Gastautor / 26.01.2012 / 11:35 / 0 / Seite ausdrucken

Das Rad der Religion

Ein Interview geführt von Emma Finkelstein


Rabbiner Dr. Walter Rothschild wurde 1954 in Bradford, Großbritannien geboren. Er studierte in Cambridge und am Leo-Baeck-College in London. Anschließend war er zunächst zehn Jahre Rabbiner in Leeds und hatte Rabbinatsstellen in Wien, Aruba/Niederländische Antillen, Berlin und München inne. Seit 2001 arbeitet er als freiberuflicher Rabbiner für liberale jüdische Gemeinden in Deutschland und seit 2003 zudem als Landesrabbiner in Schleswig-Holstein. Daneben ist er Autor zahreicher Bücher und Sänger der „Minyan Boys“. 


Peter Sloterdijk teilt Rennradfahrer in zwei Gruppen: Die Protestanten versuchten alles genau richtig zu machen, nähmen keine Drogen, und wenn doch, bereuten sie anschließend bitter auf einer Pressekonferenz. Die Katholiken hingegen versuchten sich bigott durchzumogeln. Wie sähe denn ein jüdischer Rennradfahrer aus?

Schwer zu sagen. Juden kommen sehr schnell aus dem Gleichgewicht. Deshalb können sie ohnehin nicht Radfahren.

Dürfen sie denn? Auch am Schabbat?

Das Fahrrad ist vielleicht 100 Jahre alt. Als die Tora entstand, ist man also noch nicht so viel Rad gefahren. Heute heißt es dann zum Beispiel, es stünde geschrieben, man dürfe am Schabbat in der Öffentlichkeit nichts tragen, und auch fahren sei eine Art des Transports – deshalb kein Fahrrad. Oder auch: keine Arbeit am heiligen Tag. Und da es passieren könnte, dass Ihnen Ihr Rad unterwegs kaputt geht und sie es reparieren müssen, dürfen sie gar nicht erst draufsteigen. All diese Auslegungen haben aber mehr mit Neurosen und weniger mit Fahrrädern zu tun. Wenn es also ein jüdisches Fahrrad gäbe, dann würde es in zwei Richtungen fahren.

Es gibt im Judentum nichts Spezielles zum Thema Rad?

Doch, eine Menge Witze. Der Bekannteste stammt aus der Nazizeit. Sagt der Jude zum Gestapomann: „An allem sind die Juden und die Radfahrer schuld!“ Fragt der Gestapomann: „Wieso die Radfahrer?“ Antwortet der Jude: „Wieso die Juden?“

Oder auch neuere. Kommt Chaim zu seinem Vater, sagt, er möchte heiraten. „Massel Tov! Wen denn?“ „Die Tochter vom Schneider, Maria.“ „Oh, mein Junge, das geht leider nicht. Weißt Du, ich hatte früher ein Fahrrad, bin damit durch die Gegend gefahren und, um es kurz zu machen: Die Maria ist Deine Halbschwester.“

Chaim geht traurig in die Küche, wo seine Mutter steht. „Du siehst so traurig aus, was hast Du?“ fragt sie. „Ach, Vater sagt, ich kann die Maria nicht heiraten, weil sie meine Halbschwester ist.“ „Kein Problem“, sagt die Mutter, „Weißt Du, ich hatte damals ein Fahrrad, bin viel in der Gegen herumgefahren – um es kurz zu machen, der Alte ist überhaupt nicht dein Vater.“

Deshalb sollen orthodoxe Frauen ja auch nicht Radfahren – es macht sie zu unabhängig und selbständig.

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