Rainer Bonhorst / 19.09.2016 / 06:33 / Foto: JHzPunch / 24 / Seite ausdrucken

Bringschuld? Was für eine Bringschuld?

Ich lese gerade einen Text der deutschen Islamwissenschaftlerin syrischer Herkunft, Lamya Kaddor, in dem sie von uns Biodeutschen eine Bringschuld gegenüber den – nicht nur – moslemischen Einwanderern fordert. Lamya Kaddor ist Vorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes, und ich freue mich, dass es sowas gibt. Ich habe ja immer noch die Hoffnung, dass in Europa vielleicht doch noch ein liberaler Islam entstehen kann, in einer Zeit, in der diese Religion in ihrer Heimat die entgegengesetzte Richtung einschlägt.

Trotzdem frage ich mich, was für eine Bringschuld soll das denn sein, die Frau Kaddor fordert? Ich selber war 15 Jahre lang zugereister Ausländer in England und Amerika. Ich bin zwar nicht mit dem Koran unterm Arm dorthin gereist, wohl aber als Mitglied einer Nation, die mal Kriegsgegner war und die sich einmal mit der Ermordung von sechs Millionen Juden hervorgetan hat.

Auf den Gedanken, dass mein jeweiliges Gastland irgendeine Bringschuld mir gegenüber hätte, bin ich in diesen 15 Jahren meines Aufenthalts kein einziges Mal gekommen. Und ich glaube, dass auch meine Gastgeber nicht von dem Gedanken umgetrieben wurden, mir und den vielen anderen Deutschen gegenüber, die dort lebten und leben, zu einer Bringschuld verpflichtet zu sein. Die unausgesprochene Absprache ging in etwa so: Benimm dich anständig, und wir sind nett oder zumindest höflich zu dir. Und das fand ich völlig in Ordnung. Ich habe versucht, mich den dortigen Regeln entsprechend anständig zu benehmen, habe viel Höflichkeit und Nettigkeit erfahren, und habe es cool weggesteckt, wenn mir mal einer mit Hitler kam.

Warum sollte es bei uns und unseren Einwanderern anders sein? Bringschuld? Das hat mit Schuld zu tun. Was für eine Schuld soll das denn sein? Höflichkeit und Nettigkeit – das kann man als Eingereister schon erwarten. Aber auch das ist ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Nach dem alten deutschen Sprichwort: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es zurück. Wer zum Beispiel darauf besteht, mit einer Moschee die alte Dorfkirche in der Nachbarschaft in den Schatten zu stellen, muss sich nicht wundern, wenn die Höflichkeit und die Nettigkeit darunter leiden.

Und was nun all das andere betrifft, die Sozialhilfen, die Deutschstunden, die Unterbringungen in einer Geschwindigkeit, von der viele Wohnungssuchende nur träumen können: Das ist keine Bringschuld, das sind mehr oder weniger freiwillige Leistungen. Zum Teil auf Grund einer manchmal etwas kuriosen Rechtsprechung, zum Teil aus christlicher Anständigkeit, zum Teil aus politischer Vernunft. Es ist vernünftig, so vielen Einwanderern den Weg in ein neues Leben bei uns ein wenig zu ebnen. Man vermeidet eine Menge Probleme. Und es ist einfach anständig, zu helfen, wo Hilfe not tut. Mit einer Bringschuld hat das nichts zu tun.

Ich will jetzt nicht groß darüber reden, ob das, was wir leisten, mit ausreichender Dankbarkeit angenommen wird. Die Antwort wäre: teils, teils. Ich will auch nicht groß darüber reden, wie gut oder wie schlecht es um unsere Willkommenskultur bestellt ist. Die Antwort wäre: teils, teils.

Aber ich bin der Überzeugung, dass man in ein Gastland nicht in einer aufdringlichen Forderungshaltung reisen sollte. Und schon gar nicht sollte man auf eine wie auch immer gemeinte Bringschuld pochen. Als wohl situierter Reisender, wie ich damals, sollte man das nicht tun, und als Flüchtling auch nicht. Es gibt keine Bringschuld. Es gibt nur die Chance, sich in einem neuen Land ein neues Leben aufzubauen. Die sollte man nutzen und auf allzu laute, fordernde Töne verzichten. Dann fällt es den Gastgebern auch leichter, höflich und nett zu sein.

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Leserpost

netiquette:

Beatrice Hamberger / 19.09.2016

Da hat die liebe Frau Kaddor wieder mal etwas gründlich missverstanden. Andererseits kann man ihr diese Auffassung nicht verübeln.  Ein Land, das sich wie anti-autoritäre Eltern benimmt, muss sich nicht wundern, wenn seine Gäste immer aufmüpfiger werden. Wer keine Grenzen setzt und schützt, bekommt halt die Quittung.

Peter Westermann / 19.09.2016

Was sollte ich diesen Menschen schulde? Ich habe sie nicht eingeladen und sie müssen nicht hier sein. Also haben sie auch nichts von mir zu erwarten. So einfach ist das für mich.

Uta-Marie Assmann / 19.09.2016

Es ist genau diese fordernde, geradezu unverschämte Haltung, die den Umgang mit einigen Migranten so schwierig macht. Ausgerechnet Lamya Kaddor, die noch nie durch einen intelligenten Satz dafür aber durch ein unangemessen robustes Selbstbewusstsein auffiel, schwadroniert von ‘Bringschuld’. Eigentlich müsste man erwarten, dass eine Lehrerin, die nicht verhindern konnte, dass sich gleich mehrere ihrer Schüler dem IS anschlossen, den Ball flach hält.

Ralf Pöhling / 19.09.2016

Welche Bringschuld hat Deutschland gegenüber zuwandernden Muslimen? Die selbe, wie ein Gastgeber, der Gäste zu sich nach Hause einlädt. Ein Gastgeber hat aber auch das Recht, Gäste die sich daneben benehmen, wieder vor die Tür zu setzen. Das gleiche gilt für ungeladene Gäste. Wir sollten uns in Deutschland also auch mal fragen, welche Bringschuld haben eigentlich die Gäste gegenüber ihrem Gastgeber?

Tom Hess / 19.09.2016

Ich lebe selbst seit beinahe 11 Jahren in verschiedenen asiatischen Ländern. Sie alle haben Gemeinsamkeiten: ich muss genug Geld nachweisen, um ein Visa zu bekommen. Das muss ich jährlich nachweisen. Würde ich dem Staat auf die Tasche fallen, würde ich sofort in Abschiebehaft kommen. Solange, bis ich meine Ausreise selber zahlen kann. Danach erhielte ich ein dauerhaftes Einreiseverbot. Das geschieht auch, wenn ich mich als Ausländer an Demonstrationen beteilige oder sogar kriminell werde. Und ich finde das angemessen. Ich bin hier Gast. Und es werden hier keine Unterschiede gemacht, ob ich nun aus Europa, Nord- oder Südamerika oder Afrika komme. Nur, wenn meine fachlichen Qualifikationen hoch sind, darf ich befristet her arbeiten. WQill ich gar eine Staatsbürgerschaft erwerben, ist das an viele Hürden geknüpft. Beispiel Thailand: 10 bis 15 Jahre, in denen ich mich beweisen muss. Ich muss bis dahin lückenlos nachweisen, mir das Leben hier leisten zu können. Zugleich müssen Spenden an gemeinnützige Organisationen gemacht werden, von denen Benachteiligte Gruppen im Land profitieren. Und dann muss ich nicht nur die Sprache fließend sprechen und schreiben - ich muss auch nachweisen, dass ich die Kultur verstehe. Das klingt so ganz anders als in Deutschland.

Andreas Hanfeld / 19.09.2016

Sehr geehrter Herr Bonhorst! Habe soeben den von Frau Lamya Kaddor verfaßten Artikel gelesen. Darin wird in wunderbarerweise Weise das arrogante Anspruchsdenken eines (großen?) Teils der in jüngster Zeit zu uns gelangten Muslime dargestellt und rechtfertigt. Ich stimme also bis auf eine Kleinigkeit voll und ganz mit Ihnen und Ihren Schlußfolgerungen überein. Das “bis auf ... ” bezieht sich auf die eingangs von Ihnen verwendete Formulierung “deutsche Islamwissenschaftlerin syrischer Herkunft”. Da haben die Einwohner des Landes, in welchem sich die rechtspopulistischen Brexitbefürworter heimisch fühlen, ein nettes Sprichwort: - a dog born in a stable doesn’t make it a horse - meint wohl gemäß meiner schwachen Englischkentnisse etwa: ein Hund, der in einem Pferdestall zur Welt kommt, wird trotzdem niemals ein Pferd! mit freundlichen Grüssen Andreas Hanfeld

Karla Kuhn / 19.09.2016

Hallo Herr Bonhorst, ich sitze in der S Bahn und lese Ihren tollen Artikel.  Ich musste so laut lachen, daß die anderen Fahrgäste gefragt haben ob sie mitlachen dürfen. Nachdem ich Ihren Artikel laut vorgelesen habe, folgte nicht nur eine allgemeine Erheiterung sondern auch eine große Empörung über so eine Anmaßung. Was denkt die Frau sich eigentlich wer sie ist? Das Wort was von den anderen Fahrgästen kam war unisono FRECHHEIT.  Es folgten noch andere aber die wiederhole ich nicht.

Karin McLean / 19.09.2016

vielleicht meinte sie unsere Mitschuld an der Zerstörung Syriens und des Mittleren Ostens. Als drittgrösster Waffenverkäufer der Welt fällt’s schwer, sich ganz unschuldig an den Flüchtlingsströmen zu fühlen. Sonst stimme ich Ihrem Artikel zu. Es ist niemals gut, als Gast oder Bittsteller Forderungen zu stellen, wenn man einen freundlichen Empfang vom Gastgeber erwartet.

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