Es ist schon rührend, wie sehr gerade aus der linken Ecke, für die der Kampf gegen Rechts oberste Priorität genießt, dieser Tage eine Forderung immer lauter wird, deren Einlösung vor allem auf eines hinauslaufen dürfte: Das Ende des derzeitigen Sinkfluges der AfD, eine Reanimierung in ihrer derzeitigen Krise. Die Erinnerung daran, welche Argumente vor sechs, sieben Jahren in ihren ersten Monaten noch unter Bernd Lucke zum steilen Aufstieg dieser Partei beigetragen haben, scheint bei jenen Zeitgenossen verblasst.
Es ging damals um Regelbrüche in gigantischem Ausmaß im gemeinsamen europäischen Euro-Währungssystem, um ein Land darin zu halten, das in dieser gemeinsamen Währung gar nichts zu suchen gehabt hätte, wenn es mit rechten Dingen zugegangen wäre. Ihr Protest dagegen bescherte der Partei ihre ersten Parlamentssitze, machte sie groß.
Jetzt, in der Coronakrise, soll der Regelbruch eine ganz neue Dimension erhalten, und es ist absehbar, dass, sollten sich CDU und CSU auf dieses Spiel einlassen, sie ihr derzeitiges Umfragehoch gleich wieder vergessen können: Eurobonds, die Ausgabe gemeinsamer Schuldscheine, bei der jene Staaten, die auf dem Kreditmarkt (heute noch) höchste Bonität genießen – zum Beispiel Deutschland, Niederlande und andere – in gemeinsame Haftung eintreten mit Ländern, die latent hart an der Staatspleite operieren.
Um solche Papiere, deren Ausgabe bei der Begründung der Euro-Währung mit gutem Grund ausgeschlossen wurde, jetzt salonfähiger scheinen zu lassen, nennt man sie nun „Coronabonds“. Das Ziel: Italien soll in den Genuss der günstigen Kreditbedingungen der seriös wirtschaftenden Staaten kommen, um die eigene drohende Pleite abzuwenden. Doch schon hier, im Ansatz, liegt der Trugschluss.
Die günstigen Kreditbedingungen auf dem Geldmarkt – vor allem niedrige Zinsen – genießen die solventen Länder schließlich nur deshalb, weil sie von den Ratingagenturen als zahlungsfähige Schuldner eingestuft werden und ihr Gütesiegel „AAA“ erhalten haben. Ob dies bei einer Haftungsunion mit höchst gewichtigen Pleitekandidaten (Italien ist die drittgrößte Volkswirtschaft der EU) so bleibt, steht auf einem ganz anderen Blatt, da könnte sich in das Triple-A mittelfristig das eine oder andere „B“ einschleichen – auch für Deutschland. Wenn nun aus Italien, Portugal und anderen Ländern nahezu ultimativ die Coronabonds gefordert werden, so heißt dies nichts anderes, als dass die jetzt so kreditdürstenden Staaten die Kuh, die über den europäischen Rettungsschirm ESM und dank ihrer solventen Situation ja durchaus bereit ist, den schwächeren Partnern gehörig Milch zu geben, auf den Weg zum Schlachthof schicken wollen.
Italien-Begeisterung der Deutschen kriegt Knacks
Die Belohnung für die Regierungschefs und Finanzminister der Südländer: Sie bräuchten, wenn sie mal wieder auf die Website der Ratingagenturen klicken, nicht mehr auf so herabwürdigenden Minderbewertungen hinter den Triple-A-Staaten schauen, alle wären gleich, Corona sei Dank. Und dass auf den Einstieg in den Coronabond irgendwann der Ausstieg aus dem Eurobond folgen würde, können diejenigen, die dies jetzt betreiben, vielleicht jemandem erzählen, der sich die Hose mit der Kneifzange anzieht – hätte man in jenen Zeiten gesagt, als solide Haushaltsführung noch etwas galt.
Alle politische Erfahrung mit neuen, angeblich nur vorübergehend eingerichteten Finanzquellen für die öffentliche Hand – angefangen von Kaiser Wilhelms Sektsteuer bis zum Soli für die deutsche Einheit – straft solche Behauptung Lüge. Dies sollten auch jene Handvoll eher konservativer Ökonomen bedenken, die sich jetzt erstaunlicherweise ebenso für die Coronabonds aussprechen.
Dass diese ganz besondere Situation, der beispiellose Wirtschaftseinbruch, solche ganz besonderen Ausnahme-Maßnahmen rechtfertigen, ist ein durchschaubares Argument, was regelmäßig in solchen Krisen aufkommt. Zum einen sind die einstmals festen Regeln für den Euroraum – besonders die „No Go's“ – nicht für den gut funktionierenden Normalbetrieb geschaffen, sondern mit viel Bedacht genau für solche besonderen Lagen, in denen der leichte Griff nach dem Geld besonders verlockend erscheint. Und zum zweiten könnte man ganz besonders in solchen Krisenzeiten froh sein, dass es noch solvente, kreditwürdige Partner gibt, die als „Last Resort“ den Schwächeren unter die Arme greifen können, deren Bonität man noch nicht mit nach unten gerissen hat. Besonders, wenn die Lage sich weiter dramatisiert.
Italien muss geholfen werden, und es wird geholfen werden. Der Eurorettungsschirm ESM steht bereit. Aber wenn Premier Conte jetzt mit treuherzigem Blick in die Fernsehkameras den Nachbarn im Norden beteuert, die Auflage von Coronabonds werde sie nicht belasten, darf man ihm schon entgegnen, dass die Verschlechterung der Bonität Deutschlands natürlich Geld kostet. Haftungsunion bedeutet höhere Zinsen für die an sich höchst kreditwürdigen Länder. Gewiss, die Zinsen sind derzeit – noch – niedrig. Doch nur deshalb dürfen wir überhaupt an die Kreditaufnahme in dieser nie dagewesenen Höhe denken, die jetzt in der Coronakrise nötig ist, ohne dass wir wegen nächtlicher Gedanken an die Generation der Urenkel um den Schlaf gebracht werden. Und deshalb können wir auch Italien helfen.
Von den politischen Kosten, die eine Haftungsunion mit sich brächte, ganz zu schweigen: Die Behauptung, dass die EU, wie jetzt manche behaupten, durch dieses Un-Instrument gestärkt würde, darf man getrost ins Märchenregal verstauen. Spätestens, wenn Deutschlands Solvenz bei den Rating-Agenturen leidet, könnte die Italien-Begeisterung der Deutschen einen Knacks bekommen. Wie auch die derzeitigen Umfrage-Konstellationen. Aber vielleicht finden ja dieser Tage manche den Gedanken attraktiv, den Kampf gegen Rechtsaußen lieber auf der Straße zu führen statt durch kluge, vorausschauende Politik. Sie dürften sich wundern.