Vera Lengsfeld / 05.01.2012 / 15:08 / 0 / Seite ausdrucken

Bundespräsident Wulff lässt Einsicht vermissen

Das gestrige Interview des Noch-Bundespräsidenten war eine Zumutung.
Wulff zeigte, wie bei seiner ersten Stellungnahme im Dezember, weder   echte Einsicht, noch Schuld- oder Unrechtsbewusstsein. Das gesamte Interview durchzieht eine unverfrorene Unterstellung: Alle seine Handlungen seien im Prinzip richtig gewesen, maximal wurden PR-Fehler gemacht und die Öffentlichkeit habe sich eigentlich eh aus der Bewertung von Privatangelegenheiten herauszuhalten. Er entschuldigte sich nur pro forma, wo es unvermeidlich war.
Ob Upgrade von Flugtickets, Gratis-Übernachtungen bei Freunden oder Annahme von Krediten: Bundespräsident Wulff entlastet sich selbst, obwohl dies in solchen Fällen objektiv gar nicht möglich ist.
Auch das privat finanzierte Gutachten seiner Anwälte, die versichern, alles sei in Ordnung, ist keine Entlastung. Nicht nur, weil es nach wie vor Ungereimtheiten gibt. Da wird zum Beispiel festgestellt, dass ein Upgrade bei der Lufthansa ausschließlich von Privatmeilen getätigt wurde, obwohl private und dienstliche Meilen über ein Konto liefen.
Auch die anwaltlichen Erklärungen zum BW Bankkredit sind unzureichend. Wulff hat in seinem Interview darauf beharrt, dass er seine Kredite „zu ganz normalen, üblichen Konditionen“ bekommen hätte. Das ist schwer nachvollziehbar. Welcher normale Häuslebauer bekommt eine „Kreditmarktfinanzierung“ mit „rollierenden Zinsen“, die zuletzt bei 2,1 % lagen, vorher darunter?
Er hätte, führt Wulff zu seiner Entlastung an, während der gesamten Zeit die Risiken einer Zinserhöhung tragen müssen. Die hielten sich bei vierteljährlich neu verhandelten Verträgen in engsten Grenzen. Von Anfang an, so der Bundespräsident weiter, hätte die Absicht bestanden, diesen „rollierenden“  in einen Festzinskredit umzuwandeln. Warum dann nicht gleich, sondern erst Ende November letzten Jahres? Der Zeitpunkt wäre von der Bank vorgeschlagen worden, wegen des drohenden Zinswachstums. Abgesehen davon , dass die Zinsen zu diesem Zeitpunkt eher fielen als stiegen, bei einer so fürsorglichen Bank, wo lag das Risiko, das der Bundespräsident zu tragen meinte?
An diesem Detail zeigt sich, wie instrumentell unser Bundespräsident mit der Wahrheit umgeht.
Die Regeln der Korruptionsbekämpfung, denen alle Angestellten des Öffentlichen Dienstes und von Unternehmen unterworfen sind, beinhalten auch das Vermeiden von unbewusster oder nur halb-bewusster Vorteilsgewährung. Die bewusste Vorteilsgewährung ist nur der extremste Fall. Eine objektive Bewertung, ob ein Amtsinhaber ‘Freunden’ Vorteile gewährt hat, kann nur eine neutrale Person (z.B. ein Antikorruptunionsbeauftragter) vornehmen.
Die niedersächsische Antikorruptionsrichtlinie definiert Korruption als „Missbrauch eines öffentlichen Amtes, einer Funktion in der Wirtschaft oder eines politischen Mandats zugunsten eines anderen, begangen auf dessen Veranlassung oder aus Eigeninitiative zur Erlangung eines Vorteils für sich oder einen Dritten“
Punkt 8 der Richtlinien:
Für die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durch die unmittelbare Landesverwaltung gelten die folgenden Grundsätze:
-Vermeidung eines bösen Anscheins bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben.
Mindestens gegen diesen Grundsatz hat Wulff mehrfach verstoßen. Keinem Beamten, keinem Angestellten ließe man das durchgehen.  Wulff als Ministerpräsident war, wie alle Mitarbeiter im Öffentlichen Dienst Niedersachsens, an diese Richtlinien gebunden. Das nicht zu erkennen heißt, er lässt das nötige moralische und politische Gespür für die Ausübung des Amts des Bundespräsidenten vermissen.

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