Viele klassische Gerichte vor allem der französischen Haute Cuisine tragen Namen bekannter Persönlichkeiten. Hier verraten wir, was mit Lady Curzon und zwei Grafen aus der Familie Stroganow verbunden wird.
Mary Victoria Curzon, Baroness Curzon of Kedleston, war gebürtige US-Amerikanerin und Tochter eines Geschäftsmanns aus Washington DC. Durch ihre Heirat mit George Nathaniel Curzon (1859–1925), dem ältesten Sohn des 4. Baron Scarsdale und Abgeordneten des britischen Unterhauses, wurde sie ein angesehenes Mitglied der Londoner Society und avancierte an der Seite ihres Mannes zur Vizekönigin von Indien.
Lady Curzon war eine gebildete, extravagante und politisch einflussreiche Frau, von deren Ansehen allerdings nicht viel mehr geblieben ist als eine nach ihr benannte Suppe. Diese wiederum landete, weil es sich um eine echte Schildkrötensuppe handelt, ihrerseits auf dem kulinarischen Index, denn „Suppenschildkröten“ gehören zu den bedrohten Arten und sind streng geschützt, obwohl sie in Asien und der Karibik immer noch als Delikatesse angesehen werden.
Allenfalls eine auf Kalbfleischbasis hergestellte Mockturtle soupe, also eine falsche Schildkrötensuppe, dürfte in Zeiten grassierender Genussverbote noch vermittelbar sein. In Niedersachen gilt sie sogar als eine Art Nationalgericht. Angeblich wurde sie aufgrund der von 1714 bis 1837 währenden Personalunion zwischen den Königreichen Großbritannien und Hannover zu einem Bestandteil der niedersächsischen Landesküche. Im Internet kursierende Fotos dieser Nordlichter-Spezialität können bei Gourmets allerdings keine echte Begeisterung hervorrufen.
Doch zurück zu Lady Curzon. Der Legende nach soll sie anlässlich eines von ihr organisierten Empfangs zu Ehren einer hochrangigen Persönlichkeit, eines überzeugten Abstinenzlers, in Bedrängnis geraten sein, da ein englisches Dinner ohne Alkohol die übrigen Gäste verstimmt hätte. So habe sie die Möglichkeit ersonnen, den als Aperitif vorgesehenen Sherry in einer mit Curry gewürzten Schildkrötensuppe zu verstecken, wobei eine kurz gratinierte Sahnehaube als „Geruchsverschluss“ gedient habe. Andere Quellen führen die Entstehung des Rezeptes auf die Absicht der Lady zurück, ihren eigenen Alkoholkonsum geschickt verbergen zu wollen. Ob sie eine Schnapsdrossel war, lässt sich posthum nicht mit Sicherheit sagen, jedenfalls wird dieses Rezept nach ihr seither Consommé Lady Curzon genannt.
„Birne Helene“ für Masochisten
Viele klassische Gerichte vor allem der französischen Haute Cuisine tragen Namen bekannter Persönlichkeiten. Genannt seien hier beispielhaft die Tournedos Rossini, eine reichhaltige Kombination aus Rinderfiletschnitten und gebratener Gänseleber, begleitet von einer mit schwarzen Trüffeln aromatisierten Sauce Perigueux. Namensgeber der Kreation war der Gourmet-Komponist Gioachino Rossini, der sich nach seinem Rückzug von der Musik mit kulinarisch-literarischen Salons in Paris einen Namen machte, auf denen er nicht zuletzt seine beachtliche Leibesfülle zur Schau stellte. Auch das russische Boeuf Stroganoff fand über Paris seinen Weg in die klassische westeuropäische Küche. Es trägt den Namen einer russischen Adelsfamilie, die sich nach der russischen Oktoberrevolution im Pariser Exil einrichten musste.
Auch auf der süßen Seite finden sich jede Menge berühmter Namensgeber kulinarischer Highlights wie den Fürsten Pückler und die nach ihm benannte Eisbombe aus Erdbeer- Vanille- und Schokoladeneis, sowie Crêpes Sir Holden, ein feines Dessert, bestehend aus dünnen Pfannkuchen, Erdbeeren, Vanilleeis sowie einer alkoholisierten Buttersauce, eine absolute Rarität, die meines Wissens nur noch im Madrider Luxusrestaurant Horcher serviert wird, über dessen aberwitzige Geschichte ich einmal einen Beitrag für die Süddeutsche Zeitung geschrieben hatte.
Der Dessert-Klassiker „Birne Helene“ (Poire belle Hélène) dagegen ist nicht nach einer gleichnamigen Gesellschaftslöwin benannt, sondern nach Jacques Offenbachs Oper „Die schöne Helena“. Offenbach würde sich im Grabe umdrehen, wenn er wüsste, in welch vulgärer Form „Birne Helene“ zumeist auf den Tisch kommt: Dosenbirnen, Fabrikeis und (kalte) Schokoladensauce von Hersheys, eine Kombination, die allenfalls Masochisten Befriedigung verschafft. Mit in Weißwein pochierten Birnen, selbstgemachtem Vanilleeis und selbstgemachter warmer Schokoladensoße dagegen ist „Birne Helene“ ein Gedicht.
Dreierlei von Irgendwas
Heute sind Gerichte, deren Namen bei gebildeten Menschen die weitläufigsten Assoziationen hervorzurufen imstande sind, weitgehend von den Speisekarten verschwunden. Nach den pseudo-poetischen Eskapaden der Nouvelle cuisine („Dreierlei von Irgendwas“) frönen die Speisekarten heutiger Spitzenrestaurants einem Individualismus und Minimalismus, der das Genie des jeweiligen Küchenchefs in noch hellerem Licht erstrahlen lassen soll, unbeeinträchtigt von lästigen Traditionen. Im Sterne-Restaurant „Alois“ des Münchner Delikatessenhauses Dallmayr sieht das aktuelle Abendmenü so aus: Königskrabbe, Grapefruit, Safran / Alternative: Büffel, Kürbis, Galgant – Schwarzer Perigord-Trüffel, Bucheckern – Wilde Dorade, Ananas, Majoran – Wachtel, Quitte, Tagetes – Taleggio, karamellisierter Apfel, Ahorn Verjus / Alternative: Tahiti Vanille, Kaviar, Brioche – Mango, Champignon, Grand Cru Schokolade.
Für den Gast handelt es sich bei dieser klandestinen Zutatenliste, bei deren Lektüre man darüber rätseln muss, um welchen Gang es sich gerade handeln könnt, genau genommen um ein Überraschungsmenü, wobei ich mich selbst zu jenen Gästen zähle, die vorher gerne wissen, was auf den Tisch und ins Glas kommt. Wobei selbst bei allbekannten Speisen des gastronomischen Kanons ohnehin fast immer verschiedene Varianten der Zubereitung bekannt sind, ganz abgesehen von der Kreativität des Kochs und seiner Fähigkeit, auch Klassikern einen neuen Touch zu geben, wogegen bei aller Liebe zur Tradition nichts einzuwenden ist.
Auch von „Bef Stroganoff“ (so die transliterierte russische Bezeichnung) etwa gibt es zahllose Spielarten, und wer wollte entscheiden, welche die einzige, echte und beste ist. Das längst vergriffene Kochbuch „Die Küche in Russland“ (Time Life) hat für mich Referenzcharakter. Zunächst soll man aus Senfpulver, Zucker, Salz und heißem Wasser selbst eine Senfpaste herstellen. Dann werden Zwiebel und Pilze in Öl angebraten (die dabei entstehende Flüssigkeit wird weggegossen), hernach in einer anderen Pfanne die Rinderfiletstreifen. Wenn das Fleisch portionsweise sanft gegart wurde, kommt es in die Pfanne mit den Gemüsen. Senfpaste dazu, saure Sahne und etwas Zucker, kurz schmoren lassen – fertig. Einziger Haken an der Sache: Wenn das Filet auch nur einen Tick zu lange in der Pfanne schmurgelt, wird es trocken und ungenießbar.
Im Grand Larousse gastronomique, der Bibel der französischen Kochkunst, wird das Rinderfilet vor dem Braten noch mindestens zwölf Stunden in Weißwein mariniert, in dem Schalottenpartikel, Lorbeer und Karottenringe schwimmen. Außerdem wird das Fleisch mit Cognac flambiert. In keinem der beiden Rezepte übrigens finden sich jene Gewürzgurken, wie ich sie bei Horcher serviert bekam. Sie geben dem Gericht eine stark säuerliche, etwas vulgäre Note. Damit lässt sich vielleicht mindere Fleischqualität kaschieren, doch die subtile süß-säuerliche Balance der Sauce kommt dabei aus dem Gleichgewicht.