Kloke). Denn auch dort scheint es an stabilen Diskussionsgrundlagen zu fehlen, nur weit subtiler als bei dem laut Kloke „unerbittlichen Moralisten“ Clemens Heni.

Dabei ist der Autor jemand, der durchaus zwischen dem Mensch und der Ideologie unterscheiden kann, ganz gewiss kein Hassprediger gegen den Islam, aber offensichtlich wutschäumend gegen die realitätsferne Orientromantik, fatale Vergleicherei und Verharmlosung von Seiten der deutschen Islam- und Nahostwissenschaft.

Man erwartet von einer wissenschaftlichen Studie, dass sie durch und durch sachlich daherkommt, auch wenn klare Positionen bezogen werden. Aber wenn ich bei der Lektüre des Buches selbst zuweilen wütend wurde, dann lag das mitnichten an der ein oder anderen formalen Entgleisung des Autors, sondern an den zitierten Texten ausgewiesener Islamexperten, die himmelschreiende Theorien verkünden. Gerade bei den Ausführungen von Bassam Tibis Schülerin Naika Foroutan (S. 247ff) habe ich mir mit Bleistift einige weniger nette Kommentare an den Rand geschrieben. Irgendwann wird es schwierig, sachlich und souverän-unemotional zu bleiben, wenn man sieht, dass diesem gefährlichen Irrwitz, der mittlerweile zum wissenschaftlichen Mainstream avanciert, mit Argumenten und Fakten nicht beizukommen ist.

Ein Beispiel dafür ist, dass die Islamwissenschaftlerin Prof. Gudrun Krämer von der Freien Universität Berlin, eine der prägendsten und repräsentativsten Figuren der deutschen Islamwissenschaft (was nicht unbedingt ein Lob ist), Yusuf al-Qaradawi zu den „moderaten Islamisten“ zählt, da er „nicht zu Gewalt gegen andere“ einlade und diese auch nicht hinnehme, um dann in Klammern hinzuzufügen: „die Ausnahmen sind fremde Besatzer, Kolonialismus, Zionismus und Israel“ (S. 156). Ein Neonazi, der nur öffentlich zu Anschlägen gegen Israelis aufrufen würde, wäre demnach ein „moderater Rechtsextremist“. Sofern sich renommierte Islamwissenschaftler überhaupt zu brisanten Themen wie islamistischem Terror und dem Nahostkonflikt äußern, tun sie das vielfach auf so haarsträubend verharmlosende Weise, dass ihre Rolle in der Diskussion nicht nur unproduktiv, sondern kontraproduktiv ist. Und spätestens seit der vielbeachteten Konferenz „Feindbild Muslim – Feindbild Jude“ im November 2008 ist die Benzsche Antisemitismusforschung in Teilen ein ernstzunehmendes Hindernis bei der Antisemitismusbekämpfung.

Clemens Heni hätte mehr von der Möglichkeit Gebrauch machen können, dass man sich in schriftlichen Äußerungen seinen Gemütszustand nicht anmerken lassen muss. Er hätte sich Spekulationen über die Motive fehlgeleiteter und fehleitender Islamwissenschaftler sparen können (z.B. 185, M. Kiefer fühle sich womöglich ertappt…). Ich als Leser hätte mich deswegen nicht weniger aufgeregt: Meine Kollegen diskreditieren sich selbst, und dass das in der Öffentlichkeit so gut ankommt, macht die Sache nicht einfacher.

Im Studium der Islamwissenschaft haben wir uns ausgiebig mit osmanischen Münzsammlungen, islamischer Architektur, Sultan Saladin, mittelalterlichen Herrschaftsdynastien und persischer Dichtung beschäftigt. Wir haben keinerlei Methodik an die Hand bekommen, um politisch-religiöse Prozesse analysieren zu können. Wir haben den Islam allenfalls durch die Brille mittelalterlicher Philosophen „kritisch“ betrachtet. In einem Werbevideo auf der Homepage der FU Berlin erklärt Prof. Gudrun Krämer ihren Fachbereich und bekräftigt, dass man „nicht politisch kritisch“, sondern „wissenschaftlich kritisch“ auf die islamische Welt schaue. Das Paradoxon ist Programm. Ich kann mich ungelogen nicht daran erinnern, in 14 Semestern Studium je einen Koran gebraucht zu haben. Islamwissenschaftler kommen ohne sowas aus. Mit dem Islam habe ich mich erst nach dem Studium eingehender auseinandergesetzt.

An Martin Kloke gewandt möchte ich deswegen konstatieren, dass es am Ende die versammelte Abteilung der deutschen Islamwissenschaft ist, die „in der scientific community“ nicht „satisfaktionsfähig“ ist. Die versuchte inhaltliche Kritik halte ich für nicht gerechtfertigt. Hosni Mubarak hat mit dem Geld, das ihm der Friedensvertrag mit Israel eingebracht hat, sein Volk systematisch zum Antisemitismus erziehen lassen oder zumindest bejahend dabei zugesehen. Wenn jemand „über die relative Marginalität antizionistischer bzw. antisemitischer Ressentiments“ der Ägypter spricht, frage ich mich, was derjenige unter „relativ“ versteht. Und auch die Kontinuität deutsch-arabischer Zusammenarbeit nach dem Zweiten Weltkrieg lässt sich nicht so einfach als „infam“ abtun, auch wenn sie harsch formuliert sein mag. Das Auswärtige Amt betont die nach wie vor guten Beziehungen Deutschlands in die arabische Welt, ohne zu erwähnen, wie sehr deren Sympathie sich auch heute noch am „Lebenswerk“ Adolf Hitlers festmacht.

Und es ist leider nicht übertrieben zu sagen, dass die iranische Atombombe maßgeblich mit deutschen Wirtschaftsmitteln ermöglicht wird. Und ebenfalls an Martin Kloke: Wenn es so dezidiert um das „Existenzrecht Israels“ geht, dessen Leugnung integraler Bestandteil islamistischer Ideologie ist, und um westliche Wissenschaft, die dieser Infragestellung Vorschub leistet und entsprechende Bestrebungen verharmlost, dann ist das „empirische Israel“ für die Diskussion herzlich uninteressant, selbst wenn man den „sonderbaren Philosemitismus“ des Autors nicht teilt.

Clemens Heni mag als „unerbittlicher Moralist“ erscheinen, und ja, man hätte vieles sachlicher und damit zweckdienlicher formulieren können, ja, er arbeitet mit einem sehr weitgefassten Antisemitismus-Begriff, und ja, das zugrundeliegende Gesellschaftsbild, das sich an einigen Stellen mit Vehemenz Raum verschafft, mag manch einen vor den Kopf stoßen. Mich auch. Das macht das Buch unnötig angreifbar. Das Gesamtbild leidet darunter. Aber das macht die Hauptaussagen des Buches nicht weniger richtig, die Diskussion nicht weniger notwendig und die Kritik nicht weniger berechtigt. Vieles wurde noch selten so treffend auf den Punkt gebracht und dabei so gut belegt.

Politikwissenschaftler wie Clemens Heni und einige ambitionierte Hobbyforscher versuchen nach besten Kräften, die Lücke zu schließen, in der Islamwissenschaftler stehen sollten, die den Anforderungen unserer Zeit gemäß ausgebildet sind. Es ist peinlich, dass wir hier nicht mithalten können. Bevor wir also Clemens Henis Buch verreißen, sollten wir uns anschauen, was es uns zu sagen hat. Es ist hoch aktuell und will eine Debatte verschärfen, die noch viel zu halbherzig geführt wird, und ich finde, dass es einen wertvollen Beitrag liefert.

So ist „Schadenfreude“ tatsächlich das Buch zum zehnten Jahrestag von 9/11. Sonst soll mir jemand ein besseres zeigen.

Clemens Heni: Schadenfreude. Islamforschung und Antisemitismus in Deutschland nach 9/11
Edition Critic, Berlin 2011, 416 S., 19,90 €, ISBN 978-3-9814548-0-2

Carmen Matussek, 28,hat Islamwissenschaft und Geschichte studiert und ihren Magister mit einer Arbeit über die Verbreitung der Protokolle der Weisen von Zion und den Glauben an eine jüdische Weltverschwörung in der arabischen Welt gemacht. Freie Journalistin, Schwerpunktthemen: Israel, Nahostkonflikt, Islam, Islamismus, Antisemitismus.

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